Über die Außenbahn
Norbert Röttgen spürt plötzlich Rückenwind für seine Kandidatur um den CDU-Vorsitz.
BERLIN/DÜSSELDORF Norbert Röttgen ist auf Sendung. Der Kandidat für den CDU-Parteivorsitz funkt auf allen Kanälen. Vom Atlantik weht in diesen Tagen der US-Wahl gewissermaßen günstiger Wind zu ihm in den Rhein-Sieg-Kreis. Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, kann zeigen: Wer die Analyse beherrscht, der kann die Welt erklären. Und möglicherweise bald auch eine Partei führen. Die TV-Bildschirme bis hin zu einem Interview mit CNN-Frontfrau Christiane Amanpour sind für ihn zur Bühne geworden. Zu einer nächsten großen Vorstellungsrunde für ein großes Vorhaben: Vorsitzender der Bundes-CDU zu werden.
Am 8. November hatte er sein bis dato erhebliches Reiseprogramm in die CDU-Landesverbände nach einem Corona-Kontakt unterbrechen müssen. Aber bald kann er wieder unter Menschen. Wobei Röttgen, dem bis dato im Rennen mit Armin Laschet und Friedrich Merz um CDU-Vorsitz allenfalls Außenseiterchancen eingeräumt wurden, Meter macht. Er kommt über die Außenbahn. Unlängst hat ihn die Junge Union (JU) bei einer Mitgliederbefragung auf Platz zwei gewählt, klar hinter Merz, was nicht überrascht, aber deutlich vor Laschet. Der Kandidat sagt, ohne dabei zu sehr auf den Putz zu hauen: „Ich liege ganz gut im Rennen.“
Klar, es gibt bis heute böse Stimmen
im NRW-Landesverband, die Röttgen Vergangenes nicht verzeihen wollen. „Bei Armin Laschet erinnern sich viele gerne an die gemeinsam mit großem Engagement gewonnene Landtagswahl 2017“, sagt etwa CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen. „Zusammen mit der Anerkennung einer starken Führungsleistung trotz schwieriger Lage ist das in jeder Fraktionssitzung spürbar. Dem gegenüber steht das historisch schlechteste Wahlergebnis von 2012, das Norbert Röttgen zu verantworten hatte.“Ein Landesvorstandsmitglied, das Röttgen nach eigenen Angaben 2010 mit zum Landeschef gewählt hat, geht sogar noch weiter: Dieser habe mit seiner „besserwissenden Sturheit die größte Krise in der Geschichte der NRW-CDU verursacht“. Ein „kluger Kopf“sei er, aber „definitiv kein Teamspieler“.
Ob die Erinnerung an eine verlorene Wahl verfängt, vor allem: Ob am Ende eine Mehrheit der Delegierten eines CDU-Bundesparteitages den alten Erzählungen folgen will oder lieber eine neue Geschichte mit Röttgen starten würde, ist offen. Denn dieser Parteitag wird anders. Wenn sich die Corona-Lage nicht ändert, wird er sehr digital. Und digital kann Röttgen, wie ein gut vernetzter Delegierter aus Westfalen anerkennt. „Es ist schon bemerkenswert, wie er derzeit social-media-technisch aufrüstet, sich mit dem Hund auf der Terrasse ablichtet. Die Performance ist gut“, erzählt der Parteifreund. Jetzt auch zu Hause beim Laubharken, wie sich Röttgen am Freitag bei Facebook
zeigte. Der Kandidat selbst ist ganz offenbar auf einen Flirt mit der Kamera eingestellt: „Eine Parteitagsrede lebt auch von Emotion und Präsenz. Ein digitaler Parteitag ist insofern etwas völlig anderes“, erzählt der 55 Jahre alte promovierte Jurist am Telefon.
Röttgen ist in diesen Wochen viel unterwegs. 16 Landesverbände, die alle Delegierte für den Parteitag abstellen, wollen besucht, besprochen, gesichtet sein. Die Menschen wollen sehen, wen sie eventuell zu ihrem nächsten Bundesvorsitzenden wählen und damit womöglich auch zum gemeinsamen Kanzlerkandidaten der Unionsparteien machen.
Röttgen kommt in diesem Kandidatenrennen nun entgegen, dass die Mitbewerber ihre Probleme haben. Laschet ist als Ministerpräsident und damit erster Corona-Krisenmanager unter Dauerbeschuss. Und Merz gilt spätestens seit seinem Ausraster wegen angeblicher Terminschieberei des Parteitags bei vielen Christdemokraten als nicht geeignet, eine Partei im Übergang zu vereinen. Röttgen sagt dazu trocken: „Der neue CDU-Vorsitzende muss die Partei auch am Tag danach zusammenhalten.“Der ehemalige Bundesumweltminister: „Die CDU muss jünger, weiblicher, moderner werden und die Klimapolitik fest in den Blick nehmen.“
Noch sind es 62 Tage bis zum Parteitag. Vielleicht ein Vorteil für Röttgen. Denn: Bei 1001 Delegierten könne Röttgen bis dahin noch mit etwa der Hälfte der Delegierten reden, mutmaßt jemand aus dem NRW-Landesvorstand. Ministerpräsident Laschet hingegen sei im Corona-Krisenmodus gefangen.
Während NRW-Finanzminister Lutz Lienenkämper den Eindruck hat, „dass es bei den Delegierten aus NRW wie im Landesvorstand einen spürbaren Rückenwind für Armin Laschet als Vorsitzenden und Jens Spahn als Stellvertreter gibt“, ist aus anderen Teilen der Landes-CDU wiederum zu hören, dass der Wahlkampf bisher als enttäuschend empfunden werde. Keiner der Kandidaten sei die große Lösung. Es gehe eher darum, wer von den dreien „am wenigsten schlecht geeignet“sei. Merz und Röttgen hätten Fans unter jungen CDU-Anhängern, Laschet nicht, werde aber als Autorität wahrgenommen durch seine Regierungsarbeit.
Röttgen indes erzählt von Rückmeldungen aus Landesverbänden und von Delegierten, „dass es gar nicht so schlecht ist, keinem Lager anzugehören“. Da wittert einer seine Chance.