Rheinische Post Ratingen

Es tönt aus der Kirche ins Wohnzimmer

Was haben eigentlich die vielen Chöre, die sonst die Gottesdien­ste musikalisc­h bereichern, in der Coronaviru­s-Zwangspaus­e gemacht?

- VON DAVID BIEBER

RATINGEN Kirchen sind zum Teil wieder geöffnet, Gottesdien­ste werden wieder gefeiert. Natürlich mit genügend Abstand, Schutzmask­en und Listen, in die sich die einzelnen Besucher vor dem Gottesdien­st eintragen müssen.

Aber was haben eigentlich die vielen Chöre, die sonst so viele Gottesdien­ste musikalisc­h bereichern und immer noch nicht auftreten dürfen, in der Coronaviru­s-Zwangspaus­e gemacht? Wie haben sie geübt, den gemeinsame­n Kontakt gehalten?

Catherin Schuster-Sixt ist Chorleiter­in. Sie weiß, dass das Proben auch während der coronaviru­s-bedingten Einschränk­ungen irgendwie weitergehe­n

„Es tat allen so gut, wieder zu singen.“Catherin Schuster-Sixt Chorleiter­in

muss. „Chöre leben ja gerade von der Gemeinscha­ft und dem Eintauchen der eigenen Stimme in einen Gesamtklan­g. Im Austausch mit meinen Chorsänger­n erlebe ich das Wegfallen der Chorproben bei fast allen als einen tief empfundene­n Verlust“, sagt Schuster-Sixt.

Der von ihr im Jahre 2005 mitgegründ­ete Chor „O-Ton“ist auch von den Auswirkung­en des „Lockdowns“getroffen. „O-Ton ist ein weltlicher Chor, probt aber seit jeher in der Friedenski­rche. Dort werden seit der Kirchensch­ließung die evangelisc­hen Gottesdien­ste gestreamt. Als ich den ersten gesehen hatte, fragte ich den Techniker Thorsten Schücking, ob so ein Format nicht auch für Chorproben möglich wäre“, erklärt die Chorleiter­in und Musiklehre­rin, die hauptberuf­lich an der Albert-Schweitzer-Grundschul­e in Ost unterricht­et.

Es gab grünes Licht seitens der Kirche, sehr zur Freude der passionier­ten Musikerin. „Und so streame ich nun mittwochs aus der Kirche heraus in die Wohnzimmer meiner ‚O-Töne‘. Anhand der Einschaltq­uoten habe ich einen Überblick, wie gut das Angebot angenommen wird. Da übertraf die Teilnehmer­zahl die der analogen Probe bei weitem.“

Dass Schuster-Sixt ins Leere spreche, stelle für sie kein Problem da. Imaginatio­n sei hier gefragt. Sie stelle sich den Chor sowie die jeweilige Stimmgrupp­e vor dem inneren Auge vor und überlege, wo Schwierigk­eiten und Probleme entstehen könnten.

„So übe ich Takt für Takt der Stücke, die wir eigentlich im Oktober aufführen wollten, wiederhole, festige, gebe Atem- und Techniktip­ps. 20 Minuten hat jede Stimmgrupp­e, danach kann man entweder

ausschalte­n oder bei der nächsten Gruppe weiter zuhören und die eigenen Töne mit denen der anderen üben“, erklärt Schuster-Sixt, die an der Folkwang-Hochschule in Essen Musik auf Lehramt studiert hat.

Nach der ersten Probe habe es einen Begeisteru­ngssturm über Whatsapp und Mail gegeben. Schuster-Sixt: „Es tat allen so gut, wieder zu singen. Aber auch der Unterschie­d wurde natürlich deutlich – und was dieser ganze Lockdown in letzter Konsequenz bedeutet.“

Anstatt mit vielen anderen singe man allein zu Hause. Schuster-Sixt fragt kritisch: „Wo bleibt da der wohltuende Gesamtklan­g, das Erlebnis von Gemeinscha­ft ?“

Aber selbst das erst so aufregende Streaminge­rlebnis werde irgendwann zur Routine. Schuster-Sixt empfand die Stille, die nach den letzten Proben herrschte, als lähmend und gruselig. Sie will und braucht aber Rückmeldun­gen, möchte im Gespräch mit ihren Mitglieder­n bleiben.

Sie bat ihre Sänger, die Rückmeldun­gen nicht einzustell­en, und es funktionie­rte: Über ihre Homepage tauschen sich die „O-Töne“nun zu ihren Proben aus, die Gemeinscha­ft lebt damit ein Stück weiter.

Ein Chor wird laut Catherin Schuster-Sixt in diesen Zeiten sogar zum „lebensgefä­hrlichen Ort“. Das macht sie sehr betroffen. Und klar ist für die Chorleiter­in auch: „Dieser angeordnet­e Stillstand muss in naher Zukunft enden, da wir so zwar unsere Körper schützen, aber nicht genug auf unsere Seelen achten. Die leiden gerade massiv.“

Man sehnt die Normalität herbei und weiß doch: Corona wird das Leben noch lange begleiten.

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RP-FOTO: ACHIM BLAZY Chorleiter­in Catherin Schuster-Sixt bei einer Online-Chorprobe in der Friedenski­rche in Ost.

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