Jede Maske ist besser als keine Maske
ber Wochen war auf der Internetseite des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu lesen, dass eine Schutzwirkung von Gesichtsmasken gegen das Coronavirus wissenschaftlich nicht belegt sei. Jetzt hat es seine Empfehlung modifiziert: „Durch einen Mund-Nase-Schutz (MNS) oder bei der gegenwärtigen Knappheit eine textile Barriere im Sinne eines MNS (eine „Behelfsmaske“) können Tröpfchen, die man etwa beim Sprechen, Husten oder Niesen ausstößt, abgefangen werden. Das Risiko, eine andere Person anzustecken, kann so verringert werden (Fremdschutz)“. Und weiter: „Es ist zu vermuten, dass auch Behelfsmasken das Risiko verringern können, andere anzustecken.“
Die Aussage endet mit dem Hinweis, es gebe keine ausreichenden Belege dafür, dass ein MNS oder eine Behelfsmaske den Träger vor einer Coronavirus-Infektion schütze, ein „Eigenschutz“also „nicht gewährleistet“sei. Derartig verklausulierte Hinweise sind nicht hilfreich, vergrößern die Unsicherheit in der Bevölkerung und widersprechen der Datenlage.
Bisherige Untersuchungen zur Wirksamkeit von Schutzmasken beschränkten sich auf physikalische Kenngrößen wie die Durchlässigkeit eines Maskentyps für Partikel bestimmter Größe. Andere Studien untersuchen den Eigenschutz durch das Tragen einer Maske, typischerweise bei medizinischem Personal, das infektiöse Patienten betreut. Studien, die die derzeitige Epidemie-Situation durch einen hochinfektiösen Erreger reflektieren, gibt es nicht.
Anhand ihrer Konstruktionsmerkmale lassen sich Mund-Nase-Masken drei Kategorien zuordnen. Sogenannte Partikel-filtrierende Atemschutzmasken sind halbstarre oder starre Hohlkörper aus synthetischem Material, die dicht auf der Gesichtshaut anliegen. Es gibt sie mit und ohne Ausatmungsventil. Masken der Zertifizierungsklasse FFP2 und
FFP3 filtrieren bis zu 94 beziehungsweise 99 Prozent der Viruspartikel aus der Umgebungsluft. Ein Mund-Nase-Schutz aus mehreren Lagen von dünnem Vlies, üblicherweise als OP-Maske bezeichnet, fängt Tröpfchen beim Einatmen wie beim Ausatmen ab. Durch ungenaue Passung an die Form des Gesichts kann ein Teil der Luft aber ungefiltert hinter die Maske einströmen und beim Ausatmen wieder nach draußen gelangen. Eine neue Studie in „Nature Medicine“an mit Coronavirus infizierten Patienten zeigte eine nahezu 100-prozentige Wirksamkeit von OP-Masken in Bezug auf vom Träger ausgeatmete Tröpfchen und Aerosole. Wie groß die Schutzwirkung für den Träger selbst ist, wurde nicht untersucht.
OP-Masken waren ursprünglich entwickelt worden, um eine Infektion des Patienten durch den Operateur zu vermeiden. Seit langem werden diese Masken aber gleichermaßen zum Eigenschutz getragen, nämlich von medizinischem Personal bei der Versorgung von infektiösen Patienten. Der Grund für die zurückhaltenden Empfehlungen des RKI ist vermutlich die Annahme, dass die Übertragung von Coronaviren ausschließlich über Tröpfchen und Aerosole erfolgt. Die Datenlage hat sich aber geändert. Eine im „New England Journal of Medicine“veröffentlichte Untersuchung beweist, dass sich bei normalem Sprechen winzigste Tröpfchen bilden, die mit der Luft nach draußen gelangen. Die schlechte Nachricht: Selbst bei leiser Sprache kamen ausreichend Tröpfchen aus dem Mund, um ein Infektionsrisiko zu beinhalten. Je lauter gesprochen wurde, umso mehr Erreger waren in der Luft nachweisbar. Die gute Nachricht war, dass bereits ein einfacher Mundschutz die „feuchte Aussprache“wirkungsvoll unterband.
Die Wirksamkeit selbstgeschneiderter Masken hängt von den Merkmalen des Stoffes wie der Textur und der Porengröße der Maschen ab und variiert zwischen 86 Prozent und 73 Prozent.
Durch kleine Änderungen – Passgenauigkeit der Maske, breite Kontaktfläche mit der Haut durch Einnähen flexibler Metallstreifen an den Rändern, Vergrößerung der abgedeckten Gesichtsfläche, gleichmäßigen Zug an den vier Ecken nach schräg oben und unten – lässt sich die Schutzwirkung erhöhen.
Die Kehrtwende des RKI scheint öffentlichem Druck geschuldet. Seit Wochen empfehlen Fachleute der Bevölkerung, sich konsequent mit Masken zu schützen. Walter Popp, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, sagte: „Jede Maske ist besser als keine Maske“. Alexander Kekulé (Uniklinik Halle) hielt eine Maskenpflicht sogar für „absolut sinnvoll“.
Es ist offensichtlich, dass medizinisches Personal sicher sein muss, dass es durch eine Maske vor einer Infektion geschützt ist. Anders ist die Situation, wenn Masken getragen werden sollen, um die Übertragungswahrscheinlichkeit auf Bevölkerungsebene zu vermindern. Hier ist nicht die absolute Schutzwirkung entscheidend, sondern der Umstand, dass konsequent Masken getragen werden.
Haben selbstgenähte Masken eine Schutzwirkung von 85 Prozent, tragen aber alle Menschen eine solche Maske, sinkt die Übertragungswahrscheinlichkeit auf Bevölkerungsebene signifikant. Derzeit kann die Wahrscheinlichkeit, dass unter mehreren Personen, die in einem Raum oder in öffentlichen Verkehrsmitteln aufeinandertreffen, mindestens eine Person infektiös ist, nicht geschätzt werden. Deshalb muss das Risiko einer Virusübertragung möglichst auf null gesenkt werden. Und das geht nur, wenn die Pflicht zur Maske umgesetzt wird. Dabei ist es irrelevant, ob der Effekt im Einzelfall durch „Fremdschutz“oder „Eigenschutz“erzielt wird.
Wichtig ist nicht die absolute Schutzwirkung, sondern das konsequente Tragen