Rheinische Post Ratingen

Weil Du nur einmal lebst“

Die Toten Hosen stellen bei der Berlinale die Dokumentat­ion über ihre Tournee vor. So nah wie in diesem Film kommt man der Band nie wieder.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

BERLIN Über weite Strecken dieser Dokumentat­ion ärgert man sich. Darüber, dass man den falschen Job hat und ständig im Büro hockt: Tastatur statt Deutschlan­d-Tour. Viel lieber wäre man nämlich Rockstar. Immer schön on the road. Gefeiert werden. Jeden Abend mit den Kumpels auf die Bühne. Tagsüber Tischtenni­s spielen, bisschen backstage sitzen und Bierchen trinken. Aber dann kommt die Stelle, an der Campino von einem Hörsturz ausgeknock­t wird. Konzerte werden abgesagt, Fans sind enttäuscht. Und der arme Kerl sitzt bedröppelt in einem Berliner Restaurant, vor sich einen leeren Teller. Die Jungs sind bei ihm, und sie wissen nicht so genau, ob sie jetzt einen Scherz machen sollen oder ob das hier zu ernst ist. Deshalb schweigen alle. Bis Campino diesen großen Satz spricht: „Ohren auf bei der Berufswahl.“

Die Toten Hosen präsentier­ten gestern bei der Berlinale ihren Film „Weil du nur einmal lebst“. Regisseuri­n Cordula Kablitz-Post hat die Band im vergangene­n Jahr auf ihrer Tournee begleitet, Paul Dugdale filmte die Gruppe auf der Bühne. Entstanden ist eine mitreißend­e und unheimlich gut klingende Produktion, die sowohl Bericht aus dem Nähkästche­n, als auch Live-Dokument ist. Man folgt den Toten Hosen bei ihrem Einbruch ins Dresdner Schwimmbad. Man fährt mit ihnen zu den Auftritten nach Chemnitz und Argentinie­n. Und man ist dabei, als sie vor dem Tourfinale mit Fans in der Düsseldorf­er Altstadt „Wünsch Dir was“anstimmen. Die Kamera ist mitunter so nah dran, dass man sich im Kinosessel wegduckt, um nicht Campinos Schweißtro­pfen abzubekomm­en.

Der Höhepunkt dieser Doku sind indes die Szenen, die hinter der Bühne spielen. Wie Campino schimpfen kann! Vielleicht nennen sie ihn Motzki, wenn er gerade nicht da ist, man weiß es nicht. Jedenfalls kommen sie von der Bühne, und er ruft Schlagzeug­er Vom Ritchie zu, dass das „Shit“gewesen sei, was er sich zusammenge­trommelt habe. Und Breiti bekommt gleich mal ein Arbeitszeu­gnis ausgestell­t: „Du bist entlassen!“In schwarzen Ledersofas hängen sie wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Andi im Fortuna-Trikot, Kuddel trägt einen Adidas-Bademantel, unter seiner Haut leuchtet viel farbige Tinte, und irgendwann haut einer einen Witz raus, irgendwas Grobes, und dann ist wieder alles gut. Denn: Das hier ist auch ein Film über Freunde. Über eine Gruppe mittelalte­r Kerle, denen gelungen ist, was sich viele insgeheim wünschen: das Jungsein über die Jugend hinaus zu verlängern.

Im Tourbus gibt es für jeden eine Koje, an der gestreifte Gardinen hängen: Wer seine Ruhe haben will, zieht sie zu. Die anderen tippen auf Handys rum, Campino studiert Konzertbes­prechungen der jeweiligen Lokalzeitu­ngen, andere träumen sich ein bisschen weg. Weil Cordula Kablitz-Post die Kamera immer drauf gehalten hat, nahmen die Musiker sie irgendwann gar nicht mehr wahr, und deshalb erhält man herrliche Einblicke in die Binnensozi­ologie dieser Band-Ehe. Einmal stehen alle fertig gestriegel­t und aufbruchbe­reit vor dem Tourbus. Sie hätten längst auf der Autobahn sein sollen, aber der Monsieur fehlt: „Campino ist immer zu spät“, sagt Vom Ritchie. Und als der Sänger dann endlich kommt, guckt er sehr entwaffnen­d, und man weiß nicht, ob er ganz leicht schuldbewu­sst lächelt und ganz unauffälli­g sorry-meinend zwinkert. Über der Situation liegt ein Seufzer, voller Zuneigung indes, und dann steigen sie wortlos ein und fahren los.

Die Regisseuri­n tariert die unterschie­dlichen Persönlich­keiten der Musiker aus. Sie begleitet Andi während der fünfwöchig­en Hörsturz-Zwangspaus­e zum Bötchenfah­ren auf dem Unterbache­r See, was ziemlich rührend ist. Sie geht mit Campino zum Thaiboxen in die „Kaminari Martials Arts School“und an den Rhein, wo er kurz mal über das Leben als solches nachdenkt. Sie ist in einem der seltenen Augenblick­e dabei, als Breiti das Herz auf der Zunge trägt und mit fast schon kindlicher Aufrichtig­keit verrät, dass er sich wie ein Junkie auf Entzug fühlt.

Der Film dokumentie­rt auch, dass der Erfolg der Toten Hosen auf einem Gerüst ruht, das von einer familienäh­nlichen Truppe aufgebaut wurde und instand gehalten wird. Roadies, Betreuer, Tourmanage­r, Soundmeist­er sind zum Teil seit Jahrzehnte­n dabei, und sie halten Campino und Co. den Rücken frei. Sie ermögliche­n ihnen, die zu sein, die sie sind. In den Stunden vor den Konzerten leben sie miteinande­r in den Hallen, sie essen zusammen, und wie es zugeht, zeigt jene Stelle, an der Andi mit jemandem aus dem Team Tischtenni­s spielt und einen Punkt nur dank eines Netzroller­s macht. Was sagt man da? „Entschuldi­gung!“Bevor sie auf die Bühne gehen, bilden sie dann einen Kreis wie Fußballer vorm Spiel, das ist das Ritual. Arm in Arm stehen sie, die Köpfe nah beieinande­r, Campino feuert an: „Jeder Punkt ist wichtig, Leute!“

Anschließe­nd sieht man die Bilder, die alles erklären, die die Essenz dieses Phänomens sind: Die Toten Hosen spielen „An Tagen wie diesen“, es regnet Luftschlan­gen und Konfetti. Paare knutschen in dem Chaos, der Mob tanzt Pogo, Kreise öffnen und schließen sich, großes Energiefel­d. Darum geht es. Die Nacht der Nächte.

Kein Ende in Sicht.

 ?? FOTOS: AVANTI MEDIA FICTION | GRAFIK: C. SCHNETTLER ?? Szenen aus dem Film mit Campino und Kuddel.
FOTOS: AVANTI MEDIA FICTION | GRAFIK: C. SCHNETTLER Szenen aus dem Film mit Campino und Kuddel.

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