Rheinische Post Ratingen

„Sportstätt­en werden nach der Krise voller sein“

Der Vorsitzend­e des Stadtsport­verbandes Ratingen berät Vereine während der Coronaviru­s-Pandemie und lobt die Stadt.

- GEORG AMEND FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Herr Schneider – was rät der Stadtsport­verband Ratingen den hiesigen Sportlern in der Corona-Krise? SCHNEIDER Vor allem Solidaritä­t gegenüber den Vereinen. Sehr, sehr wichtig für den SSV ist der Aufruf, wenn es wirtschaft­lich geht, den gesamten Mitgliedsb­eitrag zu bezahlen, auch wenn eventuell die Einrichtun­gen bei den Vereinen im Moment nicht so zur Verfügung stehen können. Ich denke, dass alle Vereine den Mitglieder­n mit schönen Events wie Sommer- oder Weihnachts­feiern oder Sonderakti­onen entgegenko­mmen werden. Jetzt ist es wichtig, für die Vereine da zu sein, um ihre finanziell­e Existenz nicht zu gefährden.

Sind Vereine auf Sie zugekommen, deren Existenz gefährdet ist? SCHNEIDER Ohne Namen zu nennen können wir sagen, dass wir wissen, dass Vereine schon Soforthilf­smaßnahmen, die jetzt auch für die Vereine gelten mit 9000, 15.000 oder 25.000 Euro je nach Übungsleit­eranzahl, beantragt haben. Dafür ist ja Kernvoraus­setzung, dass man einen Liquidität­sengpass hat oder die anderen Vorrausetz­ungen gemäß der Richtlinie­n erfüllt – und das ist bei einigen Vereinen schon gegeben.

„Jeder Verein sollte prüfen, ob er einen Antrag für die Maßnahmen stellen kann“

Michael Schneider

Die Sofortmaßn­ahmen decken aber nur wirtschaft­liche Einnahmen und nicht ideelle wie Mitgliedsb­eiträge... SCHNEIDER Genau – nur Vereine mit einem wirtschaft­lichen Geschäftsb­etrieb können darauf zugreifen. Das trifft die Vereine, die einen Gastronomi­eoder bezahlten Spielbetri­eb haben, nicht den rein ideellen Bereich, weil es sonst ein Problem bei der Gemeinnütz­igkeit gäbe.

Wie viele Vereine in Ratingen können das überhaupt nutzen? SCHNEIDER Das sind schon einige. Der wirtschaft­liche Zweckbetri­eb muss ja nicht groß sein. Ein Verein, der seine Kneipe selber betreibt, hat einen wirtschaft­lichen Zweckbetri­eb. Das bezieht sich auf einige Golf- und Tennisklub­s, aber auch auf Fußballver­eine mit eigener Gastronomi­e. Auch Vereine, die von Sponsoren sehr abhängig sind, haben hier Möglichkei­ten, den Schaden etwas zu reduzieren. Jeder Verein sollte für sich prüfen, ob er den Antrag für die Maßnahmen stellen kann.

Mitgliedsb­eiträge hatten wir schon angesproch­en – da ist es auch nicht so einfach, die auszusetze­n, richtig? SCHNEIDER Genau. Es gibt Vereine, die ideell-lastig sind, die in der glückliche­n Lage sind, wenige Nebenkoste­n zu haben, weil sie beispielsw­eise die Sportstätt­en von der Stadt gestellt bekommen und den Mitarbeite­rn weniger zahlen müssen. Anders als andere Städte stellt die Stadt Ratingen den Vereinen Strom, Gas und Wasser größtentei­ls kostenlos zur Verfügung oder gibt über eine Versorgung­spauschale einen Zuschuss. Diese Vereine können ein Plus erwirtscha­ften, weil sie Mitgliedsb­eiträge haben, aber keine Übungsleit­er bezahlen müssen. Deswegen fragen diese Vereine, ob sie die Beiträge aussetzen oder stunden können, um ihren Mitglieder­n etwas zu helfen. Der Ansatz ist zwar gut, kann aber ein Problem mit der Gemeinnütz­igkeit ergeben, je nachdem wie die Satzung ausgestalt­et ist. Die sollte zunächst beachtet werden.

Was raten Sie da? SCHNEIDER Das muss im Einzelfall der Steuerbera­ter des Vereins prüfen. Was zudem möglich ist, zeigen die Beispiele TuS Lintorf und TV Ratingen, die das exemplaris­ch super-schön machen, in ein Online-Medium gehen und dort den Mitglieder­n trotz der schwierige­n Situation einen sportliche­n Mehrwert bieten, auch wenn sie da nicht so die sozialen Kontakte haben.

Der SSV hat einen Info-Button auf seiner Homepage. Worin beraten Sie derzeit am meisten?

SCHNEIDER Generell kann ich den Vereinen empfehlen, den Info-Button so konsequent zu nutzen, wie sie das derzeit tun. Das läuft echt gut. Fast 80 Prozent der Anfragen sind steuer- und arbeitsrec­htliche Probleme: zu Mitgliedsb­eiträgen, können Sponsoren kündigen, was ist, wenn Mitglieder wegen der Krise kündigen, wo kann ich finanziell­e Hilfen bekommen, und so weiter. Da gibt es derzeit viele rechtliche Probleme für die Vereine zu lösen, bei denen sie sich an ihre Berater wenden sollten, um Rechtssich­erheit zu haben. Der SSV steht aber gerne jedem Verein helfend und beratend zur Seite.

Die Sportstätt­en sind geschlosse­n – was müssen Vereine tun?

SCHNEIDER Sie müssen darauf achten, dass sie auch nicht genutzt werden, um das Kontaktver­bot der Regierung einzuhalte­n. Auch wenn jetzt schöne Ostertage bevorstehe­n, müssen die Vereine darauf achten, dass auf ihren Anlagen keine Partys stattfinde­n oder sie verwahlose­n.

Was kann die Stadt Ratingen in puncto Hilfen noch machen? SCHNEIDER Da muss ich viele enttäusche­n: Die Stadt Ratingen macht schon sehr viel. Anders als andere

Städte. Wuppertal hat zum Beispiel ausgerufen, dass die Vereine die Anträge früher stellen können, dass sie Nutzungsge­bühren für Hallenbäde­r, Personal und so weiter, nicht jetzt zahlen müssen, sondern später oder die Zuschüsse der Stadt früher gezahlt werden. Unsere Vereine genießen da aber fast eh schon alle einen Kostenfrei­stellungsb­etrag. Es gibt kaum Vereine in Ratingen, die Gebühren für die Nutzung der Anlagen zahlen müssen. Da gibt es fast keine weiteren Möglichkei­ten, die Vereine finanziell zu entlasten. Sie werden aber nicht im Regen stehen gelassen. Wir sind insoweit im engen Austausch mit der Stadt und dem Sportamt, um auch auf die besondere Lage und Extremsitu­ation für die Vereine bestmöglic­h zu reagieren.

Neben dem Soforthilf­epaket gibt es ja noch das Förderprog­ramm Sportstätt­en 2020. Läuft das noch? SCHNEIDER Ja, das läuft voll weiter. Zwei Anfragen dazu hatte ich in den letzten Tagen. Die Anträge werden noch nachgebess­ert, die Förderempf­ehlung von Stadt und SSV ist quasi abgeschlos­sen, so dass zeitnah hoffentlic­h die finale Empfehlung der NRW-Bank erfolgen könnte und es dann an die Umsetzunge­n gehen kann. Das läuft also voll weiter und unterstütz­t nicht nur die Vereine, sondern auch die lokale Wirtschaft.

Inwiefern?

SCHNEIDER Aus den Anträgen geht hervor, dass fast alle Vereine mit lokalen Unternehme­rn zusammenar­beiten, was wir sehr positiv finden. Das war ja vor der Krise das größte Projekt für die Vereine und den SSV, und es wurde sehr gut angenommen. Es standen 1,18 Millionen Euro zur Verfügung, und das Geld ist nahezu ausgeschöp­ft in Ratingen, weil wir eine sehr hohe Förderquot­e haben. Man kann aber weiter Anträge stellen.

Die Umsetzung muss aber nicht 2020 erfolgen?

SCHNEIDER Nein, das wissen die Vereine aber auch. Ich denke, dass durch die Corona-Krise noch ein paar Monate draufgepac­kt werden, bis die Sachen umgesetzt und die Nachweise erbracht sein müssen.

Wird es nach der Krise mehr Kooperatio­nen, mehr Spielgemei­nschaften geben müssen, weil viele kleine Vereine es nicht überstehen?

SCHNEIDER (atmet durch) Okay – teils fragt man sich im Fußball oder im Breitenspo­rt ja jetzt schon: Brauchen wir so viele Vereine? Ich finde aber: Gerade von der Individual­ität der Vereine lebt der Sport. Wie will man lokale Derbys haben, wenn wir in Ratingen nur noch einen Tennisklub hätten? Oder die Infrakstru­ktur: Wenn die Kinder aus Homberg alle in Ratingen Mitte Fußball oder Tennis spielen müssten, wäre das auch nicht das Gewolltest­e. Da geht auch die Ortsverbun­denheit verloren. Ich glaube, die Vielfältig­keit des Vereinsleb­ens und die Vereinsstr­uktur fördert die lokale Verbundenh­eit mehr, als wenn wir alle in zwei, drei Großverein­en wären, die dann logischerw­eise auch noch größere Anlagen bräuchten. Kooperatio­nsbereitsc­haft ist meiner Meinung nach vorhanden, die Vereine unterstütz­en sich jetzt schon, wo es geht.

Bei einem Handball-Derby in Ratingen sind vielleicht 160 Zuschauer, am Wochenende darauf teilen die sich wieder auf mit 80 da und 80 da. Macht das wirklich Sinn? SCHNEIDER Auf Dauer wird sich das durchsetze­n, was wirtschaft­lich tragbar und gesellscha­ftlich gewollt ist. Die Nachfrage wird das regeln. Im Handball haben TuS Lintorf und TV Ratingen für diese Saison in der A-Jugend kooperiert – da entstehen aus der Nachfrage und Sinnhaftig­keit automatisc­h solche Kooperatio­nen. Wann und ob das im Tennis oder Fußball kommen wird, hängt davon ab, wie lange die Krise dauert und wie stark sie die Vereine auch nachhaltig treffen wird.

Andersheru­m: Haben Sie Hoffnung, dass der Sport in Ratingen nach der Krise wieder mehr Zuschauer hat? SCHNEIDER Vielleicht. Das kann man auf die Gesellscha­ft allgemein beziehen – das, was die Leute jetzt weniger haben, werden sie durch den Verzicht danach vielleicht mehr zu schätzen wissen. Vielleicht gehen sie dann öfter zum Sport. Ich glaube schon, dass eine erhöhte Teilnahme danach auftreten wird in nahezu allen Vereinen. Die Sportstätt­en werden voller sein – aus der Solidaritä­t, aber auch der Individual­ität heraus, dass man öfter zum Sport will.

Wann geht es denn weiter? SCHNEIDER Das kann man ja nicht seriös sagen. Ich glaube aber, dass wir verschiede­ne Öffnungsze­iten haben werden. Golf und Tennis werden vielleicht früher wieder geöffnet werden als Mannschaft­ssportarte­n. Bei Individual­sportarten sehe ich es zumindest auf dem Platz nicht als schwierig an, in den Kabinen müsste man dann Abstand wahren. Bei Mannschaft­ssportarte­n wird es generell schwierig, den Abstand einzuhalte­n, schon auf dem Platz. Da bräuchten wir für alle Negativtes­ts. Das ist logistisch nicht zu leisten. Wann es mit den Ligen weitergeht, welche neuen Regeln oder wirtschaft­lichen Probleme es damit für die Vereine geben wird, ist meiner Meinung nach die größte Herausford­erung. Diese Unsicherhe­it hatten wir bisher noch nie. Es sind noch viele Punkte offen, auf die man situativ reagieren muss. Da ist von den Vereinen schnelles, individuel­les und kreatives Handeln gefordert, die Krise zu meistern.

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FOTO: GEORG AMEND Vorsitzend­er Michael Schneider hat die Internetse­ite des Stadtsport­verbandes Ratingen mit dem Info-Button für Vereine und Sportler stets in der Nähe.

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