Elf Dinge, die Geisterspiele lehren werden
Bundesligapartien ohne Fans werden anders sein. Doch wo genau? Wir stellen Fragen, die das Wochenende beantworten wird.
DÜSSELDORF Hans-Dieter Hermann ist der Sportpsychologe der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Und als solcher hat er mit Blick auf die Rückkehr des Bundesligaspielbetriebs an diesem Wochenende eine große Wahrheit gelassen ausgesprochen. „Die verbliebenen Spieltage werden Geschichte schreiben“, sagte der 59-Jährige. Widersprechen will ihm da niemand, denn alle sind sich einig, dass die Geisterspiele einen anderen Fußball bieten werden als Spiele vor gefüllten Rängen. Ohne Zuschauer wird einiges anders sein, manches offensichtlich, anderes erst beim genauen Hinsehen und -hören erkennbar. Wir haben elf Dinge aufgelistet, die der Fan in Geisterspielen lernen wird.
1. Welche Spieler geben auf dem Platz den Ton an? Ohne den Lärm von den Rängen ist der Zuschauer am Bildschirm viel näher dran am Geschehen – vor allem akustisch. Über die Außenmikrofone dringen Kommandos, Beschwerden und Gemaule ins Wohnzimmer, die sonst der Arena-Lärm verschluckt hätte. Insofern dürfte tatsächlich zu hören sein, wer in welcher Mannschaft der Wortführer ist und wie derjenige die Kollegen auf dem Platz dirigiert.
2. Wie hört sich Trash-Talk unter den Profis an? Sticheleien, Provokationen, Beleidigungen – im Zwischenmenschlichen sind sich Bundesund Kreisliga vielleicht am Ähnlichsten. Die Frage ist: Wie viel Trash Talk bekommt der TV-Zuschauer mit? Und ist es gut, dass er ihn mitbekommt?
3. Hört Schauspielerei ohne Zuschauer auf? Spieler, die aus einem Foul mehr machen, als es war. Spieler, die aus keinem Foul machen, was gar nicht war. Spieler, die wälzend mehrere Umdrehungen mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen drehen. Sie alle wollen die Wucht des Publikums einsetzen, um den Schiedsrichter am Ende vielleicht doch beeinflussen zu können. Was aber, wenn die Wucht der
Ränge ausfällt? Lohnen sich dann Schwalben überhaupt noch?
4. Nehmen Trainer ohne Stadionlärm größeren Einfluss? Bilder von Trainern, die schreien, pfeifen, dreimal vier ist zwölf in die Luft malen – sie gehören zum Fußballspiel dazu. Und immer mal wieder bekennen Profis, dass sie von den Anweisungen kaum etwas mitbekommen, weil es eben so laut im Stadion ist.
Interessant wird also sein, ob die Trainer vor leeren Rängen in der eigenen Wahrnehmung mehr Einfluss aufs laufende Spielgeschehen nehmen können.
5. Tendiert ein Geisterspiel zum 5:5 oder zum 0:0? Vielleicht am Ende die interessanteste Frage. Ist ein Geisterspiel eines mit zügig gelöster Handbremse oder ein Kick, in dem Risiko das allerletzte Mittel ist? 6. Gibt es noch einen Heimvorteil? Der Vorteil, vor eigenem Publikum zu spielen, fällt ja nun mal weg. Bleibt also die Frage: Was bleibt als Plus fürs Heimteam? Sportpsychologe Hermann sieht den Heimvorteil weiterhin gegeben: „Es ist so viel Gewohntes trotzdem da. Das geht schon mit der eigenen Kabine los, die signalisiert: Hier sind wir zu Hause, beziehungsweise hier sind wir eben nicht zu Hause.“
7. Wie fit sind die Schiedsrichter? Über das Homeoffice-Training der Spieler war die Öffentlichkeit bestens im Bilde. Aber wie sieht es mit den Unparteiischen aus? Stehen sie allesamt nach der langen Pause voll im Saft?
8. Was wirkt albern in der Inszenierung des Drumherum? Auch wenn sich über Geschmack streiten lässt, wird sich schonungslos offenbaren, welche künstliche Inszenierung der Stadionregie den Nerv der TV-Zuschauer trifft und was zur Lachnummer in den Sozialen Medien wird.
9. Wie spannend ist eine Geisterspiel-Konferenz in TV und Radio? Die Radio-Konferenz lebt davon, am Lautstärke-Grad der Fans erkennen zu können, ob das „Toooooor in Mönchengladbach“nun für oder gegen die Borussia gefallen ist. Ob das Format auch ohne Fans funktioniert, wird man sehen. Besser: hören. Im TV wird spannend sein, ob öfter als sonst zwischen einzelnen Spielen gewechselt wird, um Ermüdung und Langweile vorzubeugen.
10. Welche Kollateral-Corona-Schäden gibt es? Es wird der Aspekt sein, auf den Polizei und Ordnungskräfte am gespanntesten sein werden: Wird es Fan-Ansammlungen vor den Arenen geben? Und treffen sich Fans irgendwo in großen Gruppen zum gemeinsamen Gucken?
11. Wie sehr haben die Zuschauer den Fußball wirklich vermisst? Die TV-Quote wird es unwiderlegbar verraten.