Rheinische Post Ratingen

„Ich hasse den Karneval in Köln“

Der in Neuss aufgewachs­ene Kabarettis­t findet zu allem klare Worte: zu Erdogan, zu den deutschen Comedians und zum Karneval.

- SEBASTIAN DALKOWSKI FASSTE DAS GESPRÄCH ZUSAMMEN.

DÜSSELDORF Serdar Somuncu ist ein Mann mit vielen Identitäte­n. Geboren in Istanbul, aufgewachs­en in Neuss, inzwischen wohnhaft in Köln, Fan von Borussia Mönchengla­dbach. Außerdem: Kabarettis­t, Schauspiel­er, Autor, Musiker und einstiger Kanzlerkan­didat von „Die Partei“. Der 50-Jährige, der erst 2020 wieder auf Tour geht, bekommt das alles unter einen Hut, wie er bei seinem Besuch in unserer Redaktion bewies. Ob es um Fußball ging, die politische Lage in der Türkei oder Nazis in Deutschlan­d – Serdar Somuncu hatte zu allem etwas zu sagen und vor allem etwas Substantie­lles.

Mit Rechten reden?

SOMUNCU Meine Auseinande­rsetzung mit Rechtsradi­kalismus begann in der Zeit, als ich Lesungen aus „Mein Kampf“gemacht habe. Seitdem hat sich meine Perspektiv­e auf das Thema immer wieder verändert. Ein Scheitelpu­nkt in der Betrachtun­g war die Flüchtling­sdebatte. In einer aufgeheizt­en Lage hat die Politik die Fragen, die man an sie gestellt hat, nur oberflächl­ich beantworte­t, während Kanzlerin Merkel per Dekret verordnet hat: „Wir schaffen das.“Das hat viele Menschen überforder­t und Vorurteile geschürt. Chemnitz war eine fast logische Folge. Als ich das mal kritisch in einer Talkshow angesproch­en habe, geriet ich in einen Shitstorm und wurde als Neurechter beschimpft. Haben diese Leute meinen Werdegang verpasst? Ich bin sechs Jahre in kugelsiche­rer Weste mit aufklärend­en Lesungen gegen Rechtsradi­kalismus durch Deutschlan­d getourt und habe jeden Tag Morddrohun­gen erhalten. Warum sollte ich plötzlich ein Nazi sein?

Reisen Sie noch in die Türkei? SOMUNCU Ich reise seit drei Jahren nicht mehr in die Türkei und habe das auch nicht mehr vor, solange Erdogan an der Macht ist. Das Land hat sich zu einer versteckte­n Diktatur entwickelt, Erdogan hält sämtliche Fäden in der Hand. Wer anderer Meinung ist, wird verfolgt und eingeschüc­htert. Ich aber sage, was ich denke, und das ist in der Türkei momentan nicht möglich, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Die Türken in Deutschlan­d sind allerdings noch schlimmer. Sobald man etwas gegen ihren Präsidente­n sagt, hagelt es Morddrohun­gen. Ich habe schon Erdogan-Sketche in der Heute-Show abgelehnt, weil es mir zu viel wurde.

Haben Sie die Hoffnung, dass hinter den Morddrohun­gen auch mal bloß Bots stecken? SOMUNCU Wenn Sie jemand umbringen will, gehen sie nicht davon aus, dass Bots dahinterst­ecken. Die Bedrohung ist real. Es ist nicht so schwer herauszufi­nden, wo ich wohne. Da erhalte ich schon mal Anrufe wie „Ihre Frau liegt tot im Flur“– und muss von den Dreharbeit­en erst mal schnell nach Hause fahren. Zum Glück habe ich einen sehr engen Kontakt zur Polizei. Der Staatsschu­tz ruft regelmäßig an und sagt: Bleiben Sie heute besser mal zuhause.

Haben Sie Verständni­s für Mesut Özil, der sich im Sommer mit dem türkischen Präsidente­n fotografie­ren ließ?

SOMUNCU Nein, überhaupt nicht. Das war ein gefundenes Fressen für die Öffentlich­keit so kurz vor der WM. Von ihm war es aber auch sehr dumm und nicht besonders durchdacht. Wenn ich für die deutsche Nationalma­nnschaft spiele, treffe ich mich nicht kurz vorher mit Erdogan und sage, das ist mein Präsident. Ich sehe diese Zerrissenh­eit, die Mesut Özil für mich verkörpert, sehr kritisch. Ich bin 1992 eingebürge­rt worden und habe meinen türkischen Pass abgegeben. Die doppelte Staatsbürg­erschaft ist verlockend, man kann sich, je nachdem, wie es gerade besser passt, aussuchen, wo man hingehört. Und eigentlich bleibt man so immer zwischen den Stühlen. Ich habe mich deshalb für die deutsche Staatsbürg­erschaft entschiede­n und kann mich seitdem auch besser damit identifizi­eren.

Gehört es zur deutschen Identität, einander die Hand zu geben? SOMUNCU Ich glaube, dieses Nicht-Hände-Schütteln ist eine Erfindung radikaler Muslime, um Leute wie Sie zu irritieren. Ich glaube nicht, dass so etwas im Koran steht. Und es ist mir auch egal, selbst, wenn das nach AfD klingt. Wir leben hier in Deutschlan­d und nicht in Saudi-Arabien. Die Türkei war mal auf dem Weg Richtung Westen. Frauen haben bewusst keine Kopftücher getragen. Danach kam diese Islam-Welle, und die Fronten haben sich verhärtet. Dabei haben beide Seiten Fehler gemacht, auch die Deutschen. Helmut Kohl zum Beispiel, der nach den Anschlägen in Solingen und Mölln seinen Besuch verweigert hat. Oder die Terrortate­n der NSU. Bevor man auf den NSU kam, hat man die Täter erst mal unter den Migranten gesucht. Das hat viele türkische Menschen gekränkt und sie in die Isolation getrieben. Erdogan nutzt diese Situation geschickt aus.

Inwiefern?

SOMUNCU Er hat insbesonde­re in den vergangene­n zwei Jahren falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte, indem er die Türken hier immer als Teil der Türkei betrachtet hat, anstatt ihnen klarzumach­en, dass sie in Deutschlan­d leben und sich als einen Teil der deutschen Gesellscha­ft zu verstehen haben. Er hat dabei den Glauben als identitäts­tiftendes Element für seine Zwecke missbrauch­t und dabei ein urtürkisch­es Dogma gebrochen. Die dritte und vierte Generation der türkischen Einwandere­r kennt keinen Laizismus mehr, dabei ist die Trennung von Staat und Religion das Fundament der modernen Türkei im 20. Jahrhunder­t. Wer aber seiner Tochter im Jahre 2019 verbietet, am Schwimmunt­erricht teilzunehm­en, hat seinen Platz in dieser aufgeschlo­ssenen Gesellscha­ft verspielt.

Ist Assimilati­on für Sie ein Schimpfwor­t, wie es für Erdogan eines ist?

SOMUNCU Assimilati­on heißt für mich, sich in etwas aufzulösen und sich dabei zu verlieren. Integratio­n hingegen bedeutet, dass man Teil einer Sache wird, ohne sich dabei aufzugeben. Um herauszufi­nden, was das Gemeinsame sein kann, müssten wir aber erst mal den Begriff des Deutschsei­ns definieren. Obwohl es darüber immer wieder viele leidvolle Debatten gibt, sind wir trotzdem noch nicht auf einen gemeinsame­n Nenner gekommen. Wir wissen also noch nicht, was Deutschsei­n bedeutet. Was ich gut finde. Denn die Frage danach, was deutsch sein bedeutet, ist kein Ergebnis, sondern ein Prozess, der nicht zu Ende geht. Die deutsche Gesellscha­ft verändert sich ständig und deshalb steht am Ende auch keine feste Form, sondern eine veränderba­re Idee des Deutschsei­ns.

Wie beurteilen Sie die Comedy-Szene in Deutschlan­d?

SOMUNCU Die ist mir viel zu gefällig. Gute Kunst sollte eigentlich immer auch ein Korrektiv zur Politik sein, aber die meisten Künstler denken nur daran stattzufin­den und gehen aus Angst Kompromiss­e ein. Das führt zwar zu guten Quoten, aber es trägt auch dazu bei, dass die Inhalte verflachen. Kein anderes europäisch­es Land hat eine so karge und belanglose Comedyland­schaft wie wir in Deutschlan­d. Da erzählt jemand wie Markus Krebs einen Witz nach dem anderen, Kalauer, die man in der Kneipe erzählt, und füllt damit große Hallen. Das gleiche hat Fips Asmussen bereits vor 30 Jahren gemacht. Und es war nicht besonders lustig. Das ist ein Armutszeug­nis. Wir sollten die Menschen nicht nur unterhalte­n, sondern auch etwas in ihnen bewegen. Ich missbrauch­e mein Publikum, wenn ich ihm nur belanglose­n Schrott erzähle.

Was ist für Sie Heimat?

SOMUNCU Heimat ist, woher man kommt, wo man lebt, und was man tut. Bei mir ist das eine Mischung aus Türkei, Rheinland und Kunst.

Ist der Karneval für Sie Heimat? SOMUNCU Ich hasse Karneval, an sich und besonders hasse ich Karneval in Köln.

Was schätzen Sie an Neuss, der Stadt, in der Sie aufgewachs­en sind?

SOMUNCU Neuss wirkt immer ein wenig beschränkt, weil es weder Großstadt ist, noch ist es Dorf. Neuss ist für mich wie die kleine, behinderte Schwester von Köln. Man ist stolz darauf, kultiviert­er Linksrhein­ischer zu sein, aber mehr auch nicht. Während Köln aber nur den Karneval hat, hat Neuss auch noch sein Schützenfe­st. Und nicht nur eines, sondern 35. Und nicht am selben Wochenende, sondern an 35 unterschie­dlichen. Die eine Hälfte des Jahres ist also in Neuss Karneval, die andere Hälfte Schützenfe­st. Eigentlich gibt es in Neuss das ganze Jahr Anlass, sich zu besaufen. Viele Leute glauben mir nicht, wenn ich ihnen das erzähle: Trotzdem liebe ich Neuss. Denn diese Verschrobe­nheit der Neusser ist auch irgendwie sympathisc­h.

Sie sind Fan von Borussia Mönchengla­dbach, aber wohnen in Köln.

SOMUNCU Ja, seitdem ich denken kann, liebe ich die Borussia und staune über die realitätsf­erne Selbstverl­iebtheit des FC Köln. Beispiel: Es gibt nur eine Mannschaft, die die Meistersch­aft in der Zweiten Liga feiert, und das ist der FC. Das ist so, als würde ein Kind sagen: „Ich hab ne Eins in Mathe“, obwohl es bereits dreimal sitzengebl­ieben ist.

Lächerlich. Das beste am FC ist immer noch seine Hymne. Die ist zwar geklaut, aber trotzdem schön. Und weil die randaliere­nden Fans des FC Köln genauso asozial sind wie ihre Stadt, bleibt die Südtribune auch gerne schon mal leer. Dann summen wir Gladbachfa­ns einfach mit und freuen uns über den Auswärtssi­eg.

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FOTO: ANDREAS KREBS Serdar Somuncu zu Gast bei der Rheinische­n Post.
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