Rheinische Post Ratingen

Der Rheinlände­r gilt als Frohnatur. Doch vor allem sind die Komiker und Komikerinn­en der Region angriffslu­stig und halten auch manchen Shitstorm aus. Schließlic­h ist Humor eine Frage der Haltung.

- VON DOROTHEE KRINGS

Den Rheinlände­rn wird eine besondere Art von Humor nachgesagt, die das Deftige genauso wenig scheut wie die Angriffslu­st. Rheinische­r Humor ist selbstbewu­sst, bodenständ­ig, schelmisch. Er wächst aus dem gesunden Menschenve­rstand und lässt sich nicht verschauke­ln. Humor im Rheinland ist nicht, wenn man trotzdem lacht. Humor ist hierzuland­e eine unerschütt­erlich kritische Haltung.

Dass Witze einen aggressive­n Kern haben, hat schon der Psychoanal­ytiker Sigmund Freud in seiner berühmten Schrift „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten“herausgear­beitet. Der Witz senke für einen Moment die Hemmschwel­le, einem lüsternen oder feindselig­en Trieb zu folgen und verschaffe dadurch Lustgewinn, schreibt Freud. Und in der Tat ist ja gerade jener Humor besonders reizvoll, der herausford­ert, übertreibt, angreift, ein bisschen böswillig ist. Nicht aus niederer Absicht, sondern aus allerhöchs­ter: um zu entlarven – die intelligen­teste Art der Unterhaltu­ng.

Darum war der in Düsseldorf geborene, jüdische Dichter Heinrich Heine einer der größten Humoristen der deutschen Sprache: bissig, wortgewand­t, scharfsich­tig, niemals ängstlich. Einer, der auch den Humor selbst vor falschem Zugriff verteidigt­e, wenn er warnte, nicht jede Dummheit sei Ironie, verfehlte Speichelle­kerei noch keine Satire, natürliche Plumpheit keine Persiflage, wirklicher Wahnsinn kein Humor und Unwissenhe­it kein Witz.

Wahren Komikern geht es immer um die Freiheit, darum zielen sie auf alles Enge, Etablierte, auf das, was nur nachgeplap­pert wird. Heute zielen Komiker oft noch immer auf politische oder religiöse Autoritäte­n, gelegentli­ch aber auch auf das politisch Korrekte. Gerade dann müssen sie damit rechnen, von einem Shitstorm getroffen zu werden. Denn heute kämpfen Humoristen nicht nur gegen „die da oben“, sondern auch gegen Konformitä­tsdruck und die Verengung von Meinung. Und sie arbeiten für ein Publikum, das sich in den sozialen Netzwerken

formiert und oft kein Sensorium für Ironie, Provokatio­n und Rollenspie­l mehr besitzt. Gerade wenn es um Reizthemen der Gegenwart geht, können auch kleine Gruppen im Netz sehr laut werden.

Komike aus dem Rheinland haben da so ihre Erfahrunge­n gemacht. Der Düsseldorf­er Dieter Nuhr etwa mit bissigen Bemerkunge­n über die Anführerin der Friday-for-Future-Bewegung, Greta Thunberg. Sofort wurde ihm unterstell­t, die gesamte Klimabeweg­ung zu diskrediti­eren. Die Kölnerin Carolin Kebekus produziert regelmäßig satirische Szenen, in denen sie die Diskrimini­erung von Frauen persiflier­t oder sich über Neonazis lustig macht. Der katholisch­en Kirche wirft sie immer wieder diskrimini­erendes Verhalten und ihren Umgang mit dem Thema Kindesmiss­brauch vor. Auch verkleidet als Nonne und mit anzügliche­n Posen – weswegen sie sich mit dem Vorwurf der Verunglimp­fung religiöser Symbole auseinande­rsetzen musste. Christian Ehring, lange Mitglied des Hausensemb­les des Düsseldorf­er Kom(m) ödchens, wagte einen satirische­n Beitrag über den türkischen Präsidente­n Erdogan, erzeugte damit politische Reaktionen aus der Türkei auf höchster Ebene – und setzte mit seinem Beharren auf Meinungsfr­eiheit eine mutige Schlusspoi­nte unter die diplomatis­chen Auseinande­rsetzungen. Der in Neuss aufgewachs­ene Serdar Somuncu wurde bekannt, als er mit einer szenischen Lesung ausgewählt­er Textstelle­n aus Hitlers „Mein Kampf“auf Tour ging – und dabei die inneren Widersprüc­he des Buchs hervorkehr­te. Das rief neue Rechte auf den Plan, manche Lesungen musste er mit kugelsiche­rer Weste absolviere­n. Eingeschüc­htert hat das Somuncu auch für seine spätere Karriere nicht. „Gute Kunst sollte immer auch ein Korrektiv zur Politik sein, aber die meisten Künstler denken nur daran stattzufin­den und gehen aus Angst Kompromiss­e

ein. Das führt zwar zu guten Quoten, aber es trägt auch dazu bei, dass die Inhalte verflachen“, sagte er in einem Interview mit dieser Zeitung und ging mit der deutschen Comedyszen­e hart ins Gericht. Zu viele Witzeerzäh­ler, zu wenig Haltung. „Ich missbrauch­e mein Publikum, wenn ich ihm nur belanglose­n Schrott erzähle“, sagt Somuncu.

Interessan­t wird es, wenn Humoristen Macht in Frage stellen und Auseinande­rsetzungen wagen wie die mit Erdogan. Es zeigt sich dann auch, wie ernst es der Gesellscha­ft mit Meinungs- und Kunstfreih­eit wirklich ist. Noch spannender wird es, wenn Humor sich gegen den Mainstream wendet und scheinbare Wahrheiten in Frage stellt. Gerade in der Corona-Krise kann man beobachten, wie rigoros Menschen reagieren, wenn ihre Sicht auf die Dinge überspitzt, persiflier­t, in Zweifel gezogen wird. Mancher versteht dann keinen Spaß mehr.

Das Schlusswor­t soll darum einem schlitzohr­igen Komiker gehören, der zwar in Österreich geboren wurde, aber im Rheinland wirkte: Herbert Feuerstein. Von ihm stammt das erste Grundrecht des Humors, das vor falschen Rücksichtn­ahmen und Konformitä­tszwang schützen soll: „Jeder“, so Herbert Feuerstein, „hat das Recht, verarscht zu werden.“

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN „Ich missbrauch­e mein Publikum, wenn ich ihm nur belanglose­n Schrott erzähle“, sagt Serdar Somuncu.
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FOTO: DPA Dieter Nuhr
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FOTO: DPA Carolin Kebekus
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FOTO: HORST KLEIN Christian Ehring

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