Antibiotika – wenn Wunderwaffen versagen
DÜSSELDORF Mandelentzündung im Jahr 2050: Der Hals wird dick, Schlucken ist schmerzhaft. Der Patient sucht einen Arzt auf. So weit, so normal.
Was dann passiert, ist jedoch neu: Der Arzt sagt, er könne nur entzündungshemmende Schmerzmittel geben, denn auf die Antibiotika reagieren die Erreger nicht mehr. Sie seien wirkungslos geworden. Wie es dem Patienten dann ergehen wird, kann niemand vorhersagen. Im besten Fall klingt die Entzündung nach einigen Tagen ab. Es kann aber auch zu einem Abszess kommen, der auf Ohr und Mundhöhle ausstrahlt. Im schlimmsten Fall gerät der Erreger in die Blutbahn und löst eine Blutvergiftung aus. Die würde eigentlich auch mit Antibiotika geheilt werden. Aber zur Erinnerung: Die wirken nicht mehr. Eine eigentlich simple Rachenentzündung könnte fatal enden.
Was sich liest wie ein düsterer Science-Fiction-Roman, könnte laut dem britischen Ökonomen Jim O‘Neil tatsächlich in rund 30 Jahren Realität werden. Dann, so rechnete er für die Vereinten Nationen aus, müsste man mit bis zu zehn Millionen Toten pro Jahr weltweit durch Antibiotika-Resistenz rechnen. Damit wäre sie Todesursache Nummer eins. Das Thema drängt. So sehr, dass der Dokumentarfilmer Michael Wech einen ganzen Film darüber gedreht hat: „Resistance Fighters“. Der Name ist ein Wortspiel. Die Helden des Films sind zwar Teil einer Widerstandsbewegung, sie kämpfen jedoch nicht gegen ein politisches System, sondern sie versuchen, den Widerstand der Bakterien weltweit möglichst lange in Schach zu halten. Aber ist das wirklich nötig?
Tatsächlich hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) multiresistente Keime erst Anfang 2019 zu einer der größten Gesundheitsgefahren weltweit erklärt. In ganz Europa sollen 2017 laut Europäischer Seuchenbehörde mindestens 33.000 Menschen daran gestorben sein, weltweit über 700.000.
Wer verstehen will, wie es soweit kommen konnte, der muss die Ursache bei Ärzten in Praxen und Krankenhäusern, bei Entscheidern in den Zentralen der Pharmaunternehmen, bei Landwirten und Politikern und sogar bei jedem einzelnen Patienten selbst suchen. Sie alle tragen dazu bei, dass das Problem unaufhaltsam wird.
Schon Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillin, prophezeite 1945, als ihm der Nobelpreis oder Blasenentzündung – all diese Eingriffe sind nur dann reibungslos möglich, wenn Antibiotika präventiv oder nachträglich beispielsweise bei einer Wundinfektion gegeben werden können. Besteht diese Möglichkeit nicht, müssen Mediziner wieder arbeiten wie 1915. Das bedeutet vor allem, viel weg- oder rausschneiden.
Natürlich haben Gesundheitsexperten diesen Fall schon einmal in Betracht gezogen und deshalb sogenannte Reserve-Antibiotika definiert. Es sind jene Mittel, die laut WHO nur im absoluten Notfall etwa auf Intensivstationen eingesetzt werden sollen. Denn es sind die Abwehrmittel gegen bestimmte bereits multiresistente Keime. Drei von acht dieser Reservemittel werden jedoch in der Tiermast eingesetzt – in Deutschland.
Und das, obwohl bekannt ist, dass Keime aus Ställen über die Lüftung in die Umwelt gelangen und bei der Schlachtung ins Fleisch abgegeben werden. Fleisch ist deshalb einer der wichtigsten Überträger von Resistenzen. Eines dieser Mittel ist Colistin. In China wurden bereits Colistin-resistente Erreger gefunden. Jetzt besteht die Befürchtung, dass es in Deutschland auch nur noch eine Frage der Zeit ist. Zwar hat die Bundesregierung den Einsatz von Reserveantibiotika in der Tiermast 2018 eingeschränkt, verboten wurde er aber nicht.
Wenn das Thema so wichtig ist, wie konnte es so lange fast unbemerkt bleiben? Auch darauf hat der Film eine Antwort: Antibiotika-Resistenz bricht nicht plötzlich aus wie zum Beispiel Ebola. Sie ist keine Sensation, über die man in der Zeitung stolpert. Oder wie die ehemalige WHO-Generaldirektorin Margret Chan sagt: „Was wir erleben, ist ein Tsunami in Zeitlupe“.