Mit Lang Lang zurück in die Kindheit
Der chinesische Starpianist hat nach seiner Krankheit eine neue Platte aufgenommen: „Piano Book“.
DÜSSELDORF Lang ist’s her, dass er eine CD auf den Markt gebracht hat. Zuvor war seine Produktion zuverlässig gewesen, alle paar Monate bediente er die Neugier des Publikums, er spielte das Teufelszeug ebenso wie das süße Naschwerk. Die komplexe erste Chopin-Ballade g-Moll mit ihrem höllischen „Con fuoco“-Abgang nahm er auf, doch auch das schlummertrunkhafte Rieseln von Liszts „Liebestraum“oder niedliche chinesische Blumengebinde nach Noten.
Doch dann kam eine Krankheit, die ihn zum Aufhören zwang, der linke Arm machte nicht mehr mit, so hieß es, von einer Sehnenscheidenentzündung war die Rede. Fast ein Jahr war Lang Lang vom Erdboden verschwunden, bisweilen trat er wie ein Zirkusartist als einarmiger Pianist auf, nur mit rechts natürlich. Und als er im vergangenen Jahr erstmals wieder Konzerte gab, wunderte man sich über seine defensiven Programme. Vor allem spielte er Werke, welche die linke Hand schonten. Darin konnte man einen prophylaktischen Akt der Klugheit sehen. Vielleicht hat ihm jemand gesagt: Wenn du in 30 Jahren noch spielen willst, dann gönne deiner Linken jetzt erst einmal Schonung!
Doch jetzt werden wieder alle in die Läden und ins Internet vordringen, um Lang Langs neue CD zu erwerben. Sie hat etwas Unschuldiges, etwas Kindhaftes, was auch an den schneeweißen Designer-Klamotten liegt, die er auf dem Cover trägt. Die Finger wird er sich nicht schmutzig machen. Viele Stücke stehen in C-Dur, der „weißen“Tonart, oder haben nur wenig Vorzeichen. „Piano Book“heißt die Scheibe, und es sind allesamt Stücke unserer pianistischen Jugend, unserer Gehversuche, des Tastens auf den Tasten. Zugleich sind es jene Kompositionen, in denen ein Eleve erstmals in die Zone des Ausdrucks vordringt.
Was also steht an? Mozarts „Sonata facile“, Beethovens „Für Elise“, Chopins „Regentropfen-Prélude“, Clementis C-Dur-Sonatine, Bachs C-Dur-Präludium und G-Dur-Menuett, Schumanns „Wilder Reiter“, Mendelssohns „Spinnerlied“oder Debussys „Doctor Gradus ad Parnassum“. Für gehobene Ansprüche und den abendlichen Entspannungsbedarf der Klavierschülermutter bietet sich Debussys „Clair de lune“an.
Lang Lang weiß natürlich längst, wie der Musikbetrieb funktioniert. Er könnte den „Flohwalzer“spielen, und zwar durch alle Tonarten – die Leute würden wie wild zugreifen. Lang Lang macht ja auf durchaus liebenswürdige Weise klar, dass einer kein bedeutender Pianist sein muss, um trotzdem zu Recht als Superstar gefeiert zu werden.
Die Farbe Weiß ist natürlich auch die Farbe der Heilkunst, das Symbol der Reinigung. Die Vergangenheit ist verflossen, Lang trägt die medizinischen Entlasspapiere vor sich her und zu seinem schwarzen Steinway. Wir erleben ein Ritual in Schwarz und Weiß, das Klavier und sein Diener – und wir können beruhigt sein: Lang Lang hat nichts verlernt, der Mendelssohn schnurrt vollkommen gleichmäßig, der „Doctor“rennt wie von der Tarantel gestochen über die Klaviatur. Mozart klingt bei Lang Lang immer noch wie von Maurice Ravel: farbig, nuancenreich, fast impressionistisch. Und manches ist auffallend langsam, etwa „Clair de lune“.
Wer genauer hinhört oder die Noten kennt, der darf natürlich wissend anmerken: Die linke Hand hat fast nichts zu tun. Das Rauschen und das Glitzern, die geballten Akkorde und die schnellen Sprünge: Schweres wird souverän erledigt, leider nie mit links. Kommt das irgendwann noch? Hoffentlich.