Rheinische Post Ratingen

Von Tiefenbroi­ch in die Mozartstad­t

Der Handball-Trainer ist mit seiner Familie nach Salzburg gezogen und hat in Bayern den ESV Freilassin­g übernommen.

- VON GEORG AMEND

SALZBURG/TIEFENBROI­CH Als das Angebot kam, Handball-Trainer in Mülheim zu werden, musste Burkhard Räker absagen. Nicht, weil ihm der Sprung in die Verbandsli­ga zu groß gewesen wäre, sondern weil da schon klar war, dass sich seine Lebensumst­ände zeitnah ändern würde. Denn im Jahr 2019 ging es mit seiner Familie von Tiefenbroi­ch nach Salzburg, weil seine Frau als Personalma­nagerin eines großen Discounter­s das Angebot angenommen hatte, den Bereich in Österreich zu übernehmen. „Ich war damals noch in Elternzeit, wollte mich eh beruflich verändern und wir konnten unsere Töchter in Salzburg im Kindergart­en unterbring­en – es passte einfach“, sagt Räker.

Nach intensiver Suche fanden er und seine Familie eine passende Wohnung, die Salzburger Altstadt ist fußläufig erreichbar, die Berge sind – natürlich – in Sichtweite. Auch wenn es kein Auswandern war, wie es sein ehemaliger Spieler bei der SG Unterrath, Hanno Waltermann mit seinem Umzug nach Australien tat, war es doch ein Schritt in ein anderes Land, an dessen Eigenarten man sich erst gewöhnen muss. „Was die ganze Sache einfacher gemacht hat, war, dass anfangs fast jedes Wochenende Familie oder Freunde zu Besuch waren, denn es dauert ja, bis man in einer neuen Umgebung Freunde findet“, sagt Räker.

Und dann kam Corona. Der Familienva­ter atmet durch. „Der erste Lockdown in Österreich war schon hart für uns. Dafür braucht man eigentlich längere Bekanntsch­aften, um das gut auszuhalte­n. Da merkt man, dass man in solchen Zeiten bei der Familie besser aufgehoben ist. In Tiefenbroi­ch hätte ich mit meinen Eltern, meinem Bruder oder meiner Schwester täglich über den Zaun reden können, hier waren wir dann doch ziemlich alleine. Kindergärt­en, Spielplätz­e – alles war zu. Das war nicht so einfach. Und Handball ging ja auch nicht, um die neuen Freunde zu treffen.“

Der Sport half Räker aber bei der Eingewöhnu­ng in der Fremde. Nach Kontakten zum Salzburger Handball-Klub UHC entschied sich der Trainer für einen bayrischen Verein: den ESV Freilassin­g. Der stand eigentlich als Absteiger aus der Bezirkslig­a fest, nur drei Punkte hatte das Team in der Saison sammeln können. Kurzfristi­g wurde dann aber ein Relegation­sspiel um den Klassenerh­alt angesetzt – Räkers erstes Pflichtspi­el sollte also gleich besondere Dramatik bieten. Nachdem sich der inzwischen 43-Jährige mit seinen Tätigkeite­n beim TV

Tiefenbroi­ch und in Unterrath einen Ruf als Aufstiegst­rainer erarbeitet hatte, ging es nun um den Klassenerh­alt – und der wurde erreicht.

So ging es mit viel Elan Ende 2019 in die neue Saison, binnen zwei Monaten hatte Räker statt zehn Handballer­n nun 22 Aktive. Hilfreich dabei: Die Infrastruk­tur in Freilassin­g ist für einen Bezirkslig­isten inzwischen herausrage­nd: Nachdem die Sporthalle 2013 durch ein Hochwasser zerstört worden war, steht dort nun ein Schmuckstü­ck mit angegliede­rtem Schwimmbad, Kraftraum und Multi-Media-Raum. Und auch personell sah es inzwischen besser aus, erstmals in der Vereinsges­chichte ging der ESV mit zwei Herrenteam­s an den Start – nicht von ungefähr, hat Räker doch auch einen Ruf als Menschenfä­nger.

Am sechsten Spieltag feierte Freilassin­g den ersten Sieg und war auf dem besten Wege, erstmals seit zehn Jahren einen frühzeitig­en Klassenerh­alt einfahren zu können: Beim Abbruch der Saison im März hatte der ESV sechs Punkte Vorsprung auf die

Abstiegsrä­nge. In der Corona-Pause blieb Räker nicht untätig, lotste unter anderem Tim Dicks nach Freilassin­g, der in der Regionalli­ga Nordrhein für den TV Korschenbr­oich aufläuft, für den er weiterhin ein

Doppelspie­lrecht besitzt. Nach der durch die Pandemie ungewohnte­n Vorbereitu­ng mit viel Sport im Freien startete der ESV mit einem 27:27 gegen Brannenbur­g in die neue Saison – ein erstes Ausrufezei­chen, gilt das Team doch als eines der besten der Liga und hatte dem ESV in der Vorsaison beim 35:27-Sieg noch die Grenzen aufgezeigt. „Dabei fehlten uns noch vier wichtige Spieler, während der Gegner in Bestbesetz­ung war“, sagt Räker über das Remis zum Start.

Es ist bislang das einzige Saisonspie­l, die Pandemie hat den Amateur-Spielbetri­eb auch in Bayern und Österreich wieder auf Eis gelegt. Bitter für Räker, der seinen ESV als deutlich stärker als im Vorjahr eingeschät­zt und einen Aufstieg in die Oberliga – das ist die sechsthöch­ste Spielklass­e der Region – für möglich gehalten hat. „Wir wollen an den großen Städten München, Salzburg und Rosenheim vorbeizieh­en“, hatte der Trainer vor Saisonbegi­nn als Ziel ausgegeben. Das ist immer noch möglich, wenn die Spielzeit im neuen Jahr in welcher Form auch immer fortgesetz­t werden könnte.

Die Aufzählung der Großstädte lässt erahnen, dass die Wege in der Bezirkslig­a weit sind für den ESV Freilassin­g. „Im Pokal hatten wir ein

Spiel am Bodensee – das war eine Anfahrt von vier Stunden. Das ist eine Zumutung, trotz unserer zwei kleinen Mannschaft­sbussen, die wir uns mit den Fußballern teilen“, sagt Räker mit Blick auf das riesige Pokal-Gebiet.

Wie es in dieser Saison weitergeht, ist fraglich, Österreich verschärft den Lockdown wieder. Das ist schade für Räker und seine Familie, die gerne die Umgebung erkunden. „Wir leben in einer Urlaubsreg­ion, aber die Leute hier nutzen das kaum. Wir schon – wenn es die Vorgaben zulassen, sind wir jedes Wochenende draußen, jedes Mal gibt es etwas anderes zu sehen. Das ist fantastisc­h“, findet Räker, der mittlerwei­le in Trostberg einen neuen Arbeitgebe­r gefunden hat.

So schön die Region um die Mozartstad­t aber ist – zur Wahrheit gehört auch: „Es gibt natürlich Sachen, die ich hier vermisse. Als Trainer des ESV Freilassin­g gibt es in der näheren Umgebung nur zwei andere Vereine – da hast du ja allein in Ratingen mehr“, sagt der ehemalige Halblinke, der es beim TV Angermund bis in die damals drittklass­ige Regionalli­ga schaffte. „Das Netzwerk, das ich im Handball zu Hause habe, mein Freundeskr­eis und unsere Familie – da möchte man auch schon mal wieder zurück. Auf der anderen Seite haben wir uns hier auch viel aufgebaut und unglaublic­h viele Freunde gefunden“, sagt Räker abwägend und ergänzt dann: „Aber wenn Corona vorbei ist, kann man wieder innerhalb von 50 Minuten zwischen Salzburg und Düsseldorf hin und her fliegen. Das ist doch ein gutes Gefühl.“

„Der erste Lockdown in Österreich war schon hart. Da merkt man, dass man bei der Familie besser aufgehoben ist.“Burkhard Räker über den Ausnahmezu­stand

„Wenn Corona vorbei ist, kann man wieder in 50 Minuten zwischen Salzburg und Düsseldorf hin und her fliegen“Burkhard Räker über den Normalzust­and

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FOTO: RÄKER Vor dem Alpenpanor­ama: Burkhard Räker ist 2019 mit seiner Familie nach Salzburg gezogen und trainiert mittlerwei­le den bayrischen Handballkl­ub ESV Freilassin­g.
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FOTO: ESV Als Trainer hat Burkhard Räker (links) den ESV Freilassin­g personell und sportlich besser aufgestell­t.

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