Corona-Fälle überschatten Länderspiel
Genießt der Fußball in der Pandemie unberechtigte Privilegien? Und welche Verantwortung hat das Nationalteam? Bundestrainer Löw muss sich nach dem 3:1 gegen die Ukraine Fragen jenseits sportlicher Aspekte stellen.
LEIPZIG (dpa) Mit der nächsten dunklen Wolke hatte Joachim Löw nach dem Sprung auf Platz eins in der Nations League nicht gerechnet. Den Gruppensieg vor Augen rief der Bundestrainer nach dem 3:1 (2:1) gegen die Ukraine einen Erfolg gegen den alten Fußball-Rivalen Spanien als letztes Ziel im komplizierten Corona-Jahr 2020 aus. Trotz der sportlichen Lichtblicke um neue Hoffnungsträger wie Abwehrtalent Robin Koch sowie verlässliche Größen wie Doppelpacker Timo Werner und einen weiter erstarkten Leon Goretzka geriet Löw vor dem Showdown am Dienstag in Sevilla in der Moraldebatte um Corona-Privilegien der Fußball-Nationalmannschaft unter massiven Rechtfertigungsdruck.
„Ich bin eigentlich der falsche Ansprechpartner. Ich habe nicht diese Entscheidungsgewalt, das macht das Gesundheitsamt, die Uefa. In der Bundesliga wird auch gespielt, in den anderen Ligen auch. Wir halten uns an die Vorgaben. Wenn Spiele angesetzt sind, können wir nicht im Hotel bleiben“, sagte Löw. Die Frage nach der ethischen Verantwortung für die Austragung des Länderspiels trotz fünf Corona-Fällen beim Gegner Ukraine inmitten der Pandemie-Hochzeit wies er zurück.
Die gesellschaftliche Debatte kann Löw angesichts steigender Infektionszahlen, dem Lockdown in der Gastronomie und strengerer Quarantäne-Anordnungen in anderen Sportarten durchaus nachvollziehen. „Ich kann verstehen, dass die Leute im Moment andere Gedanken und Sorgen haben“, sagte der 60-Jährige. Die Sinnhaftigkeit des Profi-Fußballs will er aber nicht in Zweifel ziehen. „Die Nations League hat nicht unmittelbar mit Corona zu tun“, betonte der DFB-Chefcoach. „Man bekommt viele negative Nachrichten. Aus meiner Sicht als Trainer war es gut, dass wir gespielt haben.“
Die sportliche Großwetterlage könnte Löw nur wenige Tage nach dem Klage-Monolog über die „dunkle Wolke“und eine zu kritische Bewertung der Nationalmannschaft von DFB-Direktor Oliver Bierhoff eigentlich wieder hoffnungsvoll stimmen. Löw ist mit seinem Umbruchteam nach vier verschenkten Siegen im September und Oktober auf Kurs. In Defensiv-Multitalent Koch, Linksverteidiger Philipp Max und Florian Neuhaus als „Mann der Zukunft“im Mittelfeld hat Löw rechtzeitig zum Einspielen für die EM drei vielversprechende Akteure präsentiert.
Vor Spanien liegt die DFB-Elf in der Nations League auf Platz eins. Abstiegsängste wie noch vor zwei Jahren sind kein Thema mehr. Im Gegenteil: Die Teilnahme am Final-Four-Turnier im Oktober 2021 ist greifbar. Nebenbei wurde durch das zwölfte Spiel in Serie ohne Niederlage auch ein Platz im besten Topf für die in Kürze anstehende Auslosung der WM-Qualifikationsgruppen gesichert. Ein schwerer Weg nach Katar 2022 wird somit vermieden.
„Unser Anspruch ist es, nach Spanien
zu fahren und zu sagen, wir wollen das Spiel gewinnen und nicht irgendetwas verteidigen. Wir spielen in Spanien nicht auf einen Punkt“, sagte Löw nach dem ersten Heimsieg der Fußball-Nationalmannschaft in der Nations League gegen die von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Ukrainer am Samstagabend in Leipzig. Der Tore-Doppelpack von Leipzig-Rückkehrer Timo Werner und der erste DFB-Treffer von Leroy Sané nach dessen Kreuzbandriss bestätigten Löw in seinem allen Widerständen
Deutschland - Ukraine
Deutschland: Neuer (Bayern München/34/95) - Ginter
(Bor. Mönchengladbach/26/34), Süle (Bayern München/25/28),
Rüdiger (FC Chelsea/27/37), Max (PSV
Eindhoven/27/2) - R. Koch (Leeds United/24/6) - Goretzka
(Bayern München/25/28), Gündogan (Manchester City/30/41) - L. Sané (Bayern München/24/24 - 86.
L. Waldschmidt (Benfica Lissabon/24/6)), Gnabry (Bayern München/25/16), Werner (FC Chelsea/24/34 - 76.
Brandt (Borussia Dortmund/24/35))
Ukraine:
Pjatow (Schachtjor Donezk/36/97) - Konoplja
(Desna Tschernihiw/21/3), Sabarny (Dynamo
Kiew/18/4), Matwienko (Schachtjor Donezk/24/30),
Sobol (FC Brügge/25/18) - Malinowskij (Atalanta Bergamo/27/32),
Stepanenko (Schachtjor Donezk/31/59 69. Makarenko (KV Kortrijk/29/9)), Sintschenko (Manchester City/23/35 - 86. Charatin (Ferencváros/25/4)) - Marlos (Schachtjor Donezk/32/20), Jaremtschuk (KAA Gent/24/19 - 75. Junior Moraes (Schachtjor Donezk/33/8)),
Subkow (Ferencváros/24/5 - 75. Mychajlytschenko
(RSC Anderlecht/23/5))
Schiedsrichter: Hategan (Rumänien)
Tore: 0:1 Jaremtschuk (12.), 1:1 L. Sané (23.), 2:1 Werner
(33.), 3:1 Werner (64.)
Gelbe Karten: Rüdiger (2) /
trotzenden Erneuerungskurs Richtung Europameisterschaft 2021.
Nur Serge Gnabry blieb aus dem Offensiv-Trio diesmal ohne Treffer. Die personell geschwächten Gäste waren durch Roman Jaremtschuk (12.) in Führung gegangen. Glück hatte die DFB-Elf bei drei Pfostentreffern in der zweiten Halbzeit (52./75./81.).
Ein Remis in Andalusien würde nun zwar schon für den Gruppensieg und die Teilnahme am Nations-League-Finalturnier im Oktober 2021 reichen. Doch Löw machte deutlich: „Meine Maxime in der Vorbereitung auf ein Spiel ist immer, die Dinge so anzupacken, dass man eine Chance auf den Sieg hat.“Mit einem Erfolg würde er zudem einen der wenigen weißen Fleck in seiner Vita tilgen. Spanien ist die einzige große Fußball-Nation, gegen die Löw in gut 14 Bundestrainer-Jahren noch kein Pflichtspiel gewonnen hat.