Konjunkturpaket mit offenem Ende
Union und SPD trauten es sich nicht zu, binnen neun Stunden eine Einigung beim Konjunkturpaket zu finden. Die Verhandlungen wurden auf Mittwoch ausgedehnt. Es geht um 80 bis 100 Milliarden Euro.
BERLIN Schon kurz bevor die dunklen Limousinen am frühen Dienstagnachmittag vor dem Kanzleramt vorfuhren, hatten sich die Spitzen von SPD und Union darauf verständigt, dass die Beratungen zu den Wirtschaftshilfen und zum Konjunkturpaket nicht an einem Tag zu schaffen sind. Zu viele Vorschläge und zu viele auseinanderstrebende Ideen zur Ankurbelung der Wirtschaft lagen von CDU, CSU und SPD auf dem Tisch.
Das Finanzvolumen der Entscheidungen wurde vor dem Start der Sitzung auf 80 bis 100 Milliarden Euro geschätzt. Eine solche Summe sollte nicht in einer nächtlichen Sitzung durchgepeitscht werden. Es gehe um ein gemeinsames Papier, das einem Koalitionsvertrag ähnlich sei, hieß es aus Verhandlerkreisen. Die Verabredung: Am Dienstag sollte bis 23 Uhr geredet werden, am Mittwoch soll die Sitzung nach dem Kabinett gegen 10 Uhr weitergehen.
Legt man nur die Prosa beider Seiten nebeneinander, lässt sich der Eindruck gewinnen, als zögen Union und SPD an einem Strang. Demnach geht es darum, zukunftsfähig und gestärkt aus der Krise herauszukommen. Der CDU sei wichtig, dass die anstehenden Entscheidungen einen „nachhaltigen Effekt auf Wachstum und Innovation“hätten, hieß es aus CDU-Kreisen. Das SPD-geführte Finanzministerium ließ wissen, dass man mit dem Konjunkturpaket „eine neue Dynamik“erzeugen wolle. Das Paket müsse die Einkommen stärken, Unternehmen stabilisieren und die Transformation der Wirtschaft vorantreiben, hieß es.
Vergleicht man die einzelnen Punkte, die die Parteispitzen in den Verhandlungen aufrufen wollen, werden allerdings große Unterschiede sichtbar. Klar ist auch, dass es am Dienstag vor dem Start des Koalitionsausschusses deutlich mehr kostspielige Ideen gab, als selbst ein üppiger Nachtragshaushalt mit einer zusätzlichen dreistelligen Milliardensumme abbilden kann. In allen Parteizentralen waren über das Pfingstwochenende noch zahlreiche Forderungen und Instrumente ausgearbeitet worden, mit denen Wirtschaft und Familien gestützt und die Erneuerung der Gesellschaft vorangetrieben werden sollten.
Alle drei Parteien haben zudem zentrale Punkte, mit denen sie nicht nur die Corona-Krise bekämpfen, sondern auch das eigene Profil mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 schärfen wollen. Immerhin geht es um Maßnahmen, die in den nächsten zwölf bis 18 Monaten wirksam werden sollen.
Bei den Sozialdemokraten steht eine finanzielle Entlastung der Kommunen
im Vordergrund. Finanzminister Olaf Scholz hat dazu bereits ein Konzept vorgelegt, das die Entschuldung klammer Kommunen vorsieht. Auch die Union will den Kommunen helfen, aber nicht mit Entschuldung. Vielmehr sollen sie bei den laufenden Kosten für Hartz-IV-Empfänger entlastet werden. Die SPD will zudem einen Kinderbonus von einmalig 300 Euro pro Kind durchsetzen, der Familien mit kleinen und mittleren Einkommen zugutekommen soll und den auch Hartz-IV-Empfänger zusätzlich erhalten sollen. Zudem dringt die SPD darauf, die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld auf 24 Monate zu verlängern.
Die CDU setzt insbesondere bei der Stärkung von Unternehmen an. Sie sollen Verluste großzügiger steuerlich geltend machen können und mehr Abschreibungsmöglichkeiten erhalten. Zugleich plant das Wirtschaftsministerium ein weiteres 25-Milliarden-Euro-Programm für kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 249 Mitarbeitern. Zu den Herzensthemen der CDU gehört auch ein Absenken der EEG-Umlage. Der Strompreis gilt als wichtiger Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie.
Schwierig wird es für die Union beim Thema Auto-Prämie. Die CSU will diese unbedingt, sodass sie in SPD-Kreisen schon als „BMW-Prämie“verspottet wird. Allerdings haben auch die Ministerpräsidenten
aus den Autoländern Niedersachsen und Baden-Württemberg, Stepahn Weil (SPD) und Winfried Kretschmann (Grüne), ein hohes Interesse daran, die einstige Abwrack-Prämie neu aufzulegen. In der CDU kommt ausgerechnet vom Wirtschaftsflügel Gegenwind. Offizielle Linie der Partei am Dienstag war, dass man eine „Innovations-Kaufprämie“anstrebt, durch die auf klima- und umweltfreundlichere Fahrzeuge umgestellt werden solle. Dieses Thema ist ein Grund, warum, die Parteispitzen sich von vornherein unbegrenzt Verhandlungszeit gegeben haben. Bei dem Thema ist Streit programmiert, weil die SPD-Parteispitze keinesfalls noch einmal Verbrennungsmotoren fördern möchte und dabei sogar die deutsche Öffentlichkeit auf ihrer Seite hat.
Neben der Kaufprämie für alle Autos will die CSU den steuerlichen Solidaritätszuschlag komplett abschaffen und die Einkommensgrenze für Mini-Jobs auf 600 Euro anheben. Man darf gespannt sein, welches dieser CSU-Themen sich Parteichef Markus Söder als Bedingung für eine Einigung auf die Fahnen schreibt.
Einigkeit gab es schon vor der Sitzung, dass digitales Lernen noch sehr viel mehr gefördert werden muss und dass es mehr Investitionen für die Nutzung von Wasserstoff als klimafreundlicher Antrieb geben muss.