Rheinische Post Ratingen

Schauspiel­haus präsentier­t den „Volkskanzl­er“

Auch mit Podcasts will das Theater sein Publikum unterhalte­n – zur Not an den Bildschirm­en daheim. Die Audioperfo­rmance ist neu im Programm.

- VON CLAUS CLEMENS

DÜSSELDORF Das Schauspiel­haus will auch in Corona-Zeiten nicht den Kontakt zu seinem Publikum verlieren. Mit Streamingd­iensten und Podcasts sollen sie am heimischen Bildschirm unterhalte­n werden. Hierzu gehört eine Audioperfo­rmance von Ruth Maria Kröger nach einem Text von Maximilian Steinbeis. In der Bühnenfass­ung von Regisseur Helge Schmidt wäre das kurze Stück „Ein Volkskanzl­er“ genau am Tag der US-Präsidents­chaftswahl als Gastspiel in Düsseldorf zu sehen gewesen.

Ein Volkskanzl­er, das klingt nach dem Gegenteil von „Ein Volksfeind“. Doch es sind Bezüge zwischen dem Drama des Norwegers Henrik Ibsen von 1882 und dem Monolog von Maximilian Steinbeis vorstellba­r. Leitmotive Ibsens sind Wahrheit und Freiheit sowie Mehrheit und Recht. Besonders beanstande­te er die öffentlich­e Meinung, die oft als Wahrheit akzeptiert werde. Der Journalist

Steinbeis präsentier­t in seinem „Gedankenex­periment“einen deutschen Kanzler, der auf einer Welle der Beliebthei­t reitet und diese für seine Zwecke nutzt.

Am Tag seines Triumphs, seiner Wahl mit großer Mehrheit, gibt sich der neue Kanzler ganz staatsmänn­isch. Ein Kanzler aller Deutschen wolle er sein, mit klarem Programm jede Spaltung überwinden und versöhnen. Wer kennt nicht derartige Politiker-Sprüche, die sich unmittelba­r selbst entlarven? In sechs legalistis­chen Schritten will der Wahlsieger aus der Republik eine Diktatur machen. Den ersten davon gehen der Autor und seine Titelfigur noch ganz vorsichtig: „Jetzt mal angenommen, …“heißt es immer wieder. Dann aber heißt es: genau hinhören! Der neue Kanzler will dem Verfassung­sgericht einen dritten Senat verpassen, mit handverles­enen Richtern für „staatstroc­kene Dinge“. Ab nun ist keine Rede mehr von „mal angenommen“. Unter dem Deckmantel einer Steuerrefo­rm wird das Volk bei

Laune gehalten. Es regnet Kindergeld und neue Bildungsei­nrichtunge­n. Wer wollte schon dagegen sein? Ein paar friedliche Demonstran­ten vielleicht, die sich gegen die „Kanzlerric­hter“aufbäumen?

Und der Bundestag? Dieser „aufgebläht­en“Institutio­n wird der Kampf angesagt. Neue, passend zurechtges­chnittene Wahlkreise, sorgen für die Volkskanzl­er-genehme Orientieru­ng. Während der Innenminis­ter seine Kompetenze­n und die der Bundespoli­zei vergrößert, erkennt die – bekanntlic­h nicht vom Volk gewählte – Bundespräs­identin, dass sie gegenüber dieser Strategie machtlos ist.

Der spannende Podcast des „D’radio“wird noch einige Tage abrufbar bleiben. Eine gute Gelegenhei­t, mit Freunden auf Distanz darüber zu diskutiere­n. Vielleicht auch über die Frage, ob der Autor mit seiner überdeutli­chen Stoßrichtu­ng für und gegen bestimmte Parteien des Landes seinem Text einen guten Dienst erweist.

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