Die EZB will an Anleihekäufen festhalten
Die EU-Kommission ist alarmiert vom Urteil zur Europäischen Zentralbank, weil sich das Verfassungsgericht über den Europäischen Gerichtshof stellt. Sie fürchtet, dass das Urteil Schule macht. Auch die Kanzlerin schaltet sich ein. Anleihekauf-Programme der
BRÜSSEL Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) teilweise für rechtswidrig erklärt hat, hat größtes Befremden bei der EU-Kommission ausgelöst. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen droht mit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland.
Warum will Brüssel ein Verfahren einleiten? Die EU-Kommission hat zwei Aufgaben: Sie muss Gesetzesvorschläge erarbeiten und darüber wachen, dass in allen Mitgliedstaaten die EU-Verträge eingehalten werden. Das Karlsruher Urteil stellt aus Sicht der Kommission einen Verstoß gegen die EU-Verträge her, weil die Karlsruher Richter eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht akzeptiert haben.
Was heißt das Urteil für die EZB? Die Zentralbank kann damit gut leben, denn Karlsruhe hat nicht bestritten, dass die Notenbank Staatsanleihen in großem Stil kaufen darf. Das Urteil gibt damit auch Raum für die Fortsetzung der lockeren Geldpolitik. Und die will die EZB nutzen: Man werde die umstrittenen Wertpapierkäufe fortsetzen, dies geschehe im Einklang mit dem Mandat der Notenbank, sagte Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel der italienischen Zeitung „La Repubblica“. Nur der Europäische Gerichtshof sei auf juristischer Ebene zuständig für die EZB und deren Handeln. Und der habe 2018 entschieden, dass das Kaufprogramm Public Sector Purchase Programme legal sei. Das Gericht rügt nur, dass die EZB die Käufe nicht hinreichend geprüft und ordentlich begründet habe. Dies nachzuholen, dürfte EZB-Präsidentin Christine Lagarde und ihre Experten leicht fallen.
PSPP Das Urteil aus Karlsruhe zielt auf das „Public Sector Purchase Programme“, über das die EZB seit 2015 Anleihen kauft.
PEPP Um die Folgen der Corona-Krise zu mildern, legte die EZB das „Pandemic Emergency Purchase Programme“auf. Umfang: 750 Milliarden Euro.
Worin liegt der Sprengstoff des Urteils? Problematisch ist, dass sich das Verfassungsgericht mit seinem Urteil über den Europäischen Gerichtshof gestellt hat. Die EZB ist eine europäische Institution und politisch unabhängig. Sie unterliegt gerichtlicher Kontrolle, aber nicht in den Mitgliedstaaten, sondern durch den EuGH, der für alle europäischen Institutionen und Gesetze die oberste Schlichtungsinstanz ist.
Was bedeutet das für Corona-Hilfen? Die EZB hat vor wenigen Wochen ein weiteres Anleihe-Kaufprogramm über 750 Milliarden Euro beschlossen, das PEPP genannt wird. Es soll Ruhe in die Finanzmärkte bringen und dazu beitragen, dass Investoren nicht zu hohe Risiko-Aufschläge bei Anleihen von hochverschuldeten Staaten wie Italien verlangen. Auch die Karlsruher Richter hatten betont, dass Hilfen in der Corona-Krise von dem Urteil unberührt sind..
Was folgt europapolitisch? Der grüne Finanzexperte Sven Giegold sagt: „Die Bedeutung der Entscheidung ist für die EU grundlegender als für die Währungsunion des Euro.“Due große Sorge in Brüssel: Es könnte Schule machen, dass sich ein nationales Gericht über den EuGH stellt. Diese Sorge gibt es auch in Berlin: Kanzlerin Angela Merkel hat laut Teilnehmerkreisen in der Schalte des CDU-Präsidiums am Montag darauf hingewiesen: Es sei heikel, weil sich andere EU-Regierungen bereits auf das Urteil bezogen und es begrüßt hätten. Merkel spielt dabei auf Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki an. Der hatte „von einem der wichtigsten Urteile in der Geschichte der EU“gesprochen. Der EuGH hat wiederholt Justizreformen in Polen für unrecht erklärt und auf Rückabwicklung bestanden. Nun könnte Polen versuchen, sein Verfassungsgericht gegen den EuGH in Stellung zu bringen.