„5G ist so schnell wie das Nervensystem“
Der Chef von Vodafone Deutschland über den neuen Mobilfunkstandard, Fußball-Daten in Echtzeit und den Wettlauf mit der Telekom.
Herr Ametsreiter, was bedeutet Corona für Vodafone Deutschland? AMETSREITER Das Wichtigste ist uns die Gesundheit der Menschen. Wir wollen helfen, die Infektionszahlen zu reduzieren – darum arbeiten rund 95 Prozent unserer Mitarbeiter seit einem Jahr aus dem Homeoffice. Zudem sind wir froh, dass unsere Netze trotz der extremen Auslastung stabil laufen. Zwischenzeitlich rauschten doppelt so viele Daten durch unser Netz wie an herkömmichen Tagen. Zudem erleben wir einen deutlichen Zuwachs bei der Nachfrage in unseren Online-Shops, weil der stationäre Verkauf eingeschränkt ist.
Werden nun Shops geschlossen? AMETSREITER Nein. Es gibt rund 1300 Vodafone Shops in Deutschland und bei dieser Zahl wird es ungefähr bleiben. Wir alle kaufen zwar immer häufiger online ein, aber uns ist es wichtig, persönlich für unsere Kunden da zu sein. Dieser direkte Austausch ist durch nichts zu ersetzen.
Trotz Pandemie rüsteten Sie das Handynetz auf und lassen ab diesem Montag 5G eigenständig laufen statt mit LTE. Was ist das Ziel? AMETSREITER 2019 haben wir als erster Anbieter in Deutschland 5G gestartet. Damit können wir den Kunden mehr Bandbreite als mit LTE bieten. Jetzt stellen wir 5G zum ersten Mal komplett auf eigene Beine
und ermöglichen ultrageringe Verzögerungszeiten von zehn bis 15 Millisekunden – das ist so schnell wie das menschliche Nervensystem. Damit das funktioniert, bauen wir spezielle Rechenzentren, die die Daten noch schneller verarbeiten.
Was haben Privatkunden davon? AMETSREITER Einige Dinge werden besser, andere werden überhaupt erst möglich. Videokonferenzen mit dem Smartphone funktionieren in Echtzeit und ohne jegliches Ruckeln. Der Fitnesstrainer kann uns beim persönlichen Training begleiten und in Echtzeit Tipps geben, obwohl er gerade in einer anderen Stadt in Deutschland ist. Gamer können auf Distanz quasi in Echtzeit miteinander spielen – da kommt ganz neues Tempo in die Szene. Und schließlich wird Augmented Reality ganz neue Bedeutung gewinnen.
Was genau ist das?
AMETSREITER Bei Augmented Reality wird die reale Umgebung um virtuelle Zusatzinformationen auf dem Smartphone oder auf speziellen Digital-Brillen ergänzt. Mit der Deutschen Fußball-Liga DFL haben wir eine Augmented-Reality-App für Fußballfans entwickelt, die in Echtzeit und passend zum Spiel Live-Statistiken bereitstellt.
Sie starten aber nur in Frankfurt? AMETSREITER Wir aktivieren in 170 Städten und Gemeinden an 1000 Antennen im 3,5-Gigahertz-Bereich 5G-Standalone, beispielsweise in Düsseldorf, Berlin, München, Frankfurt oder Lohmar. Nicht für Techniktests, sondern live für unsere Kunden. Mit kostenloser Tarif-Option und noch in diesem Monat mit den ersten Smartphones, die die Technik unterstützen. In Frankfurt ist das Nutzererlebnis anfangs am besten, weil dort das erste 5G-Rechenzentrum steht. Aber auch in Düsseldorf und in anderen Städten wird die Latenzzeit schon zu Beginn spürbar kleiner sein als bislang.
Wie geht es dann weiter? AMETSREITER In diesem Jahr schalten wir 4000 Antennen für das komplett eigenständige 5G-Netz frei. Bis 2023 werden wir zehn 5G-Rechenzentren ans Netz nehmen. Dann ist in ganz Deutschland Datenaustausch in Echtzeit möglich.
Was bringt es, 5G zum Echtzeitnetz zu machen, wenn die Telekom mit der 5G-Basistechnik 50 Millionen Menschen erreicht und Vodafone nicht einmal 30 Millionen? AMETSREITER Pioniergeist ist Teil unserer DNA. 2019 haben wir das erste 5G-Netz in Deutschland gestartet, die Telekom folgte. Heute starten wir als erster Anbieter in Europa 5G Standalone – viele werden folgen. Gleichzeitig haben wir hohe Dynamik beim Ausbau von 5G in der Fläche: Wir erreichen heute mehr als 20 Millionen Menschen mit 5G – in der Stadt und auf dem Land. Unser Gigacube 5G ist eine schnelle Alternative zu DSL-Leitungen: Mit diesem Mobilfunk-Router können Kunden auch auf dem Land mit bis zu 200 Megabit pro Sekunde surfen.
Macht es Sie nervös, dass die Telekom pro Jahr eine Million Haushalte mit Glasfaser versorgen will? AMETSREITER Im Gegenteil: Es ist gut, dass die Telekom nun auch endlich den Bedarf an Gigabit-Leitungen erkennt und einsieht, dass langsame DSL-Anschlüsse nicht ausreichen, um Deutschland in eine digitale Spitzenposition zu bringen. Wir haben bereits vor fünf Jahren vom Gigabit gesprochen – heute versorgen wir 22 Millionen Haushalte mit Gigabit-Leitungen. Jetzt bekommen wir endlich Unterstützung bei unserer Gigabit-Offensive. Ich sehe aber kritisch, dass die Telekom 80 Prozent der Gigabit-Leitungen dort bauen will, wo wir längst mit dieser Bandbreite vertreten sind.
Konkurrenz belebt das Geschäft... AMETSREITER Es ist politisch und volkswirtschaftlich zumindest fragwürdig, wenn mit Milliardenbeträgen Glasfaseranschlüsse dort gelegt werden, wo wir mit unserem Netz bereits Gigabit-Tempo anbieten. Das ist so, als ob ich Wasser in den Rhein schütte, um gegen eine Dürre vorzugehen, nicht aber in die Wüste.
Was sollte geschehen?
AMETSREITER Damit Deutschland bei der Digitalisierung vorankommt, muss jeder den sachlich gesehen besten Beitrag leisten: Wir modernisieren die früheren Kabelnetze mit immer mehr Glasfaser und machen sie noch schneller. So werden an den vielen Millionen Gigabit-Anschlüssen, die es bereits gibt, Bandbreiten möglich, die noch zehnmal schneller sind als heute schon. Zudem verbessern wir die Geschwindigkeit im Upload. Die Telekom als Bundesbeteiligung sollte sich mit ihren Plänen vor allem darauf konzentrieren, Glasfaser dort zu legen, wo es bisher nur sehr langsames DSL gibt. Schließlich hat man genau dort viel zu lange auf die veraltete Technik gesetzt.
Dann hätte Vodafone ein Monopol für sehr schnelles Web in Städten. AMETSREITER Wir streben nicht nach Monopolen, sondern leben vom Wettbewerb. Es gibt starke regionale Anbieter wie Netcologne. Zudem gewähren wir Telefonica Zugang zu unserem schnellen Kabel-Glasfaser-Netz. Die Rechnung ist simpel: Wenn die Telekom pro Jahr zwei Millionen Gigabit-Anschlüsse baut, würde es rund 20 Jahre brauchen, um deutschlandweit ein Gigabit-Ziel zu erreichen. Wenn die Anschlüsse vorrangig da gelegt werden, wo es bereits Gigabit-Anschlüsse gibt, bleiben Millionen Haushalte auf dem Land auch auf lange Sicht abgehängt. Wir sind mit dem schnellen Ausbau von unserem Gigabit-Netz in Vorleistung gegangen. Es liegt an der Telekom jetzt sinnvoll nachzuziehen.