Groß im Geschäft
Die Produktion von Toilettenpapier in den Werken von Hakle und Essity läuft in der Krise am Anschlag. Die Region liegt direkt an der „Quelle“– trotzdem sind die Rollen rar. Warum wir ausgerechnet Klopapier horten.
DÜSSELDORF/NEUSS Das wahre Gold ist weich und gerollt, könnte man meinen: In der Corona-Krise ist Toilettenpapier gefragt wie nie. Wo auch immer es angeboten wird, ist es binnen weniger Minuten vergriffen – auch im Rheinland. Dabei werden in der Region täglich riesige Mengen Hygienepapier produziert. Neuss und Düsseldorf-Reisholz gelten als traditionelle Papiermacher-Standorte. Schon vor 100 Jahren hatten sich Fabriken wegen der günstigen Lage am Rhein dort angesiedelt.
Das Unternehmen Essity, früher bekannt unter dem Namen SCA, betreibt eines seiner Werke in unmittelbarer Nähe zum Neusser Hafen. „Wir schöpfen die Kapazitäten unserer Maschinen voll aus“, sagt Sprecherin Annette Schönleber. In Neuss stellt das Unternehmen Hygienepapier für Marken wie Tempo und Zewa sowie für viele Eigenmarken großer Handelsketten her, darunter Toilettenpapier. 440 Mitarbeiter sind dort beschäftigt. „An unserem Standort Neuss sind alle 16 Verarbeitungslinien in Betrieb, die Maschinen laufen rund um die Uhr“, sagt Schönleber.
Nur 13 Kilometer weiter, auf der anderen Rheinseite, hat auch die Düsseldorfer Firma Hakle (rund 220 Mitarbeiter) ihre Produktion hochgefahren. „Wegen der erhöhten Nachfrage aus dem Handel haben wir unsere Kapazitäten um 50 Prozent erhöht“, sagt Marketing-Chefin Karen Jung.
Die Maschinen laufen dort dank einer Ausnahmegenehmigung der Bezirksregierung 24 Stunden täglich und am Anschlag. 50.000 Tonnen Hygienepapier können sie pro Jahr maximal verarbeiten. „Das entspricht 1,5 Millionen Rollen jeden Tag“, sagt Karen Jung – oder anders ausgedrückt: In der Corona-Krise verlassen 1500 Warenpaletten täglich das Werk, 80 Prozent mit Toilettenpapier, 20 Prozent mit Küchenrollen.
Trotzdem haben Supermarkt-Kunden den Eindruck, dass davon nicht viel bei ihnen ankommt. Klopapier ist fast überall ausverkauft. Der Grund: übertriebene Hamsterkäufe. Inzwischen rationieren die Märkte die Abgabe von Toilettenpapier auf ein bis zwei Packungen pro Kunde. Auf die Frage, warum wir Deutschen in Krisenzeiten ausgerechnet Toilettenpapier horten, hat der Konsumpsychologe Hans-Georg Häusel mehrere Antworten. Aus seiner Sicht hat das kulturelle und psychologische Gründe. „Die Deutschen sind ein Volk der Ordnung und Disziplin“, sagt Häusel. Was oben reingeht, muss unten wieder raus: „Die Verdauung ist für unseren Körper von großer Bedeutung.“Hygiene spiele dabei eine große Rolle und sei ein Aspekt, der mit Emotionen verbunden sei. Die Angst, bei der Hygiene auf Toilettenpapier verzichten zu müssen, ist groß.
Noch entscheidender für das Verhalten von „Klopapier-Hamsterern“ist laut Hans-Georg Häusel der Herdentrieb. „Wir Menschen orientieren uns an dem, was andere tun“, sagt er. Bemerken Kunden, dass andere große Mengen Toilettenpapier kaufen, ziehen diese nach und greifen ebenfalls zu. Dieser Effekt werde durch die Verpackung verstärkt, sagt der Konsumpsychologe: „Meist sind die Rollen in großen Paketen verpackt, die im Einkaufswagen weithin sichtbar sind.“
Die Tatsache, dass Toilettenpapier kaum noch erhältlich ist, macht es nicht besser: „Leere Regale wirken stärker als Versprechungen von Politikern, die sagen, es sei genug da. Diese Erklärungen wirken auf viele abstrakt.“Laut Häusel fehle Verbrauchern das Vertrauen ins System. „Das muss sich jetzt beweisen“, sagt er. Dass sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kürzlich im Zentrallager einer Supermarkt-Kette vor gut gefüllten Regalen und mehreren Paletten Toilettenpapier hat fotografieren lassen, hält Häusel für „geschickt“: Das könne Vertrauen schaffen.
Auf das Vertrauen der Kunden setzen auch die Hersteller Essity und Hakle: Nach eigenen Angaben sind ihre Lieferketten stabil. „Aktuell sehen wir keine Gefahr einer Produktionseinstellung“, sagt Karen Jung von Hakle. Annette Schönleber von Essity sagt: „Unsere Rohstofflager sind gut gefüllt, die Grenzen für den Lieferverkehr sind frei.“Bisher gebe es bei dem für die Produktion unverzichtbaren Zellstoff keine Engpässe.
Der Stoff wird aus Frischholzfasern gewonnen und in Neuss in zwei Maschinen zu Papier verarbeitet. Schönleber appelliert an Kunden, normal einzukaufen: Es gebe keinen Grund dazu, Toilettenpapier zu hamstern.
Für die Hygienepapier-Branche dürften die Monate Februar und März zu den umsatzstärksten seit langer Zeit zählen. Mit einem außergewöhnlich starken Gesamtjahr rechnet Hakle jedoch nicht. „Wir erzielen pro Jahr im Schnitt einen Umsatz von 80 Millionen Euro. Ich rechne für 2020, wenn überhaupt, mit einer kleinen Steigerung“, sagt Marketing-Chefin Karen Jung. Sie geht davon aus, dass sich ein großer Teil der Kunden mit Toilettenpapier für einen längeren Zeitraum eingedeckt hat und dies den Sommer über verbrauchen wird. Bis diese Kunden Nachschub brauchen, könnte viel Zeit vergehen. Essity mag keine Prognosen abgeben. Nur so viel: Mit einem Umsatz von 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2019 ist Deutschland für das schwedische Unternehmen europaweit der umsatzstärkste Markt.