Der personifizierte Gegensatz
Angela Merkel hatte 2016 schlimmste Befürchtungen, wie Donald Trump Politik machen würde. Sie bot dem Präsidenten Zusammenarbeit auf der Grundlage gemeinsamer Werte an. Die beiden haben nie zusammengefunden.
Angela Merkel geht auf Nummer sicher. Kein Ton von ihr, solange das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl nicht feststeht. Die Kanzlerin warte die Auszählung ab, sagt ihr Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Mag eine Mahnung von Merkel auch vermisst werden, dass sich der 45. Präsident der USA seines Amtes würdig erweisen solle bei dem Kopf-an-KopfRennen – was sie von ihm hält, ist seit Langem bekannt. Dass der Republikaner Donald Trump Briefwahl als Wahlbetrug bezeichnet, bewaffnete Anhänger aufstachelt und sich weit vor der Auszählung der Stimmen frech zum Wahlsieger über den Demokraten Joe Biden erklärt – es dürfte Merkel nicht mehr überrascht haben. Sie hat vieles von dem, was später eintrat, bereits 2016 vorweggenommen.
Es war ein denkwürdiger Auftritt damals, nachdem Trump die US-Wahl gewonnen hatte. Merkel war während des Wahlkampfs neutral geblieben, auch wenn sie auf die Demokratin Hillary Clinton gehofft hatte. Nicht weil die Frau des früheren US-Präsidenten Bill Clinton Merkels Macht in Europa offen bewunderte, hingegen Trump sich über Merkel mokierte. Sondern weil sie Böses ahnte, wenn jemand wie Trump ans Ruder kommt. Jemand, der Menschen auch für Wahlkampfzeiten unverhältnismäßig hart verleumdet, verunglimpft, verspottet oder obszön beschimpft. Unvergessen sein Wahlkampfauftritt, als er die Bewegungen eines körperbehinderten Journalisten nachäffte.
Merkel trat im Kanzleramt mit einer geradezu spektakulär harten Ansage vor die Kameras. Sie gratulierte Trump. Das war es dann auch an Freundlichkeit. Danach machte sie deutlich, in welcher Gefahr sie die Demokratie in den USA sah. Amerika, dieses in ihren Augen so wunderbare Land. Der für sie bis dahin wichtigste Partner Deutschlands. Kalifornien, ihr Sehnsuchtsland. Barack Obama, der Präsident, dem sie anfangs so skeptisch gegenübergetreten und zum Schluss tief verbunden war.
„Die Vereinigten Staaten von Amerika sind eine alte und ehrwürdige Demokratie“, setzte sie damals an, was schon Ungemach versprach, weil man das eigentlich nicht extra erwähnen muss. Der Wahlkampf 2016 sei ein besonderer „mit zum Teil schwer erträglicher Konfrontation“gewesen, beklagte sie. Sie betonte dennoch: „Für uns Deutsche gilt: Mit keinem Land außerhalb der Europäischen Union haben wir eine tiefere Verbindung als mit den Vereinigten Staaten von Amerika.“Wer „dieses große Land“regiere mit seiner gewaltigen wirtschaftlichen Stärke, seinem militärischen Potenzial, seiner kulturellen Prägekraft, der trage Verantwortung, die fast überall auf der Welt zu spüren sei. Merkels Mischung aus Warnen und Hoffen.
Dann folgte etwas, was von einigen als anmaßend, vorschnell, ja arrogant bezeichnet wurde: „Deutschland und Amerika sind durch Werte verbunden: Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung. Auf der Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an.“Daraus sprach, wie sicher Merkel sich war, dass Trump mit seinem Mangel an Demokratieverständnis, an Respekt und Mitgefühl die
Vereinigten Staaten zum Schlechteren verändern würde.
Die Welt erlebte danach Trumps „America first“mit Strafzöllen gegen andere Staaten, den Beginn des Mauerbaus zu Mexiko, seinen Bruch von internationalen Verträgen, seine Abkehr von Institutionen wie von der Weltgesundheitsorganisation. Sein Unverständnis von Pressefreiheit, seine Unverschämtheit gegenüber Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund, seine Lügen in der Corona-Krise.
In den vergangenen vier Jahren war Trump kein einziges Mal im Kanzleramt. Er war einmal in Deutschland während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg. Aber in Merkels Machtzentrum in Berlin war er nie. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit ihr am Rande des G7-Gipfels in Biarritz sagte er auf die Frage, wann er nach Deutschland komme: „maybe soon“. Vielleicht schon bald. Denn er habe ja auch „German in my blood“, Deutsch im Blut. Merkel musste schwer an sich halten, beinahe hätte sie losgelacht. Sie schien ihn nicht mehr ernst zu nehmen. Beziehungsweise ihn nicht mehr ernst nehmen zu wollen. Im Wissen, dass ein US-Präsident immer ernst genommen werden muss.
So sagte sie 2016 auch: „Die Partnerschaft mit den USA ist und bleibt ein Grundstein der deutschen Außenpolitik, damit wir die großen Herausforderungen unserer Zeit bewältigen können: das Streben nach wirtschaftlichem und sozialem Wohlergehen, das Bemühen um eine vorausschauende Klimapolitik, den Kampf gegen Terrorismus, Armut, Hunger und Krankheiten, den Einsatz für Frieden und Freiheit.“Mit Trump gab es keine Partnerschaft.
Wenn das Wahlergebnis 2020 vorliegt, wird Merkel wieder vor die Kameras treten. Sollte der Wahlsieger Joe Biden heißen, wird die Gratulation der Kanzlerin sehr viel zuversichtlicher für das deutsch-amerikanische Verhältnis klingen. Andernfalls kann sie ihre Rede von 2016 wiederholen. Das ist dann der richtige Zeitpunkt, um die Stimme gegen Trump zu erheben. Nicht in einer Phase, in der es danach aussieht, dass er das Weiße Haus wieder räumen muss.
„I have German in my blood“Donald Trump zu Angela Merkel