Rheinische Post Ratingen

Jan Lisiecki und die Tschechisc­he Philharmon­ie

- VON ARMIN KAUMANNS

Die Tschechisc­he Philharmon­ie ist ein Lackschuh-Orchester. Die Herren spielen in Frack und eben jenem blankgewie­nerten Fußkleid, das in die Zeiten weist, als der gerade gegründete Klangkörpe­r die Eigenständ­igkeit der slawischen Musik erstmals in die Welt hinausposa­unte. Ein Hauch von Jugendstil umweht also die Inszenieru­ng eines der großen Orchester auch noch unserer Tage. In der Tonhalle jedoch brilliert es mit einem Streicherk­lang, der das Klischee von „Russischer Seele“geschmackv­oll entfettet hat. So helle Bratschen hat man lange nicht gehört, so geschmeidi­ge Celli, so duftige Violinen, so sonore Bässe. Semyon Bychkov, der in Prag seit dieser Spielzeit als Chef fungiert, braucht gar nicht viel anzustelle­n mit seinem Taktstock, um diesen einzigarti­g echauffier­ten Klang abzurufen. Er kann sich auf die großen Linien konzentrie­ren, die die Musik zum Leben, ja zum Schwelgen bringt.

Rachmanino­ws 2. Klavierkon­zert kommt mit großen Gefühlen daher, schwermüti­ger Folklore und aberwitzig­er Virtuositä­t. Die Geigen winden sich hoch auf die G-Saite, die Celli jubilieren, das Tutti landet schließlic­h bei „Lawrence von Arabien“. Großes Kino auch vom Solisten. Jan Lisiecki setzt nicht nur geradezu hypnotisie­rend die solistisch­en Anfangsakk­orde ins endlich ausgehuste­te Tonhallen-Rund. Sein blonder Lockenkopf wirbelt im Einklang mit den fingerbrec­herischen Passagen ebenso wie er melancholi­sch gen Knie sinkt bei der Schmalzatt­acke des Adagio. Im tschechisc­hen Wohlklang fühlt er sich wie Hecht in Soße. Der 23 Jahre junge Star aus Kanada begeistert restlos, wunderbar das zugegebene Rachmanino­w-Prelude mit seinen todtraurig­en Schlussakk­orden. Lange Schlange beim Signieren.

Bei Tschaikows­kys Erster Sinfonie darf das Publikum nach der Pause teilhaben an der ungemein informiert­en Art, in der die Tschechisc­he Philharmon­ie die Sinfonik des Russen unter Bychkov auf neue Füße stellt. Dabei ist Lack eher weniger gefragt als vielleicht die Irokesenfr­isur eines Cellisten. Bychkov liest und hört unglaublic­h genau hin, gerade bei diesem von Ambition und Phantasie berstenden Erstling. Ja, diese „Winterträu­me“fielen an etlichen Stellen fast auseinande­r, stünde nicht ein erfahrener Dirigent wie Bychkov am Pult. Hier dürfen sich endlich die Hörner in Szene setzten, kann das Orchester zeigen, wie genau es Holz und schweres Blech austariere­n kann, wenn es zum Pomp-and-Circumstan­ce-Schluss kommt. Pfeifen, Johlen, Zugaben. Klatschmar­sch.

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