Warum jeder Tag zählt
Die Corona-Pandemie wütet bundesweit. Lockerungen der Kontaktsperren sind nicht in Sicht. Wie geht es jetzt weiter?
BERLIN Die Botschaft ist eindeutig: Wenn Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten am Montag eine Zwischenbilanz der Corona-Einschränkungen für November ziehen, wird es nicht um Lockerungen gehen – sondern womöglich eher um Verschärfungen. Merkel wird nicht müde zu betonen, dass dieser Pandemie-Winter lang und hart werde. Eigentlich sollten die derzeitigen Kontaktbeschränkungen und Restaurantschließungen das Weihnachtsfest sichern. Doch schon jetzt scheint klar: Große Familienfeste wird es nicht geben können, wenn die Zahl der Neuinfektionen sinken soll.
Merkels Marge ist die Obergrenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen. Das ist eine Größenordnung, bei der die Gesundheitsämter einzelne Kontakte von Infizierten noch nachverfolgen können. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt seit Tagen jedoch deutlich über 130. Wenn das Ende November immer noch so ist, werden die Einschränkungen wohl ausgedehnt. Am Freitag meldete das Robert-Koch-Institut den neuen Rekordwert von 23.542 Neuinfektionen in Deutschland.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), der derzeitige Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, sagte unserer Redaktion: „Zum jetzigen Zeitpunkt können wir zwar vorsichtig optimistisch sein, aber es gibt keine Entwarnung.“Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: „Jeder Tag zählt.“
Die Minister Olaf Scholz (Finanzen/SPD) und Peter Altmaier (Wirtschaft/CDU) haben angekündigt, von Schließungen betroffenen Betrieben, Restaurants und Kultureinrichtungen über die bereits angekündigte Novemberhilfe hinaus finanzielle Unterstützung zu gewähren. Sie wollen dringend eine Welle der Insolvenzen verhindern. Ab Ende November soll es Abschlagszahlungen für Unternehmen (bis zu 10.000 Euro) und Soloselbstständige (bis zu 5000 Euro) geben.
Gastronomie Der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) mahnt: Die Novemberhilfen müssen schnellstmöglich kommen. „Die Stimmung ist jetzt von Verzweiflung geprägt“, sagte Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges unserer Redaktion. Ende November seien die meisten Betriebe in diesem Jahr dreieinhalb Monate komplett geschlossen gewesen, das könne niemand wegstecken. „Inzwischen sehen sich mehr als 71 Prozent der Unternehmen im Hotel- und Gaststättengewerbe in ihrer Existenz gefährdet, jedem sechsten Betrieb droht bereits im November die Insolvenz.“
Schulen Offen ist Seibert zufolge, ob die Lage an den Schulen bei den Beratungen am Montag eine Rolle spielen wird. „Für die Bundesregierung war immer klar: Wir wollen, so gut es möglich ist, die Schulen offenhalten.“Digitales Homeschooling könne nicht alles ersetzen. Das Problem: Die Bundesregierung hat da nicht allzu viel zu sagen. Denn Schulen sind im föderalen Deutschland Ländersache. Lernen zu Hause braucht Unterstützung
der Eltern und eine gute technische Ausstattung. Das ist kein Allgemeingut. Und durch Quarantäneanordnungen fallen derzeit viele Lehrer und Betreuer in Kitas aus. Vielen Schülern drohten Bildungslücken, heißt es.
Impfstrategie Die Landkreise beklagen mangelnde Einbindung in die Impfstrategie des Bundes. „Kritisch sehen wir, wie die neue Impfstrategie zustande kommt. Hier wäre es sicher gut, Bund und Länder würden zunächst einmal mit uns, den Landkreisen mit ihren Gesundheitsämtern, sprechen. Denn wir werden ein wesentlicher Baustein auch der Impfstrategie sein müssen“, sagt der
Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager.
Pflege Es mangelt eklatant an Pflegekräften. Noch so viele Intensivbetten nützen nichts, wenn es nicht ausreichend Krankenpfleger in den Kliniken gibt. „Für eine langfristige Pflege-Strategie ist es wichtig, dass wir zu einer besseren Bezahlung kommen. Dazu brauchen wir allgemeingültige Tarifverträge“, fordert die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD). Sie sagte unserer Redaktion ferner, es sei eine enorme Belastung für die Menschen, die in den Pflegeberufen arbeiten, dass die Zahl der Infektionsfälle weiterhin zu hoch sei und auch die Zahlen der schweren Verläufe und Todesfälle stiegen.
Proteste Eine Herausforderung bleibe für die Städte das Verhältnis von Demonstrationsrecht und Gesundheitsschutz, sagte Burkhard Jung, Chef des Deutschen Städtetages und Leipziger Oberbürgermeister. „Ich glaube, wir brauchen einen klugen Stufenplan, bei welchem Infektionsstand Versammlungen welcher Größe möglich sind.“Das Versammlungsrecht dürfe nicht zulasten des Gesundheitsschutzes gehen. Einige wenige lehnten die Maßnahmen ab und verhielten sich aggressiv gegenüber städtischen Mitarbeitern. Das müsse geahndet werden.