Als Ratingen zwei Schlösser verlor
Durch die kommunale Neugliederung wurde Ratingen deutlich größer. Doch nicht alle wollten zu der neuen Stadt gehören. Es gab Proteste.
RATINGEN Es war eine Geburt mit gewaltigem Anlauf, mit Wut und Tränen, Anschuldigungen und Verzweiflung. Es gab ein Lied und eine ziemlich giftige Todesanzeige zum Sterben einer Stadt und letztendlich eine neue, mittelprächtig große Stadt namens Ratingen. Das alles liegt gut 46 Jahre zurück und wird mit dem Titel kommunale Neuordnung überschrieben – einer Tat, die keinesfalls in den 70ern des letzten Jahrhunderts neu erfunden worden ist. 1929 war schon einmal eine derartige Umorganisation übers Land gezogen. Und mit dem Neujahrstag 1975 sollte es nun wieder geschehen. Und es ward so.
Damals wie heute ist es vielen Einwohnern der Gegend nicht wirklich bewusst, was da zur Verbesserung der Regierbarkeit eines Landes geschah. Die Engagierten der 70er können sich vielleicht noch an die Aufkleber in Form eines grünen Schmetterlings erinnern, die da Stimmung machen sollten, daran, dass sogar eine Agentur Argumente über Ratingen und übers Angerland kippte – vielleicht denkt man heute auch in anderen Dimensionen oder ist mehr mit dem eigenen Wohl und Wehe beschäftigt. Allein etliche Lintorfer und Höseler bringen es nicht übers Herz und über die Lippen, dass ihr Wohnort Ratingen ist. Sie bleiben stolz bei der ehemaligen Gemeinde und deren Namen. Im Sommer 1974 hatte der NRW-Landtag die Neugliederung des ehemaligen Landkreises
Düsseldorf-Mettmann beschlossen, die 1975 in Kraft trat.
Ratingen war über Nacht von 55.098 Einwohnern auf 86.241 gewachsen, hatte zwar auf die Gemeinden Wittlaer und Angermund verzichtet und die Gemeinden Breitscheid, Eggerscheidt, Lintorf, Hösel und Homberg einverleibt. Essen hatte sich Kettwig gegriffen. Die Fläche war von 19,43 Quadratkilometern auf 89,33 Quadratkilometer angewachsen, die städtischen Steuereinnahmen von rund 29,573 Millionen auf 48,847 Millionen D-Mark angewachsen. Im gerade erst fertig gestellten Rathaus drängelten sich nun 810 Mitarbeiter (zuvor waren es 537). Sie und die „einfachen“Bürger der Stadt hatten manch bunte Broschüre zu
Hause, in der die grünen Lungenflügel der Stadt heftiger gelobt wurden als man heutzutage in politisch grünen Bereichen eine erstrebenswerte Zukunft herbeisehnt.
Ratingen war auf einen Schlag die zweitgrößte Stadt im Kreis, der nun auch kein „Düsseldorf“mehr im Namen hatte. Angerstadt hätten die vereinigten Gemeinden im Angerland heißen können. Immerhin hatten die dort tätigen Bürgermeister und anderen Kommunalpolitiker es geschafft, die Bürger zu beachtlichen Kampftruppen aufzubauen. Es gab sozusagen freie Protestgruppen und vereinsmäßig organisierte. Und die Wut war groß.
Doch letztlich ohne Erfolg. Denn im Auftrag der Landesregierung zogen der Ratinger Horst Becker als kommissarischer Bürgermeister und der ehemalige Stadtdirektor Dr. Alfred Dahlmann, zwei dynamische Männer Mitte 30 und gerade mal 40 Jahre alt, konsequent und beharrlich in landespolitischem Auftrag ihr Ding durch. Sie waren allerdings auch von ihrem Auftrag überzeugt. Becker war „Beauftragter für die Wahrnehmung der Geschäfte des Bürgermeisters und des Rates“. Er war der jüngste Beauftragte in ganz NRW und nun kommissarischer Bürgermeister, Dahlmann fungierte als Verwaltungskommissar.
Und beiden Politikern muss man zugestehen, dass sie „ihr“Ratingen mit ganzem Herzen liebten. Letztlich auch mit den Gemeinden, die seine Größe auch noch ausbauten.