„Sogar Freibier geht nicht“
Der Chef der städtischen Hallentochter D.Live über 200 verschobene Veranstaltungen und volle Biertanks
STOCKUM Wir treffen uns mit Michael Brill auf dem Messeparkplatz 1, wo derzeit das Autokino stattfindet. Die Sonne scheint, Mitarbeiter von D-Live freuen sich sichtlich, dass etwas los ist. Beim Interview im sonst menschenleeren Arena-Bürotrakt erzält Brill, dass er im März an Covid-19 erkrankt war. Er sei mit seiner Lebensgefährtin in der Schweiz gewesen. Er brach den Uraub ab, kurz bevor die Grenzen geschlossen wurden. „Wir machten beide sofort den Test, weil meine Partnerin in der Uni-Klinik arbeitet.“Beide hatten sich infiziert und gingen in Quarantäne. Die Kollegen wurden daraufhin ebenfalls getestet – niemand hatte das Virus. Der Verlauf selbst war bei beiden sehr leicht. „Ich war ein wenig erschöpft, das war’s.“
Herr Brill, wie funktioniert D.Live in Corona-Zeiten?
BRILL Wir sind knapp 100 Mitarbeiter. Circa zehn sind nicht in Kurzarbeit, die übrigen schon, allerdings in unterschiedlicher Intensität. Die Kommunikation ist aufwendig, weil fast alle im Homeoffice sind. Man braucht 20 Prozent mehr Kommunikation für das gleiche Ergebnis. Das ist alles etwas mühsam, zumal das Unternehmen aus zwölf nicht sehr großen, aber hochspezialisierten Einheiten besteht. Das reicht vom Booking über Gebäudetechnik und Gastro bis zur Hospitality-Abteilung. Wenn eine Anfrage kommt, geht das meist durch alle Abteilungen.
Bis Ende August sind keine Großveranstaltungen möglich. Was ist bis dahin weggefallen?
BRILL Die Veranstaltungen fallen ja nicht weg, sondern sind verschoben. Keiner kann heute sagen, auf welchen Termin. Unter dem Strich findet bislang ein halbes Jahr in unseren Hallen nichts statt, es geht um rund 200 Veranstaltungen mit knapp einer Million Besucher.
Wann sollen die verschobenen Veranstaltungen stattfinden?
BRILL Das wird ein großes Puzzlespiel, ein Tourneeplan für jede einzelne Show ist eine komplizierte Angelegenheit. Es muss in den Städten passen, aber die Route der Künstler und ihrer Technikcrews muss ebenfalls effektiv gestaltet werden.
Die Toten Hosen hätten im Juni zwei ausverkaufte Konzerte im Dome gehabt. Was glauben Sie, wann sie die Konzerte spielen können?
BRILL Das weiß niemand. Eine große Tour wie der Toten Hosen hat im Booking ein Jahr Vorlauf. Es gibt ja erste Überlegungen, wie man unser Business wieder hochfahren könnte. In Berlin wird über Veranstaltungen bis 1000 Besucher im Oktober gesprochen. Was in Nordrhein-Westfalen geschieht, ist offen. Und erst, wenn wir das wissen, können neue Tourneen geplant werden. Der Vorverkauf für eine durchschnittliche Show läuft vier bis sechs Monate.
Das heißt, für Sie wäre es wichtig, möglichst früh zu wissen, wann es wie weitergeht.
BRILL Exakt, weil die Branche einen großen Vorlauf hat. Nicht alle Events sind im Handumdrehen ausverkauft. Andererseits ist die Frage, in welcher Verfassung die Menschen jetzt sind. Ich glaube nicht, dass sich alle gleich ein Konzertticket kaufen möchten. Es dürfte zunächst eine Zurückhaltung geben, bei den Reisen glaube ich das auch.
Wie viele Veranstaltungen sind denn dieses Jahr noch geplant? BRILL Von September bis Dezember sind es 45. Es wäre noch etwas Luft, um verschobene Events unterzubringen.
Was bedeutet das wirtschaftlich? Sie sind ja nach Düsseldorf geholt worden, damit mehr Events stattfinden.
BRILL Wir hätten das Rekordjahr unserer Gesellschaft gehabt. Als ich im Jahr 2017 kam, hat D.Live mit 321 Veranstaltungen 24 Millionen Euro Umsatz gemacht. Jetzt sollten es mit 382 Veranstaltungen 40 Millionen Euro sein. 2,3 Millionen Besucher wurden erwartet, 500.000 mehr als vor drei Jahren. Das wäre klasse gewesen, aber nun wird das Jahresergebnis erbärmlich sein. Unser Geschäft ist auf Null, wir können nichts machen. Nichts buchen, ein Namensrecht können Sie jetzt auch nicht verkaufen, vom Top-Konzert bis zum Firmenevent ist Ebbe.
Ich habe hier aber eben noch Arbeiter gesehen.
BRILL Wir könnten morgen ein Bundesligaspiel haben. Nur weil es keines geben darf, heißt das ja nicht, dass wir keinen Aufwand haben. Der Rasen muss gepflegt und sämtliche Anlagen unterhalten werden, vom Sprinkler über den Aufzug bis zur Wasserspülung. Unsere Fixkosten liegen bei 70 Prozent der Normalkosten. Und noch etwas: Unsere Biertanks sind voll. 22.000 Liter Bier, und ich weiß nicht, was wir damit machen sollen. Sogar Freibier geht nicht, weil wir eine Abgabe nicht den Vorschriften entsprechend durchführen könnten. Eine merkwürdige Zeit.
Zumindest haben Sie jetzt ein Autokino.
BRILL Das macht der Mannschaft und mir richtig Spaß. Wir zeigen, dass wir noch da sind und die Menschen aus der Region nehmen es an. Wir hatten in den ersten beiden Wochen 19.000 Zuschauer, alle Abende waren ausverkauft. Hinzu kamen die drei Gottesdienste zu Ostern, deren Besuch natürlich gratis war. Darüber wurde sogar im kanadischen Fernsehen berichtet und die größte Radiostation Österreichs hat mich gerade zum Autokino interviewt. Unsere Homepage hatte bis jetzt eine halbe Million Klicks, unsere Logos wurden bundesweit bereits 20 Mal kopiert, das sehen wir als Ehre an.
Sie nutzen das Autokino jetzt auch für Konzerte. Warum?
BRILL Unser Hauptgeschäft ist Live-Entertainment, wir versuchen die Flamme am Lodern zu halten. Wir haben jetzt die ersten Konzerte mit Aligathoa und Sido gehabt, diese Woche kommt Brings. Die Besucher waren absolut begeistert, für die Künstler waren es bewegende Auftritte. Wir werden auch andere Formate ausprobieren, beispielsweise Comedy. Über unsere Idee, den Düsseldorfern zu ermöglichen, hier auch heiraten zu können, haben Sie ja berichtet.
Wie lange soll es das Autokino geben?
BRILL Bis die normalen Kinos wieder laufen. Wir planen immer einen Monat im Voraus, ich glaube aber, dass wir mindestens bis Ende Juli aktiv sein werden.
Wer leidet mehr unter dem Lockdown – Sportler oder Musiker? BRILL Der Sport lebt vom permanenten Wettkampf. Sportler müssen sich permanent miteinander messen, das macht es spannend und spornt zu Höchstleistungen an. Das fällt gerade komplett weg und das erschwert auch das Interesse am Sport. Bei den Musikern ist es etwas anders, das hat ja gerade das weltweite Konzert zur Corona-Krise gezeigt, das Lady Gaga initiiert hat. Die Musiker finden andere Formate. Zudem glaube ich, dass uns im nächsten Jahr viele neue Songs und gewaltige Wellen an Innovationen überraschen. Was sollen solche Menschen auch machen, wenn man sie ein halbes Jahr in den Keller sperrt? Sie werden kreativ.
Können Sie sich vorstellen, dass
wir alle mit einem Mundschutz ins Konzert gehen?
BRILL Ich glaube, wir alle wollen unseren Alltag und unsere Normalität wiederhaben. Wer hätte denn vor drei Monaten gedacht, dass wir uns nicht mehr die Hand geben? Ich denke, dass wir uns mit dem Mundschutz arrangieren. Warum auch nicht, wenn wir uns so alle miteinander schützen.
Fortuna und DEG ist in Notzeiten immer bei der Miete für Arena beziehungsweise Dome geholfen worden. Wenn der Bundesliga-Fußball wieder losgeht, wird es Geisterspiele geben und Fortuna hat zumindest Einbußen bei den Zuschauereinnahmen. Wie wollen Sie vorgehen? BRILL Das müssen wir uns genau ansehen. Auch wenn keine Zuschauer in die Arena kommen können, gibt es durch die TV-Gelder Einnahmen und auch D.Live muss Kosten decken. Beim Eishockey gibt es ein großes Fragezeichen, da dort die Eintrittsgelder für den Verein existenziell sind.