Das Spiel – natürlicher Trieb und Obsession
Seit es den Menschen gibt, fühlt er sich zum Spielen hingezogen. Das Internet eröffnet ihm jetzt neue Dimensionen. Der Grundkonflikt zwischen Zerstreuung, Kreativität und Sucht hat sich aber nicht verändert.
as wäre der Mensch ohne das Spiel? Ein Teil seiner Träume
sicher wegbrechen. Die Möglichkeit, schnell reich zu werden, alles auf eine Karte zu setzen, sich mit einem Schlag zu befreien oder auch nur seine Kräfte und Fähigkeiten zu messen – all dieses Handeln gäbe es nicht mehr. Der Mensch wäre eine Entscheidungsund Problemlösungsmaschine, die zwischen verschiedenen Optionen auswählen würde, vernünftig und überlegt, die Vor- und Nachteile abwägend, das Ende bedenkend. Das Ergebnis wäre vielleicht eine friedlichere Welt, aber auch eine entsetzlich langweilige.
Das Spiel passt zum Menschen, der dies gern mit seinem ureigenen Hang zum Drama verbindet. Warum fiebern wir mit unseren Fußballstars oder bangen mit den Formel-1-Fahrern? Warum verhagelt ein Spielergebnis das Wochenende oder lässt es plötzlich hell erstrahlen. Spiel ohne Grenzen war eine der ganz großen Erfolgsgeschichten des deutschen Fernsehens, vielfach exportiert in die Länder Lateinamerikas oder Asiens, ein Beispiel deutscher Fantasie und der hierzulande eher untypischen Lust am Banalen.
Die Chinesen, die sonst so diszipliniert und konform erscheinen, gelten als die leidenschaftlichsten Spieler der Erde. Mit Milliardenbeträgen haben sie in der ehemaligen portugiesischen Kolonie Macao das US-Spielparadies Las Vegas nachgebaut. Der erst in diesem Jahr verstorbene Pate dieser Casino-Welt, der Milliardär Stanley Ho, gehörte zu den mächtigsten und reichsten Menschen in der Volksrepublik. Auch Las Vegas passt in diese Kategorie, die am schnellsten wachsende Stadt der USA im vergangenen Jahrzehnt. Und der scheidende US-Präsident Donald Trump wäre nicht zum höchsten Amt aufgestiegen, hätte er sich nicht mit dem gigantischen Casino-Projekt in Atlantic City versucht, Pleite inklusive. Der ruchlose Immobilien-Tycoon brauchte das Flair des Spiele-Magnaten, um sein raues Image in der Öffentlichkeit abzurunden. Wer sich in Spielhöllen behauptet, ist zu höherer Macht berufen.
Es sind immer diese beiden Seiten des Spiels, die uns umtreiben: Das unbeschwert Heitere, Lockere und Draufgängerische, was den entsprechenden Spieler so anziehend macht, und das Dunkle, Abgründige, was beim Publikum Faszination auslöst. Zehn Millionen Menschen spielen in Deutschland an Automaten, in Casinos, im Internet, die Hälfte davon regelmäßig.
Und auch wenn in Zeiten der Corona-Pandemie jetzt mal wieder alle Spielhallen und Spielbanken geschlossen sind, so weichen die Menschen eben in die Schattenwirtschaft aus. Gelegenheiten gibt es überall. Genauso wie die negative Seite des Spiels: Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen schätzt, das 330.000 Menschen Probleme mit ihrem Spielverhalten haben, 180.000 zeigen sogar pathologische Symptome. Im Volksmund ist dann von Spielsucht die Rede, eine Krankheit, die die Weltgesundheitsorganisation seit 2018 offiziell anerkannt hat.
Die Politik hat ein zwiespältiges Verhältnis zum Spiel, insbesondere zum Glücksspiel. Die öffentliche Fürsorge gilt den Menschen, die ihre Zeit vor den Daddel-Automaten regelrecht vergeuden, soziale Bindungen vernachlässigen und womöglich in die Sucht abgleiten. Andererseits verdient der Staat an Lotterie und Spielbanken prächtig. 7,4 Milliarden Euro betrug der Umsatz der Lottound Totogesellschaften im Jahr 2018, aus dem die letzte verfügbare Zahl stammt. Bei den Spielbanken kommen noch einmal so viel drauf. Die Aufsteller der Spielautomaten erzielten 2018 Erlöse in Höhe von fast 30 Milliarden Euro. Sie alle bescheren dem Staat fast eine Milliarde Euro an Vergnügungssteuer, die sonstigen Steuern nicht mitgerechnet.
Der Markt ist also relevant. Und wenn man die bislang unregulierten Online-Spiele hinzuzählt, sind noch einmal drei Milliarden Euro hinzuzurechnen. Der Staat begründet sein starkes Engagement auf dem Glückspielmarkt mit dem guten Zweck, dem die dort erzielten Gewinne zufließen. Die staatlichen Lottogesellschaften fördern Kunst und Vereinssport, helfen Abhängigen und unterstützen soziale Dienste und Einrichtungen.
Zugleich verschaffen sie aber auch abgehalfterten Politikern lukrative Posten. Sogar zur Wirtschaftsförderung werden sie eingesetzt. In Duisburg
etwa sollte der Plan eines großen Casinos den Strukturwandel erleichtern, ebenso in Köln, wo sich die staatlichen Planer eine Förderung der Gastronomie und die Belebung der Innenstadt erhofften. Die Vorhaben wurden zwar aufgegeben. Das Geschäft mit dem Spiel hat trotzdem Zukunft. Das gilt für das Glückspiel ebenso wie für die anderen Varianten wie Sport-Events, TV-Shows, Reality-Fernsehen. Das ganze Leben ist ein Spiel, könnte man in Abwandlung eines Songs des niederrheinischen Comedian und Schauspielers Hape Kerkeling sagen.
Dabei hat sich das Spiel längst verlagert. Statt Spielhallen und Spielbanken sind heute das Internet und die digitale Spieleindustrie die Treiber des Geschäfts. Deshalb haben sich die Ministerpräsidenten der Länder zusammengetan und die neue Wirklichkeit in einem neuen Glücksspielstaatsvertrag anerkannt. Er wurde dieser Tage wegen Corona im Umlaufverfahren unterzeichnet und muss jetzt von den Länderparlamenten in geltendes Recht umgewandelt werden. Danach sind ab Mitte kommenden Jahres Online-Automatenspiele unter Auflagen erlaubt, auch die Casinos dürfen über das Internet Black Jack und Roulette anbieten.
Derzeit hantiert man in einem Graubereich. Da der Staatsvertrag noch nicht in Kraft ist, bleiben Internet-Spiele formal verboten, werden aber zumindest nach dem Willen der Regierungsstellen der einzelnen Bundesländer nicht mehr verfolgt.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt sieht das anders. „Glücksspielanbieter haben so lange mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen, bis sie eine Genehmigung innehaben“, sagte ein Sprecher unlängst der „Süddeutschen Zeitung“. Solche Lizenzen gibt es aber noch nicht, der Spielbetrieb wird nur geduldet.
Es ist immer wieder diese Ambivalenz, die das Geschäft mit dem Spiel und auch das Spiel selbst in einem unguten Licht erscheinen lassen. Die Branche der Spielhallen und Automatenindustrie macht sich deshalb für eine Qualitätsregulierung stark. „Der Spieltrieb des Menschen ist etwas ganz Natürliches“, meint Georg Stecker, Vorstandssprecher des Dachverbands Die Deutsche Automatenwirtschaft. Und er listet einige Punkte auf, die verhindern sollen, dass Menschen in die Spielsucht abgleiten. Dazu gehört die Schulung des Fachpersonals in den Spielhallen, die Kontrolle der gefährdeten Spieler und unabhängige Zertifikate für die Einrichtungen.
Vielen Kritikern reicht das nicht. Für die Hauptstelle für Suchtfragen sind die Regulierungen viel zu schwach. „Die Glücksspielindustrie erzielt nachweislich einen großen Anteil ihres Gewinns durch die Beteiligung glücksspielsüchtiger Personen“, schrieb der Fachbeirat Glücksspielsucht der Hauptstelle in diesem Jahr in einem Brandbrief an die Ministerpräsidenten. Der Verein, der sich für die Betroffenen starkmacht, fordert eine viel umfassendere Prävention. Verlustgrenzen für Spieler
oder eine Sperrdatei reichten da nicht aus.
Die Gefahren der Spielsucht lassen sich nicht leugnen. Jeder noch so gefestigte Spieler kennt das Gefühl, nicht aufhören zu können, wenn einen die Leidenschaft und der Kitzel gefangen hält. Bei labileren Menschen mag das zu noch stärkeren Reaktionen führen. Die Übergänge sind meist fließend. Tatsache ist jedenfalls, dass der Markt für Glücksspiele unaufhörlich wächst. Und das Internet hat ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen. Schon ist von der verspielten Generation die Rede, für die es jenseits von Computerspielen keine Realität mehr gibt. Und die technologische Entwicklung, die die Grenze zwischen Virtualität und Wirklichkeit immer stärker verwischt, tut ein Übriges.
Dabei lässt sich der natürliche Spieltrieb, die Neugier, das Sich-Messen-Wollen durchaus auf die neuen Technologien übertragen. Neben Broterwerb, Familienleben und der Pflege von Kontakten ist gerade das Spielen eine Kommunikationsform, die den Menschen einmalig macht. Die Verbindung von Spaß und Ernst, von Leidenschaft und Überlegung, die im Spiel vorherrscht, bildet auch den Lebenskampf der Menschen ab. Man mag Zerstreuung im Spiel finden, aber das Verhalten im Spiel gibt Auskunft über den Charakter einer Person. Ein Mensch, der spielt, rundet seine Persönlichkeit ab, wenn das Spiel nicht zur Obsession wird. Doch die führt auch in anderen Bereichen ins Elend.
GEORG STECKER Ich finde es gut und unterstützenswert, dass der neue Staatsvertrag den gesamten Glücksspielmarkt betrachtet und die Lebenswirklichkeit der Menschen anerkennt. Wichtig ist, dass Rechtssicherheit geschaffen wird und Grau- und Schwarzmärkte ausgetrocknet werden. Und für unsere Branche, die Automatenbranche, ist entscheidend, dass mit dem Staatsvertrag ein Einstieg in die Regulierung nach Qualität gelungen ist.
Qualität und Spielhallen, das müssen Sie uns erklären?
STECKER Zunächst einmal ist der Spieltrieb des Menschen etwas ganz Natürliches. Wir bieten ein sensibles Produkt an, richtig. Und je nach Persönlichkeitsstruktur der Konsumenten gibt es da Gefahren für Menschen, die abzurutschen drohen. Aber wir tun ja auch einiges. Wir schulen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wir möchten in jeder Spielhalle ein Zugangssystem, wir fordern eine spielformübergreifende Sperrdatei, die unabhängige Zertifizierung von Spielhallen und die Qualifizierung des Berufszugangs. Das berücksichtigt der Staatsvertrag zum Teil, und genau das verstehe ich unter qualitativer Regulierung.
Kann man von außen erkennen, ob sich ein Mensch nur erholt oder er süchtig ist?
STECKER Das Personal in Spielhallen spielt eine große Rolle, es wird regelmäßig in Präventionsfragen geschult. Aber noch einmal: Es gibt den Menschen, der völlig ungefährdet ist, und den, der Probleme hat.
Welche Menschen nehmen Ihr Angebot wahr?
STECKER Sie werden sich wundern, den typischen Spieler gibt es nicht. Es ist ein Querschnitt der Bevölkerung, Gutverdienende und Menschen, die eher mit wenig über die Runden kommen müssen, Akademiker, Handwerker, Angestellte, Selbstständige. Bei uns spielen alle. Und: Der Anteil der Frauen nimmt deutlich zu.