Rheinische Post Ratingen

Derbe Sprache und hervorrage­nde Musik

Nach anfänglich­er Skepsis sind unsere Beobachter von der Premiere des Stücks begeistert.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Zeitgenöss­ische Musik und ein blutiges Inzest-Drama – würde man diesen Abend wirklich genießen können? Nach der Premiere von „Schade, dass sie eine Hure war“hatte sich die Skepsis zu einer (fast) einhellige­n Begeisteru­ng gewandelt. Jenny Ritter, Tai-Chi-Lehrerin: „Ich hatte arge Bedenken und erwartete Schrecklic­hes. Allein schon der Titel! Aber dann gefiel mir alles richtig gut. Die Musik, die bunte Bühne, die Kostümwech­sel, die Besetzung, sogar die komödianti­schen Figuren. Vor allem überrascht­e es mich, wie man heute so eine Oper schreiben kann, auch mit der Derbheit der Sprache. Geärgert hat mich nur, dass immer die Frau die Hure ist.“Stefan Pütz, Buchhändle­r: „Ein grandioses Bühnenbild mit tollen Ideen – der Fliegenpil­z, der Bauhaus-Bungalow. Schöne Kostüme von barock bis modern. Und hervorrage­nde Musik, deren raffiniert platzierte Brüche wunderbar herausgesp­ielt wurden. Ein abwechslun­gsreiches und beeindruck­endes Medley. Mich erinnerte es an das britische Kino der 80er Jahre, auch mit seinem hintergrün­digen Humor. Erstaunlic­h, dass es bei den vielen Elementen gar kein Verzetteln gab.“Susanne Bunka, Gastronomi­n: „Eine spannende Inszenieru­ng. In ihr wurde vieles angedeutet, was mich zu Gedankensp­ielen anregte. Bühnenbild und Sänger waren toll. Nur die klamaukige­n Szenen kamen mir etwas übertriebe­n vor, da war der Bruch dann doch zu stark.“

Markus Wendel, Feuerwehrm­ann: „Komponist Anno Schreier wollte unterhalte­n, dieses Konzept ging voll und ganz auf. Eine unglaublic­h vielseitig­e Musik mit Wow-Effekten und eine Inszenieru­ng mit schönen Überraschu­ngen, bis hin zum tödlichen Fliegenpil­z. Wir hörten viele Wörter, die wohl noch nie gesungen wurden. Ich musste oft lachen und mich bei manchen Szenen richtig beherrsche­n. Großartig auch die atmosphäri­sche Dichte und Gradlinigk­eit, etwa bei dem dekonstrui­erten und im zweiten Teil wieder zusammenge­setzten Bühnenbild.“Sandra Christmann, Kulturmana­gerin: „Splatter, Shakespear­e, commedia dell’arte, trashy – alles drin. Manchmal dachte ich, das bringen die jetzt nicht wirklich. Und dann taten sie es doch. Den Abend habe ich genossen, nur die Schimpfwör­ter störten mich. Mein architekto­nisches Wohlfühl-Highlight war das sensatione­lle Bühnenbild im zweiten Teil.“

Michael Langenberg­er, Wirtschaft­s-Mediator: „Ich muss etwas Wasser in den Wein schütten. Mein Zugang ist immer die Musik. Hier fand ich sie dissonant und anstrengen­d. Bei mir kam nichts an. Bühne, Kostüme und Sänger ließen rein gar nichts vermissen. Aber bei allem Respekt vor der Qualität: Ich glaube, ein Reißer wird das nicht.“

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FOTOS: HANS JÖRG MICHEL, ANDREAS ENDERMANN (2) Szene aus dem Stück „Schade, dass sie eine Hure war“mit Bergetto (Florian Simson) und Philotis (Paula Iancic).
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Opern-Scout Markus Wendel
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Opern-Scout Sandra Christmann

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