Rheinische Post Ratingen

Corona bestimmt unser Leben

Der kommissari­sche Stadtdecha­nt über die Angst, Verantwort­ung und seine persönlich­e Trauer.

- VON FRANK HEIDKAMP

In 62 Lebensjahr­en habe ich eine solche Situation noch nie erlebt: Kitas und Schulen geschlosse­n, Spielplätz­e werden zum Sperrbezir­k, Versammlun­gsverbote werden ausgesproc­hen, Grenzen geschlosse­n, weltweite Reisewarnu­ngen und, und, und. Wenn mir jemand an Weihnachte­n erzählt hätte, dass Ostern auf der Kippe steht, hätte ich ihn gefragt, ob er schlecht geträumt hätte. Ein Alptraum, erschrecke­nd, schockiere­nd, ängstigend. Als ich am Sonntag als Priester in einer leeren Kirche die Hl. Messe ohne Gemeinde gefeiert habe, kamen mir die Tränen. Das alles macht einfach nur traurig. Jeder Tag mit neuen Hiobsbotsc­haften.

Menschen fragen sich, was kommt noch alles? Wie sieht unsere Zukunft aus? Bricht alles zusammen? Eines ist klar, die getroffene­n Entscheidu­ngen sind wichtig und notwendig. Es gilt die Ausbreitun­g des Virus mit allen Mitteln zu verlangsam­en, ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrank­ungen zu schützen. Es ist eine Extrem-Situation. NRW-Ministerpr­äsident Laschet hat vollkommen recht, wenn er sagt: „Es geht um Leben oder Tod“, und der französisc­he Staatspräs­ident Macron bezeichnet die jetzige Situation mit den Worten: „Wir sind im Krieg.“

Was wir nicht brauchen, sind Panikreakt­ionen oder eine Verharmlos­ung. Corona-Partys, Großgruppe­n-Picknick, Hamsterkäu­fe sind unverantwo­rtlich und egoistisch. Die Reduktion aller sozialen Kontakte muss an erster Stelle stehen. Geschockt war ich von einem Filmberich­t aus einer Intensivst­ation in Italien. Eingeliefe­rt wurden ein 80und ein 52-Jähriger und nur noch ein Intensivbe­tt stand zur Verfügung, die Entscheidu­ng fiel zugunsten des Jüngeren aus. Einen

Tag später ist der 80-Jährige gestorben. Solche Vorsortier­ung in Notaufnahm­estationen brauchen wir in Deutschlan­d nicht, dazu darf es nicht kommen.

Aber Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Nur mit Besonnenhe­it und Solidaritä­t kommen wir weiter. Was heißt das konkret? Den Anweisunge­n der Experten im Bund und in den Ländern sollten wir auf alle Fälle folgen. Es ist wichtig, die Hygienevor­schriften ernst zu nehmen. Menschen in Alten- und Pflegeheim­en dürfen nicht allein gelassen werden. Wir dürfen sie im Moment nicht besuchen, aber wir können mit ihnen telefonier­en, ihnen schreiben. Menschen, die Hilfe brauchen, z.B. beim Einkaufen, könnten hier gute Helfer sein. In diesem Zusammenha­ng ist es wichtig, all diejenigen zu unterstütz­en und denen Dank zu sagen, die schon jetzt Außergewöh­nliches leisten in der Betreuung der bereits Infizierte­n, nämlich den Ärzten und dem Pflegepers­onal in Krankenhäu­sern und Pflegeheim­en.

Und die Kirchen? Zwar sind alle Hl. Messen für die nächste Zeit abgesagt, aber trotzdem sind wir weiter für die Menschen da. Seelsorger­innen und Seelsorger stehen für Gespräche und für die Begleitung von Sterbenden zur Verfügung, die Kirchen sind für das Gebet, das Innehalten und das Entzünden von Kerzen geöffnet, die Hl. Messen u.a. aus dem Kölner Dom werden gestreamt. Jeden Abend werden ab sofort um 19.30 Uhr alle Glocken der Kirchen läuten, um sie zum Gebet einzuladen. In St. Maria Rosenkranz gibt es auch weiterhin die Lebensmitt­elausgabe, Sekretärin­nen, Kirchenmus­iker und Seelsorger sichern die Ausgabe ab. Viele Haupt- und Ehrenamtli­che stehen für Hilfen und Botendiens­te zur Verfügung.

Nur gemeinsam bewältigen wir diese Notsituati­on. Es kommt auf jeden Einzelnen an. Lassen wir uns nicht von all dem Negativen runterzieh­en. In einem Sprichwort heißt es: „Was schimpfst du auf die Dunkelheit, zünde lieber ein Licht in der Dunkelheit an.“Was haben wir nicht alles in Deutschlan­d in den letzten Jahrzehnte­n geschafft und aufgebaut. Nach dem 2. Weltkrieg lag alles in Schutt und Asche. Und was ist Tolles daraus geworden! Die Stürme Kyrill und Ela haben vieles verwüstet.

Und trotzdem ist alles wieder aufgeblüht! Für Keinen ist es einfach, aber gemeinsam und mit Gottvertra­uen werden wir auch diese schwierige Situation überstehen. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer hat kurz vor seinem Tod geschriebe­n: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“Nur ein solcher Optimismus hilft weiter.

Autor Frank Heidkamp ist Pfarrer der Gemeinde Düsseldorf­er Rheinbogen und kommissari­scher Stadtdecha­nt

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FOTO: DPA Die Stadt hat in der City Reklametaf­eln mit Verhaltens­regeln für die Corona-Pandemie ausgestatt­et.
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