Keine saubere Bilanz
An diesem Montag beginnt der Petersberger Klimadialog, bei dem international über Maßnahmen gegen die globale Erwärmung verhandelt wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel steht unter Druck. Sie soll am Dienstag sprechen.
BERLIN Lange galt Deutschland als Leuchtturm beim Klimaschutz. Keine andere Industrienation steigt gleichzeitig aus der Atom- und Kohleverstromung aus und muss als Ersatz auf Erneuerbare Energien setzen, was der Klimabilanz nützt. Doch wenn an diesem Montag der Petersberger Klimadialog – wegen der Corona-Pandemie erstmals als Video-Konferenz – startet, tritt die Bundesregierung mit stark angekratztem Image auf. Bei mehreren wichtigen Gesetzen wie dem Kohleausstieg und dem Ausbau der erneuerbaren Energien sowie der Verkehrswende gab es zuletzt wenig oder gar keine Bewegung.
Daher wird mit Spannung erwartet, welche konkreten Vorgaben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer für Dienstag geplanten Rede machen wird. Seit dem letzten Treffen in diesem Format, die üblicherweise in Berlin unweit des Brandenburger Tors stattfinden, hat insbesondere die EU-Kommission deutlich schärfere Ziele formuliert. Der „Green Deal“sieht nun vor, statt der ursprünglich zugesagten CO2-Minderung um 40 Prozent die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent bis 2030 zu senken. Das erfordert von den einzelnen Mitgliedsstaaten höhere Anstrengungen.
Wie die hochrangigen Vertreter aus 30 Staaten reagieren werden, ist offen. Auch UN-Generalsekretär António Guterres wird beim Klimadialog eine Rede halten. Klar ist jedoch, dass der Druck in diesem Jahr hoch ist. Im Klimaschutzabkommen von Paris war festgehalten, dass alle Staaten ihre nationalen Emissionsziele bis Ende 2020 nachbessern sollen. Die Klimakonferenz in Glasgow sollte nach den schlechten Erfahrungen in Madrid Ende vergangenen Jahres deutliche Fortschritte bringen. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Konferenz auf das nächste Jahr verschoben. Doch die Probleme, die sich durch den schnell voranschreitenden Klimawandel ergeben, sind global spürbar. Dürren, Waldbrände, Überschwemmungen, Starkregen, steigende Meeresspiegel und andere Katastrophen bedeuten für immer mehr Menschen und Unternehmen ernste Gefahren. Ende Januar, bevor die Verbreitung des Corona-Virus die Weltwirtschaft in eine tiefe Krise stürzte, schätzten die Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums von Davos noch den Klimawandel als größte Herausforderung weltweit ein. Die Corona-Pandemie kam noch dazu, macht die Klimarisiken aber nicht weniger problematisch.
Und so mahnen die Grünen mehr Umsetzungswillen beim Klimaschutz an. Als Gastgeber habe Deutschland eine besondere Verantwortung, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock unserer Redaktion. „Deshalb braucht es ein Kohleausstiegsgesetz noch vor der Sommerpause sowie ein Aufheben der unsinnigen Abstandsregeln bei Windenergie und des Solar-Deckels in den nächsten Wochen.“Nur so sei Deutschland auf internationaler Bühne glaubwürdig.
Baerbock warb dafür, den Klimadialog als Auftakt für breitere Veränderungen nach der Corona-Krise zu nutzen. „Die Frage, wie die Weltgemeinschaft den Neustart der Weltwirtschaft organisiert, ist für die Klimakrise entscheidend.“Deshalb brauche es ein klares Bekenntnis der Regierungen auf dem Petersberger Klimadialog für mehr und gemeinsamen Klimaschutz. „Bei den aktuellen Finanzhilfen dürfen die Fehler vergangener Wirtschaftskrisen nicht wiederholt werden, Geld in ein kaputtes System zu pumpen“, sagte Baerbock. Konjunkturhilfen für Industriebetriebe sollten künftig im Grundsatz daran gebunden sein, dass Investitionen einem der sechs EU-Umweltzielen dienen – etwa Klimaschutz, Anpassung an die Klimakrise oder Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft. Zugleich sollten Unternehmen, die – einem Plan folgend – nach dem Pariser Klimaabkommen wirtschaften, einen Teil der Kredite, die der Staat als Hilfen ausgibt, am Ende der Tilgung erlassen bekommen. „Der Charme dabei wäre: Das würde alle Branchen betreffen, auch die, die nicht als öko gelten“, sagte Baerbock.
Unterdessen verwies eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums darauf, dass die Gesetzgebungsverfahren zum Kohleausstiegsgesetz und Strukturstärkungsgesetz auch in der Corona-Krise weiterlaufen würden. Derzeit sind die Fraktionen und der Bundestag am Zug, dort stocken die Verhandlungen zwischen Union und SPD. Die Sprecherin sagte aber, dass das Ziel einer Verabschiedung im ersten Halbjahr 2020 unverändert gelte. Auch der Entwurf für die EEG-Novelle komme wie geplant im ersten Halbjahr.