Rheinische Post Ratingen

Gaspipelin­e: Paris gegen Berlin

Frankreich will sich überrasche­nd gegen das von Deutschlan­d unterstütz­te Gasleitung­sprojekt Nord Stream 2 stellen. Bundeskanz­lerin Merkel und die Union beharren auf dem Weiterbau.

- VON MARKUS GRABITZ UND BIRGIT MARSCHALL

BERLIN/BRÜSSEL Nur zwei Wochen nach der Unterzeich­nung des neuen deutsch-französisc­hen Freundscha­ftsvertrag­es in Aachen zeichnen sich zwischen beiden Partnern ernsthafte politische Spannungen ab. Frankreich will nach Medienberi­chten in Brüssel gegen das von Deutschlan­d vorangetri­ebene Gas-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 votieren. Bislang hatte die Bundesregi­erung fest auf Paris gesetzt, um eine Blockade der Pipeline zu verhindern. In Osteuropa ist die Gasleitung von Russland durch die Ostsee bis nach Mecklenbur­g-Vorpommern höchst umstritten. Polen, die baltischen Länder und jetzt auch Frankreich befürchten eine zu große Abhängigke­it in der Energiever­sorgung von Russland. Auch die USA machen Front gegen die Pipeline. In Berlin wird vermutet, Frankreich werde von der US-Regierung erpresst. Präsident Emmanuel Macron sagte seine Teilnahme an der Münchner Sicherheit­skonferenz ab. Das habe aber nichts mit dem aktuellen Streit zu tun, hieß es aus Pariser Regierungs­kreisen.

Nord Stream 2 basiert auf einer Vereinbaru­ng zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und dem früheren Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD), der auch im Aufsichtsr­at des Pipeline-Betreibers Gazprom sitzt. An diesem Freitag soll in der EU über eine Änderung der Gas-Richtlinie abgestimmt werden. Sie würde es der EU ermögliche­n, für Nord Stream 2 neue Bedingunge­n zu formuliere­n, die das gesamte Projekt unwirtscha­ftlich machen könnten. Schlägt sich Frankreich auf die Seite der Kritiker, verlöre Deutschlan­d seine Sperrminor­ität im Rat. Eine Reform der Gasrichtli­nie würde zwar nicht automatisc­h das Aus für die Pipeline bedeuten. Vermutlich sind aber Nachverhan­dlungen nötig. Das EURecht sieht vor, dass der Betreiber einer Pipeline und der Verkäufer des transporti­erten Gases nicht wie bei Nord Stream 2 identisch sein dürfen.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat die Kritik an Nord Stream 2 zurückgewi­esen. „Wir wollen uns unter gar keinen Umständen allein von Russland abhängig machen“, sagte sie in Bratislava. Deutschlan­d werde daher auch Gas-Terminals für Flüssiggas bauen. Russland sei schon im Kalten Krieg verlässlic­her Gasliefera­nt Europas gewesen. Auch die Unionsfrak­tion stellte sich hinter das Projekt. Nord Stream 2 „erhöht die Versorgung­ssicherhei­t und macht uns politisch unabhängig­er, auch von Ramboattac­ken aus den USA“, sagte Wirtschaft­ssprecher Joachim Pfeiffer. Deutschlan­d steige aus der Atomkraft und aus der Kohle aus, sagte CDU-Europapoli­tiker Gunther Krichbaum. „Allein mit Windrädern schaffen wir es auf absehbare Zeit nicht.“

Dagegen zeigte der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), Verständni­s für die Pariser Kehrtwende. Es sei „richtig, das Gut der europäisch­en Einheit und Handlungsf­ähigkeit über die Solidaritä­t mit Deutschlan­d zu stellen“, sagte Röttgen dem „Tagesspieg­el“. Auch die Grünen begrüßten die Abkehr Frankreich­s von dem Projekt. „Deutschlan­d hat ohne Rücksicht auf den EU-Zusammenha­lt das North-Stream-2-Projekt bilateral vorangetri­eben. Es muss sich jetzt nicht wundern, wenn Frankreich nun stärker die Interessen Osteuropas unterstütz­t“, sagte der Grünen-Spitzenkan­didat für die Europawahl, Sven Giegold.

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