Grün gegen Hitze in den Städten
Es ist eine gefühlte Wahrheit im wörtlichen Sinne: Das Wetter, die Jahreszeiten, die Temperaturunterschiede werden immer extremer. Der Februar dieses Jahres ist dafür schon das beste Beispiel: Während Schnee, Eis und klirrende Kälte in der ersten Monatshälfte für Chaos sorgten wie viele Jahre nicht, konnte nur zwei Wochen später der Wintermantel weggepackt und der Grill heraus geholt werden. Innerhalb von einer Woche wurden mancherorts Temperaturanstiege von 40 Grad gemessen. Das ist historisch, Forscher fanden kein vergleichbares Phänomen in den letzten 200 Jahren.
Urbane Zentren leiden inzwischen unter regelrechtem Hitzestress. Es gibt viele Glasfassaden, Beton- und Asphaltflächen, die Wärme speichern und die Abkühlung durch Verdunstung verhindern. Im Sommer, wo die Temperaturen immer häufiger an der 40-Grad-Marke kratzen, heizen sich bestimmte Orte derart auf, dass Forscher von Urban Heat Islands (UHI) sprechen – von urbanen Hitzeinseln, die Städte auch nachts wärmer werden lassen als die umliegenden ländlichen Regionen.
Neben Unwohlsein und Unkonzentriertheit nach schlaflosen Sommernächten ist Hitze eine große Belastung für das Herz-Kreislauf-System. Eine Studie im Fachblatt „The Lancet“kam zu dem Schluss, dass in Deutschland 2018 bereits etwa 20.200 Todesfälle bei über 65-Jährigen im Zusammenhang mit Hitze standen.
Dem wollen Ökologen, Bauingenieure und Städteplaner entgegenwirken. „Stadtgebiete sind Opfer und gleichzeitig Verursacher des Klimawandels“, sagt Christa Reicher, Architektin und Professorin am Institut für Städtebau an der RWTH Aachen. „Alte Leitbilder, wie etwa die autogerechte Stadt, sind mit ein Grund dafür, dass Städte heute im Sommer unter Hitze leiden.“Man versuche nun das, was lange Zeit nicht berücksichtigt worden ist: Nachhaltige Parameter anzulegen, ökologisch zu denken, genau zu überlegen: Wo kann ich Gebiete verdichten, wo lasse ich Freiflächen im Sinne der Wärmeregulierung frei – damit Kaltluftströme eine Chance haben durchzuziehen.
Der klimasensible Städtebau ist ein Riesenthema, es gibt zahlreiche Forschungsprojekte, die sich alle um die Frage drehen: Womit lassen sich die Städte herunterkühlen, und so auch im Sommer wieder lebenswerter gestalten? Stadtplanerin Reicher sagt: „Wir müssen für so viel Grün und Wasser wie möglich sorgen.“Das Prinzip ist einfach, es geht um den Ausgleich für die Lufttemperatur, weil so CO2 aufgenommen werden und verdunsten kann. Besonders Bäume kühlen durch Verdunstung und Schatten, aber auch „Greening“ist im Trend, das Begrünen von Dächern und Hauswänden. Dabei müsse man Aufwand und Kosten bedenken, sagt Christa Reicher, günstiger sei immer eine Bepflanzung, die im Erdreich verankert ist und nicht künstlich befeuchtet werden muss. Wie stark Greening auch bei Neubauten gefragt ist, beweist die aktuelle
Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt „EINFACH GRÜN“. Der Weg zurück zur Natur zeigt sich auf Balkonen, an Fassaden, auf Dächern, in Hinterhöfen. In einigen europäischen Metropolen ist auf futuristisch-pragmatische Art zu sehen, wie das gehen kann: In Kopenhagen ist das Dach einer Müllverbrennungsanlage mit Rasen überzogen, was die Dänen im Winter sogar zum Skifahren und im Sommer zum Klettern nutzen. In Mailand sind die begrünten Zwillingstürme einer Hochhaussiedlung („Bosco Verticale“) schon zur Touristenattraktion geworden.
Auch Wien gilt als Vorreiter der grün-blauen Zukunftsvisionen. Als Teil eines EU-weiten Projektes geht Österreichs Hauptstadt seit 2015 gezielt gegen die Hitzeinseln vor. Dafür wurden zunächst die zehn größten Hitze-Hotspots der Stadt gemessen und ein Strategieplan entwickelt mit Ideen – von Sprühnebelduschen über Springbrunnen als meterlange Wasservorhängen bis hin zu Wanderbaumalleen, die mal hier, mal dort für bessere Luft sorgen sollen. Auch „Regenwassermanagement“ist ein Thema.
In deutschen Städten will und muss man ebenso kreativ werden. „Ob künstlich angelegte Brunnen oder ein Fluss, der renatuiert wird, beides ist gleich hilfreich“, sagt Städteplanerin Reicher, die als Beispiel einen unterirdischen Bachlauf nennt, der in Aachen gerade wieder zutage gefördert wird.
Arbeiten, mit dem was man hat, gilt auch im Gebäudemanagement. Etwa bei Bestandshäusern: Kann man vielleicht das Dach begrünen? Der urbane Wohnungsbau der Zukunft gehe eher in die Höhe, auch brach liegende Flächen sollten genutzt werden. Da könnte die Corona-Krise eine Chance sein, Innenstädte neu zu erfinden. „Auf keinen Fall sollte man dabei ökologische Argumente gegen soziale ausspielen“, meint Reicher. „Man sollte das eine nicht um jeden Preis durchziehen ohne Rücksicht auf das andere.“
Man muss die Dinge zusammen denken, so sehen es viele Städteplaner heute. Auch wenn die Pandemie die Gräben eher noch vertieft hat: Viele Städter sehnen sich durch den gefühlten Dauerlockdown nach mehr Wohn- und Lebensqualität, gleichzeitig gibt die Krise den schon lange aussterbenden Innenstädten den Rest. Noch mehr Händler schließen Filialen, der Leerstand nimmt zu, die Wohnungsnot allerdings auch. Die von Grünen-Politiker Anton Hofreiter angetriebene Debatte um den Stopp von Einfamilienhausbau macht die Sache nicht einfacher. Die große Herausforderung also ist, deutsche Durchschnittsstädte als Wohnraum wieder attraktiver zu machen – nicht bloß beliebte Metropolen wie Hamburg, München oder Berlin.
Was im Kleinen funktionieren kann, zeigt gerade das große Paris, das ja immer schon Vorreiter für alles Mögliche war. Die Champs-Élysées, „die schönste Straße der Welt“, soll ein Park werden, vielmehr ein „außergewöhnlicher Garten“, verspricht Anne Hidalgo, die rührige Bürgermeisterin von Paris. Denn das Problem ist: zu viele Touristen, zu viel Konsum, zu viele Autos, zu viel Lärm, zu wenig Platz. Zwar ist die Champs, wie Pariser sagen, seit der Pandemie so ausgestorben wie nie, es fällt aber auch auf, dass es kaum einen Franzosen mehr dort hinzieht.
Deshalb soll das Herz von Paris lebenswerter werden: In den Architektenplänen ist der Asphalt hell, die Straße voller Bäume und ohne Autos (jedenfalls Benziner). Stattdessen dominieren Fußgänger und Fahrradfahrer das Stadtbild. Es erinnert an die Anfänge der Urbanisierung im 19. Jahrhundert, wo sich die Einwohnerzahl von Paris zwischen 1852 und 1870 verdoppelte von einer auf zwei Millionen und das Leben im Zentrum florierte. Wenn man es schafft, Menschen und Natur dorthin zurückzuholen im Kampf gegen den Klimawandel, wäre für Städte eine weitere positive Rückbesinnung denkbar: jene auf die alte Kaufhauskultur.