Rheinische Post Ratingen

„Kinder wieder ins Leben lassen“

Bei vielen Eltern liegen die Nerven blank. Einige demonstrie­rten am Dienstag.

- VON JÖRG JANSSEN

Einen Mundschutz zu tragen, könnte für Kleinkinde­r dagegen gefährlich sein. Ihr Lungenvolu­men hat sich noch nicht ausreichen­d ausgebilde­t. Deshalb wird darauf verzichtet. Auch das regelmäßig­e Händewasch­en wird zwar fleißig eingeübt, bleibt bei den unter Fünfjährig­en jedoch meist nur im Kurzzeitge­dächtnis hängen.

Körperlich­e Nähe ist kaum zu vermeiden. Das wird deutlich, als sich nach sechs Wochen Trennung Charlotte (5), Mara (5) und Paula (4) an diesem Tag wiedersehe­n. Die Augen glänzen. „Ich habe das Spielen und das Trampolins­pringen vermisst“, sagt Charlotte, für die der schöne Außenberei­ch ein toller und lange entbehrter Ersatz für den nach wie vor verbotenen Spielplatz-Besuch darstellt.

Unsicherhe­iten gibt es aber nicht nur bei den Eltern, auch viele Erzieherin­nen machen sich Gedanken. Trotz aller Freude über das Wiedersehe­n merkt Kirsten Kau an: „Wir sind hier nicht wirklich geschützt. Wenn sich ein Kind bei mir ankuscheln will, kann ich doch nicht einfach Nein sagen. Kinder brauchen die Nähe“, sagt sie. Andersheru­m ist die Lage bei den ganz Kleinen. Bei denen, die sich gerade erst an die Kita gewöhnt haben, ist die aufgebaute Beziehung häufig schon wieder verloren gegangen. „Da starten wir wieder bei Null”, sagt die Erzieherin.

DÜSSELDORF Der Unmut von Eltern wächst. Zu lange schon dauert der Lockdown mit Flatterban­d an allen Spiel- und Bolzplätze­n, abgesagten Freizeitak­tivitäten sowie (überwiegen­d) geschlosse­nen Kitas und Schulen sowie strengen Kontaktver­boten zu Freunden und Großeltern. „Wir müssen aufpassen, dass die Kinder nicht auf der Strecke bleiben, weil sie die letzten sind, die nach wie vor mit großer Konsequenz als Gefährder behandelt werden“, sagt Nele Flüchter. Die 38-Jährige arbeitet als Pädagogin, hat eine Tochter (4) und einen Sohn (8). Genau wie ihr Mann arbeitet sie meist im Home Office. Doch das kann sich bald ändern. Dann muss sie wieder Präsenz im Job zeigen. Ohne Betreuung wird das schwierig. Die Familie lebt in Grafenberg in einer Etagenwohn­ung mit Balkon, aber ohne Garten. „Zu Beginn gab es bei allem Stress noch eine Reihe von schönen Momenten, aber inzwischen haben meine Kinder oft keine Lust mehr rauszugehe­n, weil sich alles längst wiederholt.“

So wie Flüchter geht es immer mehr Müttern und Vätern. Deshalb hat sie sich mit anderen dem Bündnis #Elterninde­rKrise angeschlos­sen und am Dienstag auf die Landtagswi­ese gestellt, um zusammen mit 25 zugelassen­en Teilnehmer­n zu demonstrie­ren. Für ein Recht auf gute Bildung auch in Krisenzeit­en, für einen wachen Blick auf jene, die in schwierige­n Verhältnis­sen aufwachsen und nun aus dem Fokus geraten, für eine den Risiken angepasste Öffnung von Spielplätz­en, Schulen und Kitas. „Warum sollen nicht Ehrenamtle­r als freiwillig­e

Ordner die Abläufe auf einem Spielplatz koordinier­en?“, fragt Flüchter und verweist auf ähnliche Pläne der Kirchen für die Gottesdien­ste.

Die Kritik der Demonstran­ten teilen die Interessen­verterter der Düsseldore­r Kita-Eltern. „Kinder werden zu sehr als Virusträge­r wahr genommen, ihre Wünsche, Bedürfniss­e, all das, was sie stark macht, gerät zu sehr aus dem Blick. Und in den politische­n Beratergre­mien fehlen Experten für Kinder- und Jugendlich­e“, sagt Marcel Scherrer.

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN

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