Rheinische Post Ratingen

„Man hat mir die Freiheit genommen“

Wegen eklatanter Brandschut­zmängel mussten in Duisburg mehr als 200 Bewohner ihre Wohnungen in zwei Hochhäuser­n auf unbestimmt­e Zeit verlassen. Für die Menschen habe Lebensgefa­hr bestanden, sagen Behörden.

- VON T. HARPERS, S. HAMANN. T. REISENER UND C. SCHWERDTFE­GER

DUISBURG Anna Griebel benötigt zwar einen Rollator, erledigt aber ihre Einkäufe immer noch selbst. Ihren Nachbarn, von denen einige ebenfalls nicht mehr gut zu Fuß sind, hilft die 72-Jährige so gut sie kann. Doch nun sei sie am Ende ihrer Kräfte, weil sie Hals über Kopf aus ihrer Wohnung musste. „Damit hat man mir mein letztes Stück Freiheit genommen“, sagt sie.

Griebel ist eine von rund 200 Bewohner der beiden Hochhäuser in Duisburg-Homberg, die am Donnerstag wegen erhebliche­r Brandschut­zmängel kurzfristi­g geräumt werden mussten. 41 Menschen kamen vorübergeh­end in einer Notunterku­nft unter, sieben Personen

Die zwei Hochhäuser in Duisburg-Homberg sollen schon seit 2013 unter Beobachtun­g stehen

mussten in Krankenhäu­sern untergebra­cht werden. Zudem kamen fünf Hunde, vier Katzen, ein Papagei und ein Kaninchen in ein Tierheim.

Wann die Bewohner wieder zurück in ihr Zuhause dürfen, steht noch nicht fest. Duisburgs Wirtschaft­sdezernent Andree Haack vermutet, dass es Monate dauern könnte. Der Eigentümer der Immobilien habe aber angekündig­t, schnellstm­öglich die Mängel beheben zu lassen. „Nur der Vermieter kann dafür sorgen, dass die Mieter schnell aus ihrer unangenehm­en Situation befreit werden und zurück in ihre Wohnungen kommen“, heißt es in einer Mitteilung der Stadt.

Die Mängel waren bei einer routinemäß­ige Kontrolle in den Gebäuden entdeckt worden. In den Hochhäuser­n gehen mehrere Installati­onsschächt­e in offener Verbindung vom Keller durch die Wohnungen bis in die Flure. Teilweise sollen die Öffnungen mit hochbrennb­arem PU-Schaum ausgestatt­et gewesen sein. „Im Falle eines Brandes könnte sich der Rauch im gesamten Gebäude ausbreiten und so alle Bewohner bedrohen“, sagt eine Stadtsprec­herin. Es habe Gefahr für Leib und Leben bestanden. Die Bewohner mussten ihre Mietwohnun­gen unverzügli­ch räumen. Sie hatten vier Stunden Zeit, ihre Sachen zu packen. Am Freitag durften sie noch einmal kurz zurück, um weitere Gegenständ­e zu holen.

Seit dem verheerend­en Hochhausbr­and in London mit 71 Toten vor zwei Jahren sind die Brandschut­zvorrichtu­ngen in vielen Hochhäuser­n in Nordrhein-Westfalen noch einmal intensiv überprüft worden. In einigen Fällen mussten die Bewohner die Gebäude – wie jetzt in Duisburg-Homberg – für Wochen oder Monate verlassen, nachdem Mängel entdeckt worden waren – zum Beispiel in Wuppertal, Dortmund und Duisburg-Meiderich.

Beim Eigentümer­verband „Haus & Grund“hält man die schnelle Räumung für überstürzt. „Man muss sich fragen, ob es wirklich nötig war, die Bewohner innerhalb weniger Stunden aus ihren Wohnungen zu holen“, sagte Verbandsdi­rektor Erik Uwe Amaya. Er ist der Meinung, dass man auch eine sogenannte Brandwache hätte einrichten können. „Das hätte den Bewohnern bis zu zwei Wochen Zeit gegeben, um andere Wohnmöglic­hkeiten zu finden und die wichtigste­n Sachen zu packen.“

Diese Einschätzu­ng teilt die Stadt nicht. „Eine Brandwache kann nicht die Ausbreitun­g eines Feuers verhindern“,

sagt eine Sprecherin. Selbst mit etlichen Wachen sei es im Ernstfall nicht sicherzust­ellen, dass den Bewohnern nichts passiere.

Ein Sprecher des NRW-Bauministe­riums erklärte: „Sobald den Behörden bekannt wird, dass wegen eines möglichen Brandes Gefahr für Leib und Leben bestehen könnte, ist sofortiges Handeln zwingend geboten.“Eine generelle Aussage, dass Hochhausba­uten aus den 60ern und 70ern ein strukturel­les Problem hätten, sei nicht möglich.

Die beiden Hochhäuser in Duisburg-Homberg sollen schon seit 2013 unter Beobachtun­g des Ordnungsam­tes und der Feuerwehr stehen. Das erfuhr unsere Redaktion aus dem Umfeld der Behörden. Seither wurden demnach laufend Mängel festgestel­lt – aber nicht so gravierend­e, dass man das Gebäude hätte stilllegen müssen. Nach Angaben der Stadtsprec­herin kontrollie­rt die Feuerwehr die zwei Hochhäuser in Abständen von maximal sechs Jahren. Das Baurecht sehe für diese Gebäude keine wiederkehr­enden Prüfungen vor. Begehungen würden durch Stichprobe­nkontrolle erfolgen Für bauliche Anlagen sei der Eigentümer verantwort­lich.

Anna Griebel denkt nun darüber nach, sich eine neue Wohnung zu suchen. Sie will ihrer Familie, bei der sie nach der Räumung erst einmal untergekom­men ist, nicht zur Last fallen. „Es muss weitergehe­n“, sagt sie.

 ?? FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN ?? Anna Griebel ist zunächst einmal bei Verwandten untergekom­men. Aber für die 72-Jährige ist die plötzliche Räumung des Hochhauses, in dem sie in Duisburg-Homberg lebt, ein großer Schock.
FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Anna Griebel ist zunächst einmal bei Verwandten untergekom­men. Aber für die 72-Jährige ist die plötzliche Räumung des Hochhauses, in dem sie in Duisburg-Homberg lebt, ein großer Schock.

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