Wie Technologie gegen das Virus hilft
Mit Smartphone-Daten und Bewegungsprofilen kämpfen viele Staaten weltweit gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Datenschutz spielt dabei keine Rolle. Das ist in Deutschland anders. Doch auch hier arbeitet man an Lösungen.
DÜSSELDORF Bill Gates betritt die Bühne mit einem Fass. „Als ich ein Kind war, war ein Atomkrieg die größte denkbare Katastrophe“, sagt der Gründer von Microsoft. Daher habe seine Familie dieses Fass, gefüllt mit Konserven und Wasser als Notfallversorgung, gehabt. Heute sei die größte Gefahr für die Welt kein Atomkrieg mehr – sondern ein hochansteckendes Virus.
Der Milliardär kämpft mit seiner Stiftung seit Jahren für eine bessere medizinische Versorgung weltweit. Er hat die Ebola-Epidemie in Westafrika analysiert, bei der nach dem Ausbruch 2014 mehr als 10.000 Menschen starben. Der Erreger sei erst in einem Stadium übertragen worden, in dem die meisten Infizierten schwer erkrankt seien. „Nächstes Mal haben wir vielleicht weniger Glück. Ein anderes Virus kann schon übertragbar sein, wenn sich die Kranken noch gesund fühlen, in ein Flugzeug einsteigen oder einkaufen gehen“, sagt Gates. „Wir sind für die nächste Epidemie nicht gerüstet.“Daher müsse man jetzt loslegen, denn die Zeit arbeite gegen die Menschen. Gates hat diesen Vortrag im März 2015 gehalten.
Es ist erschütternd, mit welchem Weitblick Gates die Folgen einer Ausbreitung eines solchen Virus bei seinem Auftritt bei der Ted-Konferenz in Vancouver vorhergesagt hat – gesundheitlich und wirtschaftlich. Von den Millionen Toten, die Gates prognostizierte, ist man zwar momentan mit rund 18.000 Toten weltweit noch entfernt, doch die wirtschaftlichen Verwerfungen sind bereits jetzt verheerend. Viele Staaten haben, das muss man so nüchtern festhalten, nicht auf Gates und andere Experten gehört.
„Wir haben viel in die nukleare Abschreckung investiert, aber nur wenig in ein System, das Epidemien aufhält“, hatte Gates damals gesagt. Dabei müsse man sich für eine Epidemie wappnen wie für einen Krieg. Technologie spielt dabei für ihn eine zentrale Rolle, etwa beim Aufbau eines Reaktionssystems. „Mit unseren Handys können wir an Informationen gelangen und diese weiterleiten“, so der Microsoft-Gründer: „Satellitenkarten zeigen uns, wo sich jemand befindet oder hinbewegt.“
Speziell in asiatischen Ländern wie Taiwan, Südkorea, Hongkong oder Singapur wird Technik bereits jetzt genutzt, um Infektionsketten schnell nachvollziehen zu können. Dies hilft, die Zahl der Infizierten niedrig zu halten. Gleichzeitig wird das öffentliche Leben dafür weniger stark eingeschränkt. In Hongkong müssen Menschen in Quarantäne etwa auch bei ihren Smartphones die GPS-Daten freigeben oder ein Überwachungsarmband tragen.
In Israel wiederum bekämpft der Geheimdienst Schin Bet mit Anti-Terror-Methoden das Virus. Dabei werden unter anderem GPS-Informationen von Smartphones ausgelesen oder Kreditkartendaten analysiert, um die Bewegungen und damit Kontakte einer infizierten Person vor ihrer Diagnose nachzuvollziehen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erlaubt den Einsatz der digitalen Werkzeuge für 30 Tage – eine parlamentarische Kontrolle gibt es nicht.
Die israelische Zeitung „Haaretz“berichtet, dass es inzwischen außerdem eine App namens „Der Schild“gebe, mit der sich Nutzer anzeigen lassen können, ob sie sich in den vergangenen 14 Tagen in der Nähe eines der bekannten Corona-Infizierten aufgehalten haben. Das israelische Gesundheitsministerium verknüpft dazu die entsprechenden Standort-Daten der Infizierten und der Nutzer. Wird eine Übereinstimmung festgestellt, kann man sich beim Ministerium sofort registrieren.
In Deutschland sind wir davon noch weit entfernt – in nahezu sämtlichen Bereichen des öffentlichen Lebens hinkt die Digitalisierung dem Stand der Technik hinterher. „Digitale Technologien erweisen sich gerade als unverzichtbar, um unsere Gesellschaft am Leben zu erhalten“, sagt Achim Berg, Präsident des IT-Verbands Bitkom: „Zugleich spüren wir gerade schmerzhaft, in welchen Lebensbereichen – etwa in der Bildung oder der Medizin – wir in der Vergangenheit zu nachlässig bei der Einführung digitaler Lösungen waren.“
Doch die Ausbreitung des Virus beschleunigt auch den Transformationsprozess. In der Wirtschaft stellen Betriebe auf Homeoffice um, bei Online-Lieferdiensten steigen die Bestellzahlen rasant – und die Bundesregierung lässt sich bei einem Hackathon von Tausenden Freiwilligen bei der technischen Lösung von Problemen beraten.
Gleichzeitig erhält das
Robert-Koch-Institut
anonymisierte Mobilfunkdaten von der Telekom, um Bewegungsströme analysieren zu können – zuletzt am Freitag. So wird für die Forscher nachvollziehbarer, ob die politischen Maßnahmen wirklich zum gewünschten Ergebnis, sprich: weniger sozialen Kontakten, und dadurch weniger Ansteckungsgefahr, führen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wollte offenbar sogar noch weitergehen. In einem Entwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes war davon die Rede, dass auch in Deutschland Handy-Daten genutzt werden sollten. Spahn wollte, wie es in dem Entwurf hieß, Gesundheitsbehörden ermächtigen, die möglichen Kontakte „anhand der Auswertung von Standortdaten des Mobilfunkgerätes zu ermitteln, dadurch die Bewegung von Personen zu verfolgen und im Verdachtsfall zu kontaktieren“. In dem Entwurf wird dabei explizit auf die Erfolge verwiesen, die Südkorea mit diesen Maßnahmen hatte.
Nach Kritik von Datenschützern und Opposition knickte die Bundesregierung allerdings ein – und verabschiedete eine Novelle ohne Standort-Tracking. Vom Tisch ist das Thema damit aber nicht, das Robert-Koch-Institut arbeitet momentan gemeinsam mit dem Heinrich-Hertz-Institut an einer App, mit der sich (vollständig anonym und ohne Ortserfassung) die Nähe und die Dauer des Kontakts zwischen Personen in den vergangenen zwei Wochen auf dem Handy anonym abspeichern lassen. „Damit könnten Infektionsketten digital rekonstruiert werden“, sagt Monique Kuglitsch, Innovationsmanagerin beim Heinrich-Hertz-Institut. Das Angebot könne dann freiwillig genutzt werden. „Wir sind zuversichtlich, dass wir in den nächsten Wochen eine Lösung präsentieren können“, sagt Kuglitsch.