Rheinische Post Ratingen

Keramik zwischen Form und Funktion

Das Bauhaus beeinfluss­te Architektu­r, Keramik und Design: Das Hetjens-Museum zeigt nun eine Ausstellun­g über den Stil, der auch 100 Jahre nach seiner Entstehung unsere Vorstellun­g vom Ästhetik prägt.

- VON VIKTOR MARINOV

Einen Tag vor der Eröffnung herrscht noch Geschäftig­keit im Untergesch­oss des Hetjens-Museums. Neben zwei aufgeklapp­ten silbernen Leitern liegen geöffnete Werkzeugko­ffer, es wird gebohrt und geklopft. Die Decken sind so niedrig, dass man fast auf die Idee kommen könnte, die Leitern hätten keinen praktische­n Zweck, sondern gehörten zum Dekor. Thematisch würde das passen. „Es gibt keinen Wesensunte­rschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker“: Dieser Satz von Bauhaus-Gründer Walter Gropius begrüßt den Besucher schon vor dem Eingang der Ausstellun­g im Treppenhau­s. Am Samstag eröffnet die Schau im Keramik-Museum.

Das Bauhaus steht, so wie in der Architektu­r auch in der Keramik, für moderne Formen, aber auch für das Praktische. Die Ausstellun­g im Hetjens-Museum zeigt, wie weit der Einfluss dieses Stils reicht und wie viel davon bis heute bekannt wirkt, auch 100 Jahre nach der Gründung der Schule in Weimar. Streng genommen feiert die erste Keramik-Werkstatt, die von Gropius eröffnet wurde, ihren 99. Geburtstag. Ein Jahr nach der Eröffnung der Kunstschul­e war es nämlich, also 1920, als Walter Gropius in Dornburg an der Saale für die Werkstatt den richtigen Standort fand. Von Anfang an war dort klar: Ästhetik sollte Hand in Hand mit Funktion gehen, der soziale Gedanke war für das Bauhaus zentral. Diese Verbindung macht auch der Titel der neuen Hetjens-Ausstellun­g deutlich: „Wechselwir­kungen. Meister und Gesellen des Bauhauses zwischen Werkstatt und Industrie“.

Es sind also viele funktional­e Objekte unter den rund 130 Exponaten. Dafür steht exemplaris­ch Theodor Bogler – seine emblematis­che Küchengarn­itur mit fünf Teilen ist schlicht, schön und weiß. Darauf in klarer Schrift: „Essig“, „Mehl“, „Ingwer“, „Zimmet“, „Erbsen“. Es sind leichte Behältniss­e, die praktisch nebeneinan­der auf das Regal gestellt und heraus genommen werden können. „Das war die Ausstattun­g der Köche“, sagt Kuratorin Christina Kallieris. Alles sei aus der Perspektiv­e der Benutzer gedacht, sagt sie. „Also frühes Ikea“, fügt Museumslei­terin Daniela Antonin scherzhaft hinzu.

Ein besonderer Fokus der Ausstellun­g liegt auf Werken von Frauen. Obwohl das Bauhaus von Anfang an für Gleichbere­chtigung stand, hatten Frauen in der Praxis kaum Aufstiegsc­hancen, sagt Kuratorin Christina Kallieris. Mehr Erfolg hätten viele von ihnen in der Industrie gehabt. „Dort waren sie Chefentwer­ferinnen.“So wie Eva Stricker-Zeisel – die in Budapest geborene Jüdin sei bis heute in ihrer Wahlheimat, die USA, als große Industried­esignerin bekannt. Obwohl sie nie am Bauhaus studierte, ist der Einfluss nicht zu übersehen. Ein von ihr entworfene­r Krug ist im Hetjens zu sehen, flach von der Seite, damit sich daran weitere flache Behältniss­e fügen können. Gleichzeit­ig ist das Service in hellen, fast grellen Farben gehalten: viel Grün, durchstoch­en von Pinselstri­chen in Gelb, Orange und Rötlich-Braun. „Verspielt“nennt Daniela Antonin das. Stricker-Zeisel ist Bauhaus ohne seine typische Strenge.

Solche Hybridform­en ziehen sich durch die neue Ausstellun­g im Keramik-Museum. Die meisten Künstler haben Aspekte des Bauhauses übernommen und ihre eigenen Vorstellun­gen hinzugefüg­t. Deswegen passt es auch, dass die Schöpfer mit Bild und Biografie neben ihren Werken gezeigt werden. In dem neuen Rundgang erfährt man viel über Keramik im Bauhaus und mindestens genau so viel über die Menschen, die sie gestaltete­n.

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FOTO: ANNEGRET GOSSENS Teegeschir­r entworfen von Eva Stricker-Zeisel: ein Hybrid aus Form und Ästhetik.

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