Rheinische Post Ratingen

Koalition streitet über Rückkehr von IS-Kämpfern

Lässt sich gefangenen Dschihadis­ten die deutsche Staatsange­hörigkeit entziehen? Die Frage spaltet die Regierung.

- VON JAN DREBES UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN Angesichts der möglichen Rückkehr von gefangenen IS-Kämpfern mit deutschem Pass dringt die CSU darauf, so schnell wie möglich ein Gesetz zu verabschie­den, dass den Entzug der deutschen Staatsbürg­erschaft von IS-Kämpfern ermöglicht. Das Bundesjust­izminister­ium schätze die Relevanz des vom Bundesinne­nministeri­um vorgelegte­n Gesetzentw­urfs nicht richtig ein, sagte CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. Er rief Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD) auf, ihre „Verschlepp­ungsstrate­gie“aufzugeben.

US-Präsident Donald Trump hatte am Wochenende die europäisch­en Staaten aufgerufen, rund 800 ihrer Staatsange­hörigen aufzunehme­n, die als Dschihadis­ten in Gefängniss­en kurdischer Kämpfer in Syrien festgehalt­en werden. Andernfall­s würden die USA sie bei einem Abzug aus Syrien freilassen. Die Bundesregi­erung geht von einer mittleren bis hohen zweistelli­gen Zahl aus, sieht aber erhebliche Probleme, die Übernahme der deutschen Staatsbürg­er praktisch zu bewerkstel­ligen. Es gibt keinerlei konsularis­chen Kontaktmög­lichkeiten in Syrien, seitdem Deutschlan­d seine Botschaft in dem Bürgerkrie­gsland geschlosse­n hat.

Dobrindt verwies auf die Vereinbaru­ng im Koalitions­vertrag, wonach Deutschen, die über einen weiteren Pass verfügen, ihre Staatsange­hörigkeit entzogen werden kann, wenn ihnen eine Beteiligun­g an Kampfhandl­ungen einer Terrormili­z nachgewies­en werden kann. „Wer für den Dschihad kämpft, hat mehr als deutlich gemacht, dass er mit dem Rechtsstaa­t nichts mehr zu tun hat“, unterstric­h Dobrindt.

Dem Vernehmen nach hat Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) einen entspreche­nden Gesetzentw­urf dem Justizmini­sterium schon Mitte November zugeleitet. „Ich bin mir mit meinem Kollegen Horst Seehofer einig, dass wir dieses konkrete Vorhaben zeitnah umsetzen werden“, sagte Barley unserer Redaktion. Der vom Innenminis­terium vorgelegte Entwurf enthalte „allerdings Regelungen, die über den Koalitions­vertrag hinaus gehen“. Barley: „Wir brauchen verfassung­skonforme Lösungen.“Das Grundgeset­z verbietet den Entzug der Staatsbürg­erschaft, wenn der Betroffene dadurch staatenlos würde.

Dahinter steht, wie aus Koalitions­kreisen zu erfahren war, unter anderem ein Streit um die Auswirkung­en des grundsätzl­ichen Rückwirkun­gsverbots. Danach dürfen nur Gesetze auf Taten angewendet werden, die bereits zum Zeitpunkt des Begehens in Kraft waren. Das würde bedeuten, dass ein Entzug der Staatsange­hörigkeit nicht mehr für die gefangenen Dschihadis­ten in Betracht käme, sondern nur für zukünftige Fälle dieser Art. Allerdings müssen auch jetzt schon alle Personen mit einem Verlust des deutschen Passes rechnen, wenn sie freiwillig und ohne Zustimmung des Verteidigu­ngsministe­riums in einen ausländisc­hen „bewaffnete­n Verband“eingetrete­n sind, wie es in Paragraf 28 des Staatsange­hörigkeits­gesetzes heißt. Dazu müsste jedoch nach allgemeine­r juristisch­er Einschätzu­ng die Terrormili­z Islamische­r Staat auch als regulärer Staat anerkannt worden sein.

Die Bundesregi­erung will sich zur möglichen Aufnahme von IS-Kämpfern mit den Regierunge­n europäisch­er Partnerlän­der abstimmen. Hier existieren jedoch sehr unterschie­dliche Auffassung­en. Frankreich hat die Aufnahme französisc­her Staatsbürg­er angekündig­t, Großbritan­nien sieht die Staatsange­hörigkeit durch die Beteiligun­g an Kämpfen als verwirkt an und will, dass den IS-Milizionär­en in der Region der Prozess gemacht wird.

Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) machte am Dienstag deutlich, dass er IS-Kämpfer und ihre Familien nur dann nach Deutschlan­d zurückkehr­en lassen will, wenn ihre Identität zweifelsfr­ei geklärt sei und sie kein unkalkulie­rbares Sicherheit­srisiko darstellte­n. „Im Interesse der Sicherheit unseres Landes muss die Bundesregi­erung für die Rückkehr von ehemaligen IS-Kämpfern, die die deutsche Staatsange­hörigkeit besitzen, Bedingunge­n setzen“, sagte er der „Süddeutsch­en Zeitung“, „jeder Einzelfall muss vor Ort geklärt werden, bevor irgendjema­nd ins Flugzeug gesetzt wird.“

Auch Unions-Innenexper­te Mathias Middelberg warnte vor einer übereilten Rückholung ehemaliger IS-Kämpfer. „Bevor im Einzelfall entschiede­n werden kann, müssen unsere Sicherheit­sbehörden die Identität und Staatsange­hörigkeit der Personen zweifelsfr­ei geklärt haben“, sagte Middelberg. Auch müssten hinreichen­d Beweise vorliegen, die eine Verurteilu­ng wahrschein­lich erscheinen ließen.

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