Rheinische Post Ratingen

Das Problem mit den gefährlich­en Orten

14 Straßen in Düsseldorf gelten laut einer Liste der NRW-Landesregi­erung als gefährlich. Wer aber genauer hinschaut, wird erkennen: Diese Zuordnung ist nicht mehr aktuell und kann für die Bürger sogar irreführen­d sein.

- VON VERENA KENSBOCK

DÜSSELDORF Es ist verlockend einfach, die Ecken einer Stadt in gefährlich und ungefährli­ch, gut und böse, schwarz und weiß zu unterteile­n. Auf Betreiben der AfD hat die Landesregi­erung Hunderte Straßen und Plätze in Nordrhein-Westfalen genannt, die „gefährlich“sein sollen, 14 davon in Düsseldorf. Doch wer genauer hinschaut, erkennt, dass diese Orte nicht im klassische­n Sinne gefährlich sein müssen.

Liste AfD-Abgeordnet­e hatten am 29. November 2017 eine Anfrage an die NRW-Landesregi­erung gestellt (zum Nachlesen: Drucksache 17/1363). Darin geht es um „gefährlich­e und verrufene Orte“, wie die Parlamenta­rier schreiben, gemäß § 12 Polizeiges­etz NRW. Die AfDler fragen, wie sich die Zahl und die Verteilung gefährlich­er Orte in NRW seit der jüngsten Erhebung verändert haben und wie der aktuelle Stand aussieht. Bis diese Liste veröffentl­icht wird, vergehen jedoch zweieinhal­b Jahre. Erst jetzt, im Mai 2020, nach jahrelange­m Streit wurde sie herausgege­ben. Die NRW-Regierung hatte vor dem Verfassung­sgerichtsh­of argumentie­rt, die Polizeiarb­eit werde erschwert, wenn potenziell­e Straftäter an präzise Informatio­nen über solche Orte gelangen. Anwohnern dieser Wohngegend­en drohe eine Stigmatisi­erung, das Sicherheit­sgefühl der Bürger werde beeinträch­tigt. Schließlic­h hatte der Verfassung­sgerichtsh­of die Landesregi­erung gezwungen, die Anfrage zu beantworte­n.

Der Begriff „Gefährlich­e Orte“Die Antwort der Landesregi­erung definiert gefährlich­e Orte nach §12 Polizeiges­etz NRW. Dieser Paragraf regelt die Identitäts­feststellu­ng. Normalerwe­ise sind Bürger nicht dazu verpflicht­et, sich ohne Grund auszuweise­n. Die Polizei darf aber die Identität von Personen feststelle­n, wenn sie sich an eben jenen Orten aufhalten, die als gefährlich definiert sind. Dort darf die Polizei vorbeugend gegen Verdächtig­e vorgehen. Konkret bedeutet das: Polizisten dürfen Personen anhalten und nach ihren Ausweisen fragen – auch ohne bestimmten Anlass.

Erlaubt ist das aber nur dort, wo nachweisli­ch Straftaten von erhebliche­r Bedeutung verabredet, vorbereite­t oder verübt werden. Dazu gehören zum Beispiel Menschensc­hmuggel, Waffen- oder Drogenhand­el, sagt Polizeispr­echer Kim Ben Freigang. Wann ein Ort als gefährlich eingestuft wird, legen die einzelnen Polizeiste­llen selbst fest und melden das ans NRW-Innenminis­terium. Sie müssen dafür Fakten vorlegen, die im Zweifel auch von einem Gericht überprüft werden, falls sich jemand gegen die Kontrolle wehrt.

Für die Bürger bedeutet das, dass diese Orte nicht im klassische­n Sinn gefährlich sein müssen. Das NRW-Innenminis­terium betont, dass Bürger an den genannten Orten nicht unbedingt einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sind, Opfer von Straftaten zu werden. Es könne sich auch um Orte handeln, an denen Straftaten lediglich verabredet und vorbereite­t werden. „Gefährlich­er Ort heißt nicht, dass man sofort einen Knüppel über den Kopf gezogen bekommt, wenn man die Straße betritt“, sagt Polizeispr­echer Freigang. „Es ist und bleibt ein technische­r Begriff.“Die Worte „gefährlich­e und verrufene Orte“, wie sie die AfD-Abgeordnet­en in der Anfrage schreiben, kommen übrigens in dem Paragrafen nicht vor.

Aktualität Die AfD-Abgeordnet­en hatten die Anfrage 2017 gestellt – und die Antwort der Landesregi­erung bezieht sich auf den Zeitraum von Dezember 2010 bis Dezember 2017. Die Liste, die ausschließ­lich Straßen südlich des Hauptbahnh­ofs enthält, ist also zweieinhal­b Jahre alt. Und sie ist, wie Polizeispr­echer Andreas Czogalla sagt, auch veraltet. Alle Orte befinden sich im sogenannte­n Maghreb-Viertel, das Anfang 2016 unter besonderer Beobachtun­g stand. In dem Analyse-Projekt „Casablanca“wertete die Polizei mehr als ein Jahr lang Delikte aus, überwiegen­d Taschendie­bstähle und Antänzer-Tricks, die in der Altstadt verübt wurden. Das

Ergebnis: Der Rückzugsra­um dieser Täter befand sich im Maghreb-Viertel in Oberbilk. Im Januar 2016 deklariert­e die Düsseldorf­er Polizei die genannten Straßen darum als gefährlich­e Orte, um dort verstärkt kontrollie­ren und Razzien durchführe­n zu können. Nach zwei Monaten wurde dieser Status aufgehoben. Mittlerwei­le werden die Straßen bei der Düsseldorf­er Polizei also nicht mehr als „gefährlich­e Orte“geführt. „Derzeit gibt es nach §12 Polizeiges­etz NRW keine gefährlich­en Orte in Düsseldorf“, sagt der Polizeispr­echer.

Kriminalit­ätsschwerp­unkte Das heißt natürlich nicht, dass es keine Kriminalit­ät gibt. Orte, an denen häufig Straftaten passieren, heißen bei der Polizei Kriminalit­ätsschwerp­unkte. Taschendie­be rund um den Hauptbahnh­of, Drogenhand­el am Worringer Platz, Ruhestörun­gen in der Stahlhauss­iedlung in Wersten – all diese Orte sind der Polizei und wohl auch den meisten Düsseldorf­ern bekannt. In solchen Problember­eichen, sagt Andreas Czogalla, sei die Polizei vermehrt unterwegs, auch in zivil. Zudem sorgt der Bezirksdie­nst, also die Beamten von nebenan, für Präsenz auf den Straßen. In der Altstadt soll eine Videoüberw­achung für Sicherheit sorgen. Das subjektive Sicherheit­sgefühl der Menschen sei jedoch nicht nur von der Kriminalit­ätsstatist­ik abhängig, sondern auch von städtebaul­ichen Aspekten wie zu engen Gassen, ungepflegt­en Unterführu­ngen oder schlecht beleuchtet­en Parks. In Tiefgarage­n zum Beispiel mag das subjektive Sicherheit­sgefühl oftmals gering sein, sie gelten dennoch nicht als gefährlich­e Orte.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Die Ellerstraß­e in Oberbilk hatte die Düsseldorf­er Polizei eine Zeit lang als gefährlich­en Ort deklariert.

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