Im Schutzanzug zu Quarantäne-Patienten
Thomas Meyer ist seit Anfang des Jahres im Ruhestand. Wegen der Pandemie ist der 67-jährige Arzt jedoch wieder im Einsatz.
DÜSSELDORF Wenn Thomas Meyer sich auf seine Schicht im Rettungswagen vorbereitet, dann braucht er alleine für das Anziehen der Einsatzkleidung gut 15 Minuten. Die aufwendige Prozedur hat einen guten Grund: Schutzanzug, schwere Feuerwehrstiefel, zwei Paar übereinander gezogene Handschuhe, Schutzbrille und eine Atemmaske sollen den 67-Jährigen vor dem Erreger schützen, der die Welt in Atem hält. Wenn alle Kleidungsstücke sicher sitzen, steigt Meyer in den Wagen und wird anschließend zu Düsseldorfern gebracht, die sich in häuslicher Quarantäne befinden. Sie alle stehen im Verdacht mit dem Corona-Virus infiziert zu sein. Vor Ort nimmt der Mediziner Abstriche von den Betroffenen, welche anschließend in der Uniklinik in Düsseldorf ausgewertet werden.
Während der Fahrt von Haus zu Haus ist auch Meyer selbst von der Außenwelt isoliert. Alleine sitzt er im hinteren Teil des Rettungswagens und liest meistens Zeitung, um sich zu beschäftigen, denn ein Fenster zum Hinausschauen gibt es nicht. Vom Fahrer des Wagens trennt ihn eine dicke Acrylglasscheibe und niemand ohne Schutzkleidung darf den Innenraum des Rettungswagens betreten, da hier potenziell alles nach den Hausbesuchen mit dem Corona-Virus kontaminiert ist. Selbst die Zeitung muss am Ende der Schicht fachgerecht entsorgt werden. Weil auch Angst ansteckend sein kann, werden auf den Touren kurze Strecken ebenfalls mit dem Fahrzeug und nicht zu Fuß zurückgelegt. „Die Menschen fragen sich natürlich direkt was los ist, wenn man im Schutzanzug an ihnen vorbeigeht“, berichtet Meyer. „Wir wollen deshalb gar nicht so offiziell auftreten. Gleichzeitig muss man die Schutzkleidung natürlich anbehalten. Lediglich das oberste Paar Handschuhe wird nach jedem Besuch gewechselt.“
Eigentlich ist Meyer seit Anfang des Jahres im Ruhestand und wollte seine neugewonnene Zeit nutzen, um viel zu lesen und sich mehr für das Projekt „Hilf Mahl!“zu engagieren, bei dem in Restaurants Spenden für Obdachlose gesammelt werden. Im Schutzanzug Hausbesuche zu machen, gehörte dagegen eher weniger zu seinen Pensionierungsplänen. Als man ihn fragte, ob er beim Testen der Corona-Verdachtsfälle in Düsseldorf helfen könne, zögerte Meyer jedoch nicht lange und sagte seine Unterstützung zu. Seit drei Wochen ist er inzwischen in der Stadt unterwegs, um die Menschen zu testen. Sorgen um seine eigene Gesundheit macht er sich dabei wenig: „Natürlich gehöre ich durch mein Alter in gewisser Weise zur Risikogruppe und muss vorsichtig sein“, berichtet er. „Aber ich habe vollstes Vertrauen in die Feuerwehrleute, die für meinen Schutz und die
Desinfektion zuständig sind. Sie machen wirklich einen hervorragenden Job.“
Etwa aufgeregt war Meyer während der ersten Einsätze im Rettungswagen dennoch; denn die Fahrten sind für ihn trotz jahrzehntelanger Berufserfahrung keineswegs Routine. Die meiste Zeit verbrachte er am OP-Tisch: 30 Jahre lang praktizierte Meyer als Kinderchirurg im Kinderkrankenhaus in Köln und anschließend in einer Gemeinschaftspraxis in Grevenbroich. Warum er sich auf die jüngsten Patienten spezialisierte, hatte dabei unterschiedliche Gründe: „Schon während meiner Ausbildung hat mir die Arbeit mit Kindern große Freude bereitet. Sie sind sehr zugänglich und empfänglich für das, was man ihnen erklärt“, berichtet Meyer. „Außerdem zeigen sie meistens schnellere Heilungsergebnisse. Für einen Mediziner ist das sehr motivierend.“
Momentan gehören bei den Corona-Tests ebenso Kinder und ihre Eltern, wie Senioren zu seinen Patienten. Sie hatten entweder Kontakt zu Personen, die an Corona erkrankt sind, oder waren vorher in einem Risikogebiet. Bei den Besuchen seien die Betroffenen Meyer gegenüber immer sehr freundlich und zeigten sich verständnisvoll. Eine Frage treibt sie jedoch alle um: „Natürlich wollen die Menschen wissen, wann sie die Testergebnisse bekommen. Das dauert meistens einen Tag, unter Umständen auch etwas länger“, erzählt Meyer. Die Zahl der notwendigen Hausbesuche nimmt im Moment bei jedem seiner Einsätze zu. Holte der pensionierte Mediziner bei seiner ersten Fahrt noch fünf Proben ab, waren es bei der Letzten bereits 30. Er ist gerade deswegen fest entschlossen auch weiterhin Schichten zu übernehmen, um seine berufstätigen Kollegen zu entlasten. „Im Moment ist jeder Mediziner gefragt, der etwas Zeit erübrigen kann“, berichtet er. „Wenn man noch aktiv ist und eine Praxis hat, wie zum Beispiel meine Frau, dann muss man schließlich vor Ort sein, um die Menschen behandeln zu können. Man kann ja nicht einfach schließen.“
So wird Meyer weiterhin bereitstehen, um sich auf Abruf in der Desinfektionshalle der Feuerwehr den Schutzanzug überzuziehen und anschließend mit Corona-Tests und einer Zeitung im Gepäck zu den Düsseldorfern fahren, die ihr Zuhause im Moment nicht verlassen dürfen.
Abseits seiner Schichten versucht Meyer möglichst wenig das Haus zu verlassen, oder mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Nur für das gemeinsame Joggen mit seiner Frau im Grafenberger Wald und notwendige Einkäufe geht er noch vor die Tür. Den Rest der Zeit entspannt er mit einem Buch in der Hand, dem Radio am Ohr oder vor dem Fernseher. So wie ein verdienter Ruhestand eigentlich aussehen sollte.