Rheinische Post Ratingen

Politik auf der Bühne

In Zeiten von Populismus und globalen Krisen entwickelt das Theater neue Spielarten, um auf die Gegenwart zu reagieren. Und manchmal zwingt es sein Publikum auch zur eigenen Positionie­rung.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Gerade hat Dresden „Das blaue Wunder“erlebt: Regisseur Volker Lösch schickt seine Schauspiel­er in dieser Inszenieru­ng als Rechtspopu­listen mit blauen Mänteln im Wehrmachts-Stil auf die Bühne. Auf dem Stahlskele­tt eines Schiffes geht es volle Kraft nach rechts, hinein in eine brutale Diktatur. Für den Text hat das Team um Lösch sich in Schriften der AfD bedient. Eine drastische Groteske mit deutlicher Botschaft im Jahr der Landtagswa­hl, das sorgte für Aufregung schon im Vorfeld. Aus der betroffene­n Partei gab es nach der Premiere einen Eintrag auf der Facebook-Seite des Theaters, die Bühne müsse sich nicht wundern, wenn Förderung für „derlei Kultur“in Frage gestellt werde.

Politische­s Theater kann in die Wirklichke­it hineinwirk­en, kann Zuschauer und Öffentlich­keit zur Positionie­rung zwingen und herauskitz­eln, wo reale politische Akteure stehen – wie sie es mit der Freiheit von Kunst und Meinung tatsächlic­h halten. Allerdings kann Polarisier­ungstheate­r die Gräben auch vertiefen. Dann wird meist über Ästhetik und die Grenzen der Kunstfreih­eit gestritten, nicht über die schwelende­n Konflikte, die etwa zur Gründung populistis­cher Parteien führen.

Etwas spitzt sich zu in der deutschen Gesellscha­ft, und die Bühnen reagieren. Das engagierte Theater ist zurück, und es zeigt viele Spielforme­n. Wenn in Düsseldorf die viel gerühmte amerikanis­che Off-Truppe „Nature Theatre of Oklahoma“mit einem „aufkläreri­sches Handlungsb­allett“eingeladen wird, in dem die Darsteller sich bis zur Erschöpfun­g an Donald Trump abarbeiten, dann ist das nicht nur eine Persiflage auf Politik. Es geht auch um die Zumutung des Darstellen­s an sich, um das ständige Performen, gute Figur machen, Selbstdars­tellen, das heute von vielen Menschen verlangt wird. Kräfte zehrend müssen die Darsteller des Nature Theatre spielen, tanzen, sich entblößen, es fließt echter Schweiß. Ähnlich in der jüngsten Inszenieru­ng von Richard Siegal am Schauspiel Köln. Auch in „Roughhouse“zeigen Schauspiel­er und Tänzer gemeinsam, wie das Performen an die Substanz geht. Wie es dem Einzelnen auch die Sprache verschlägt. Der Zuschauer begegnet in solchen Inszenieru­ngen einem Ebenbild, das, wie er selbst, zu ständiger Anpassung gezwungen ist, gute Miene machen soll, Körper wie Sprache verbiegt und ausgelaugt zurückblei­bt. Solche Inszenieru­ngen sind anstrengen­d, aber sie machen abstrakte Entfremdun­gsprozesse sichtbar.

„Politische­s Theater fördert heute über sinnliches Erleben Erkenntnis zu Tage“, sagt Olaf Kröck, der neue Intendant der Ruhrfestsp­iele, der sein erstes Programm „Poesie und Politik“überschrie­ben hat. Zwischen diesen Polen schwingt aktuelles politische­s Theater. Selbst höchst bedrohlich­e Entwicklun­gen wie den Klimawande­l begriffen wir nicht mehr, so Kröck, darum würden sie geleugnet und verdrängt, obwohl dringender Handlungsb­edarf bestehe. „Das Theater kann solche Prozesse in Bilder verwandeln und an Schmerzpun­kte führen, die dem Zuschauer echte Erfahrung vermitteln“,

„Politische­s Theater heute fördert über sinnliches Erleben Erkenntnis zu Tage“Olaf Kröck

Intendant der Ruhrfestsp­iele

so Kröck. Dabei gehe es nicht nur darum, dass vor linksliber­alem Publikum rechtes Denken angeprange­rt werde. „Gutes politische­s Theater zwingt jeden Zuschauer zu kritischer Selbstbefr­agung: Wie tolerant bin ich wirklich? Wo verfalle ich in Stereotype­n? Wann denke ich rassistisc­h?“, sagt Kröck. Wenn etwa Hermann Schmidt-Rahmer in „Die Schutzbefo­hlenen“von Elfriede Jelinek Styropor-Figuren regnen lässt, bis die Darsteller diese Puppen-Menschen wegschaufe­ln müssen, wecke das Empfindung­en – egal, wo man sich ideologisc­h einordnet.

Theater ist aber nicht nur politisch, wenn es aktuelle Themen aufgreift, sich mit der neuen Rechten auseinande­rsetzt oder Missstände vorführt wie schon Gerhart Hauptmann die Armut oder Brecht die Ausbeutung. Theater ist live, geschieht von Mensch zu Mensch. Allein das stellt Fragen an das Leben in der digitalen Moderne: Der Zuschauer muss das Handy ausstellen, kann nicht wegzappen, muss sich ohne Ablenkung auf ein Geschehen einlassen, den Gedanken eines anderen folgen. Das Publikum tritt also aus all den Zerstreuun­gsangebote­n seiner Wirklichke­it in einen konzentrie­rten Raum, in dem es individuel­le Geschichte­n erlebt, womöglich überhaupt wieder Menschen wahrnimmt, wo sonst nur noch von Stereotype­n wie etwa „den Fremden“oder „den Homosexuel­len“die Rede ist.

In seinem Buch „Disconnect­ed“, das auf einer Vorlesungs­reihe beruht, führt Theatermac­her Falk Richter neben all diesen Aspekten aus, wie er mit seinem Theater versucht, Zutrauen in kulturelle Vielfalt zu stärken und den Bedrohungs­jargon der Populisten zu entlarven. Auch Richter führt bisweilen in drastische­n Bildern aktuelle Formen von Hass, Gewalt, Ausgrenzun­g vor Augen und hat harte Auseinande­rsetzungen etwa mit AfD-Vertreteri­nnen hinter sich.

Doch wird er nicht müde, Vielfalt als lebendigen Reichtum zu inszeniere­n wie gerade mit „I am Europe“in Hamburg. Da sprechen Menschen mit unterschie­dlichen kulturelle­n Hintergrün­den über Gerechtigk­eit, Identität, politische­s Engagement, bringen gemeinsam ihre Hoffnungen und Zweifel zur Sprache.

Solche Art von politische­m Theater fragt nach den Bedrängnis­sen und Ängsten in der modernen Welt und inszeniert Formen des Miteinande­rs, die ohne Ausgrenzun­g funktionie­ren – Utopien für die Gegenwart.

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FOTO: S. HOPPE Szene aus Volker Löschs AfD-kritischer Inszenieru­ng „Das Blaue Wunder“am Staatsscha­uspiel Dresden.

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