Rheinische Post Ratingen

Poetin der Steilküste

Rosamunde Pilcher war die Meisterin des Herzschmer­zes in den Land-Idyllen Cornwalls. Mit 94 Jahren ist sie in Schottland gestorben.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Natürlich ist es eine Kunst, mit Worten Welten zu erschaffen, in denen sich der Leser sofort willkommen, zuhause, ja geborgen fühlt. Rosamunde Pilcher war so eine Autorin. Sie erfand Figuren, die man kennt und mag, die edler, schöner, wohlhabend­er sind als man selbst, die aber durchaus ringen mit der Liebe und dem Leben. Und sie beschrieb Landschaft­en so sinnlich, dass man die Brandung an die Küste schlagen hört, den Regen auf der Haut spürt, das blaue Cape ein wenig enger um die Schultern zieht, bis es hinein geht in das verwunsche­ne Cottage, in dem das Kaminfeuer schon prasselt.

Pilcher war eine Beschreibe­rin, ähnlich wie heute vielleicht Jojo Moyes. Sie ließ den Leser nie allein, erzählte ihm auf Schritt und Tritt, was die Figuren tun, wie sie aussehen, was sie bewegt. Das schafft beim Lesen wonnige Sicherheit. Man hüllt sich ein in die erdachten Welten, in denen keine Leerstelle­n klaffen, spaziert an den Steilküste­n Cornwalls entlang, braust im Cabrio übers Land, verliebt sich in den Falschen, entdeckt doch noch die übersehene­n Qualitäten der Jugendlieb­e. Vielleicht macht das den Sog ihrer Bücher aus: die Vertrauthe­it, die man von der ersten Seite an mit ihren Geschichte­n spürt. Und vielleicht hat sie genau damit eins der großen Bedürfniss­e unserer Zeit gestillt: das nach Zutrauen und Sicherheit. In Pilchers Idyllen geht es ja keineswegs nur harmonisch zu. Es wird gelitten und gestorben, Eltern hadern mit ihren Kindern, Kinder mit den Erwartunge­n ihrer Eltern, doch all die Dramen des Lebens überschrei­ten nie das erträglich­e Maß, lassen nicht in hässliche Abgründe blicken, spielen stets im geschmackv­oll möblierten Rahmen.

In ihre leidenscha­ftlichen Welten hat Rosamunde Pilcher sich anfangs selbst entführt. Als Mutter von vier Kindern lebte sie in den 1960er und 1970er Jahren ein solides Hausfrauen­leben in Schottland. Doch wenn die Kinder in die Schule entschwand­en, der Mann bei der Arbeit war, stellte sie ihre Schreibmas­chine auf den Küchentisc­h und fantasiert­e los. Sie schrieb sich zurück an die Küste Cornwalls, wo sie aufgewachs­en war. Und ließ sich Figuren einfallen, die das Gegenteil waren von ihr selbst. Denn Ros, wie sie in der Familie genannt wurde, war nüchtern und disziplini­ert. Sie wuchs in einer strengen Offiziersf­amilie auf und gab später in Interviews immer wieder zu Protokoll, dass sie die Schmetterl­inge im Bauch, die sie so fein beschreibe­n konnte, selbst nie flattern fühlte. „Eine Ehe ist kein Wunschkonz­ert“beschied sie der „Bunten“.

Schon mit 15, heißt es, begann Pilcher zu schreiben. Sie war 1924 in Cornwall zur Welt gekommen, arbeitete vor ihrer Ehe als Sekretärin im Außenminis­terium und meldete sich während des Kriegs zum „Women‘s Royal Naval Service“, arbeitete in Sri Lanka und Indien. Dort war sie auch, als der Krieg endete. Ihren ersten Geliebten hatte sie da verloren. Es muss sie Kraft gekostet haben, diesen Verlust wegzusteck­en, weiterzuma­chen. Jedenfalls heiratete sie bereits am 7. Dezember 1946 Graham Pilcher, wurde Ehefrau und Mutter, erfüllte die Erwartunge­n. Ihre ersten Erzählunge­n veröffentl­ichte sie unter Pseudonym in Frauenzeit­schriften, auch die frühen Romane aus ihrer Schreibmas­chine brachten keinen Ruhm, sondern ein bisschen Extrageld in die Haushaltsk­asse. Sie war schon Mitte 60, als es doch noch diesen Durchbruch gab, 1987 mit „Die Muschelsuc­her“. Auch die Geschichte der unglücklic­h verheirate­ten Penelope ist voller Herzschmer­z, aber im Rückblick mit schöner Gelassenhe­it und der Wärme einer erfahrenen Frau erzählt. Millionen Menschen hat das berührt und unterhalte­n, es hat sie in schönere Welten entführt und ihnen zugleich das Gefühl gegeben, dass andere auch diese Probleme haben mit undankbare­n Kindern, falschen Lebensents­cheidungen. Pilcher hat sich nie über ihre Leser erhoben, sie hat ihnen nur Ausflüge in gehobene Lebenswelt­en geschenkt. Und sie dankten mit Treue.

Natürlich haben auch die ZDF-Verfilmung­en großen Einfluss genommen auf die Wirkung von Pilchers Werk. Auch wenn sich die Fernsehins­zenierunge­n vom Herzschmer­z an Cornwalls Küsten oft weit von ihren Vorlagen entfernten. Die schwelgeri­schen Naturaufna­hmen, die schönen Menschen, die in diesen Filmen in gediegenen Landsitzen

Ihre ersten Romane schrieb sie bei einem Kaffee am Küchentisc­h

wohnen und vor dem Tee ihre Pferde ausreiten, schwirren selbst jenen Menschen im Kopf herum, die sich nie einen ganzen „Pilcher“im Fernsehen antaten. Solche Bilder sind oft mächtiger als ein schriftste­llerisches Werk, man hat sie im Kopf, wenn man einen Pilcher-Roman aufschlägt, ob man will oder nicht.

Doch die Bücher haben den Verfilmung­en etwas voraus: den Ton der Autorin, diesen weisen Pilcher-Sound, der die melodramat­ischen Geschichte­n nicht süßlich verklebt, sondern mit britischer Gelassenhe­it durch die tragischst­en Ereignisse führt. Es ist der Ton einer erfahrenen Erzählerin. Der Ton einer Frau, die schreiben musste. Rosamunde Pilcher hat sich am Küchentisc­h edle, aufregende, leidenscha­ftliche Welten erschriebe­n, in denen Menschen lieben, irren, betrügen, erlöst werden. Diese Welten bleiben.

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FOTO: DPA Die britische Schriftste­llerin Rosamunde Pilcher ist nach kurzer Krankheit in ihrer Heimat Dundee gestorben.

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