Das Virus kommt nicht aus dem Labor
Ein Drittel der Amerikaner glaubt, Sars-CoV-2 sei von Menschenhand entwickelt worden. Derlei Behauptungen sind gefährlich.
DÜSSELDORF Kannst du die Welt infizieren? So lautet der Untertitel des Spiels Plague Inc. Es ist sehr beliebt und hat bereits einige Auszeichnungen erhalten. In Apples App Store kostet es 99 Cent. Ziel des Spiels ist es, ein gefährliches Pathogen zu erschaffen, das die gesamte Menschheit dahinrafft – im besten Fall. Dann hat man gewonnen. Man kann bei Plague Inc. mit verschiedenen Seuchentypen arbeiten. Auch mit einem Virus. Der Kniff besteht darin, seinen Erreger immer wieder zu „optimieren“, ihn also gefährlicher zu machen, damit die Gegenmaßnahmen der Menschheit keine Wirkung zeigen. Makaber, gerade in diesen Zeiten. Aber es ist nur ein Spiel.
In der Realität enthält das internationale Biowaffenübereinkommen der Vereinten Nationen ein Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung biologischer Waffen. Zwar finden nach diesem Vertrag keine
Kontrollen statt, Anhaltspunkte für derzeit existierende Biowaffenprogramme gibt es nach Einschätzung der Vereinten Nationen nicht. Trotzdem halten sich Verschwörungstheorien, wonach in geheimen Laboren hochgiftige Erreger zusammengemischt werden. Auch in der Corona-Krise hört man derlei aktuell.
Das Pew Research Center in den USA hat in einer Studie festgestellt, dass knapp 30 Prozent der Amerikaner glauben, das neue Coronavirus Sars-CoV-2 sei von Menschenhand im Labor entwickelt worden. Bei jungen Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 29 Jahren lag dieser Wert mit 35 Prozent noch etwas höher. Insgesamt wurden 8914 Personen befragt.
Derlei Verschwörungstheorien lassen sich nur mit wissenschaftlichen Befunden bekämpfen. Doch sitzen die Hirngespinste besonders fest, kann man sie nur schwer aus den Köpfen bekommen. Für den Biowaffen-Experten Gunnar Jeremias ist derweil klar, dass Sars-CoV-2 nichts Menschengemachtes ist. „So etwas kann man im besten Labor der Welt nicht herstellen“, sagte er jüngst in einem Interview mit der Initiative „Gesichter des Friedens“. Jeremias leitet die interdisziplinäre Forschungsgruppe zur Analyse biologischer Risiken an der Universität Hamburg. So schlimm das Virus auch wüte, es gebe bessere Antigene, also Andockpunkte, die einem Virus für den Befall von menschlichen Zellen zur Verfügung stünden. „Warum hätte man sich in einem vorgestellten teuren, riskanten und langwierigen Entwicklungsprogramm mit einer schlechteren Lösung zufriedengeben sollen?“, so Jeremias. Es sei zudem auffällig, dass sehr ähnliche Verschwörungstheorien parallel existierten. „Sie werden je nach politischem Interesse mit passenden Details versehen und einer ganzen Reihe von Staaten angedichtet.“Wissenschaftler des Scripps-Research-Instituts in La Jolla, Kalifornien, haben bereits Mitte März in einer in „Nature Medicine“erschienenen Studie darauf hingewiesen, dass Sars-CoV-2 ein Produkt natürlichen Ursprungs ist. Die Forscher analysierten speziell das sogenannte Spike-Protein auf der Oberseite des Coronavirus. Dieses Protein ist für die Bindung an die Wirtszelle verantwortlich. Dies geschehe so effektiv, dass dafür nur ein natürlicher Selektionsprozess infrage komme – und nicht genetische Manipulation in einem Labor, heißt es in der Studie.
Dass Labore mit teils todbringenden Erregern forschen, ist Standard. Es dient dem besseren Verständnis. Das Genom und die Eigenschaften eines Virus müssen zunächst entschlüsselt werden. Nur so ist es später möglich, einen Impfstoff oder Medikamente herzustellen. So manches Forschungsprojekt bewegt sich dabei auch in einer Grauzone. In der Wissenschaft spricht man dann von „Dual Use Research of Concern“(DURC). Gemeint sind damit Forschungen, die nicht nur für nützliche, sondern auch für schädliche Zwecke angewendet werden könnten. So rekonstruierte ein Team um den amerikanischen Wissenschaftler Jeffery Taubenberger im Oktober 2005 den Erreger der Spanischen Grippe, die vor gut 100 Jahren wütete. Das Virus wird seitdem an alle interessierten Labore der biologischen Schutzstufe drei verschickt. Andere DURC-Beispiele sind die Entwicklung eines „Killer“-Mauspockenvirus (2001) und ein Projekt zur Erhöhung der Übertragbarkeit des Vogelgrippe-Virus (2012).
Teilweise klingt das sehr nach einem Science-Fiction-Thriller. Und in der Wissenschaft sind derlei Ansätze auch höchst umstritten. Doch die Absicht dahinter ist in den allermeisten Fällen verdienstvoll. Eines der bekanntesten DURC-Projekte, damals gab es solche Begrifflichkeiten allerdings noch nicht, ist die Entdeckung der Urankernspaltung durch Otto Hahn in den 30er Jahren. Sie eröffnete neue Möglichkeiten der CO2-neutralen Energiegewinnung – führte aber ebenso zum Bau von atomaren Massenvernichtungswaffen. „Forscher sollten sich schon bei der Konzeption von Projekten Gedanken über Schadpotenzial machen“, meint Jeremias. Diese Abwägung falle bei der Forschung an Sars-CoV-2 aber leicht: „Ein direktes Missbrauchspotenzial besteht – bei allen Schwierigkeiten mit dem Begriff – nicht, und wir brauchen dringend Impfstoff und Therapeutika gegen den Erreger.“
Die Entwickler von Plague Inc. arbeiten derzeit an einem neuen Spielmodus. Das Ziel: die Verbreitung eines Virus mit den bekannten Maßnahmen verhindern.
„So etwas kann man im besten Labor der Welt nicht herstellen“Gunnar Jeremias Biowaffen-Experte