Der Corona-Manager tritt ab
Der Hildener Rudolf Lange leitet das Kreisgesundheitsamt. Seit einem Jahr beschäftigen er und seine Mitarbeiter sich vor allem mit der Corona-Pandemie. Nun geht der 65-Jährige in den Ruhestand.
HILDEN/METTMANN Wer Rudolf Lange sprechen möchte, braucht Geduld. Doch wenn der Leiter des Gesundheitsamtes des Kreises Mettmann dann einmal Zeit findet, lässt er keine Frage unbeantwortet und erklärt geduldig komplizierte Sachverhalte in einer auch für Laien verständlichen Sprache. Der 65-Jährige steht seit rund einem Jahr in einem Rampenlicht, das er so nicht wollte. Durch die Corona-Pandemie ist er der gefragteste Gesprächspartner in der Kreisverwaltung. Alle wollen mit ihm sprechen, alle verlassen sich auf seine Expertise, eine Krisenstabssitzung jagt die andere. Doch nun wird es leise um Rudolf Lange. Leider nicht, weil das Coronavirus im Griff ist, sondern weil er in den Ruhestand geht.
Natürlich freue er sich. „Aber ich werde auch vieles vermissen, vor allem die Kolleginnen und Kollegen“, sagt er. Die Corona-Pandemie habe die ohnehin bereits sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit im Amt noch einmal intensiviert. „Wir sind zusammen durch dick und dünn gegangen.“Und: „Was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit einem Jahr leisten, ist phänomenal.“Die Arbeit habe ihm nicht zuletzt wegen dieser Leidenschaft am Job immer Spaß gemacht.
Am 30. April endet Rudolf Langes Arbeitsleben, aber schon vorher beginnt seine Freizeit. „Die Corona-Krise hat für sehr viele Überstunden gesorgt, die ich nun mit Resturlaub abbaue“, erklärt der Hildener. Wie bei so vielen Mitarbeitern des Gesundheitsamtes. „Die Corona-Pandemie ist nicht nur für mich persönlich die größte berufliche Herausforderung, sondern für das komplette Gesundheitssystem und die ganze Bevölkerung – und zwar organisatorisch, personell und fachlich.“Ende Februar 2020 wird dem Mediziner klar, dass das Coronavirus deutlich mehr ist als eine Grippe. „Aber dass wir am Ende mit solch dramatischen Auswirkungen zu kämpfen haben, hätte ich damals nicht gedacht“, sagt er.
Die Pandemie ist für den promovierten Mediziner fachlich gesehen aufregend und spannend – auch wenn er angesichts der hohen Anzahl von Opfern und den gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Auswirkungen gerne darauf verzichtet hätte. Aber die Corona-Krise ist nicht die einzige Herausforderung, die sich Rudolf Lange stellen musste. 2003 beispielsweise ploppt plötzlich das Thema Bioterrorismus auf – nach den Anschlägen des 11. September und einigen später verschickten Briefen mit Milzbrandsporen in den USA wird 2003 in London
das Gift Rizin entdeckt. Damit ist klar, dass auch in Europa biologische Anschläge verübt werden könnten. Rudolf Lange muss mit seinen Mitarbeitern eine Pockenimpfstelle aufbauen. „Damals haben wir in kleinem Maßstab das gemacht, was wir heute gegen das Coronavirus unternehmen“, sagt er.
2006 tingelt Rudolf Lange durch die halbe Bundesrepublik und stellt unter anderem in Arbeitsgruppen des Bundestags und in Bundesländern das Mettmanner Modell der Früherkennung von Kindern mit Belastungsfaktoren vor, um Kindesvernachlässigungen frühzeitig zu erkennen. „Kinderärzte melden uns, dass sie eine Vorsorgeuntersuchung gemacht haben, ohne inhaltlich ins Detail zu gehen – bleibt diese Meldung aus, werden wir bzw. die Jugendämter aktiv und fragen nach“, erklärt der Mediziner. Inzwischen sind bundesweit Verfahren der „Frühen Hilfen“und der Teilnahmeüberwachung der Vorsorgeuntersuchungen auf Grundlage dieses Konzepts eingeführt.
In den folgenden Jahren wird es für den Gesundheitsamtsleiter nicht langweilig: 2007 gibt es einen Masernausbruch im Kreis, zu dem mal eben rund 40.000 Impfausweise von Schülerinnen und Schülern kontrolliert werden müssen, 2009 muss gegen die Schweinegrippe geimpft werden, 2015 kommen die Flüchtlinge, die untersucht und betreut werden müssen. Und jetzt Corona. Seine größte Herausforderung.
Rudolf Lange studiert von 1977 bis 1983 Medizin. Er nimmt damals am Nachwuchsprogramm für den öffentlichen Dienst teil, denn ihm ist schon früh klar: Ich möchte im Gesundheitsamt arbeiten. „Für mich bedeutet der Arztberuf nicht zwingend, dass ich mit einzelnen Patienten arbeite. Ich wollte mich schon immer um die Gesundheit der Bevölkerung kümmern“, sagt er.
Am 1. Januar 1984 tritt Rudolf Lange seinen Dienst beim Kreis Mettmann an, arbeitet zwischendurch im Rahmen seiner Ausbildung zum Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen drei Jahre in der Kinderund Jugendpsychiatrie Marsberg bei Kassel und in der Lungenklinik in Wülfrath-Aprath. 1988 wird er stellvertretender Leiter des Kreisgesundheitsamtes. Seit 2004 leitet er es und ist Chef von rund 100 Mitarbeitern. Seit Beginn der Corona-Pandemie ist diese Zahl auf fast 200 angewachsen.
Sein Beruf wird ihn auch über den 30. April heraus nicht loslassen. Einmal Arzt, immer Arzt. „Ich bleibe in der Ärztekammer engagiert, werde weiterhin als Dozent an der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf lehren und auch im Berufsverband aktiv sein“, sagt er. Auch dem Hildener Ortsverband des Deutschen Roten Kreuzes bleibt er als Vorsitzender erhalten.
Ein bisschen mehr Zeit für sich und seine Familie springt dabei trotzdem raus. Drei Kinder hat er, zwei Enkelkinder. „Die beiden freuen sich schon darauf, dass ich sie bald regelmäßig aus dem Kindergarten abholen werde. Das haben wir schon verabredet“, sagt Rudolf Lange. Dann muss er nicht mehr als Leiter des Gesundheitsamtes unzählige Fragen zur Corona-Krise beantworten und ständig im Rampenlicht stehen. Dann kann er endlich nur noch Opa sein.