Rheinische Post Ratingen

Was die Industrie für die Zukunft braucht

Der zweitgrößt­e Industries­tandort des Landes NRW hat mit zahlreiche­n Herausford­erungen zu kämpfen. Wie zum Beispiel sollten die knappen Flächen aufgeteilt werden – eher für Wohnungen oder wieder stärker für Fabriken?

- VON ALEXANDER ESCH

DÜSSELDORF Ein kurzes Gedankenex­periment: Stellen Sie sich eine typische Szene aus dem Düsseldorf­er Wirtschaft­sleben vor. Mal ehrlich – wer hat jetzt gerade wirklich an ein Fabrikgelä­nde gedacht? Dennoch ist es nach wie vor wahr: Düsseldorf ist der zweitgrößt­e Industries­tandort in Nordrhein-Westfalen. Knapp 100.000 Jobs hängen laut Industrie- und Handelskam­mer direkt oder indirekt von diesem Wirtschaft­szweig ab.

Seine Bedeutung ist also enorm. Doch die Herausford­erungen der Zukunft sind mindestens ebenso groß. Denn Düsseldorf ist die deutsche Großstadt mit besonders knapper Fläche im Verhältnis zur Einwohnerz­ahl. Und die wächst stark. Plötzlich muss man sich entscheide­n: Wie soll der Platz genutzt werden? Für die Industrie? Oder doch für Wohnungen?

„Nutzungsko­nflikt“nannte das Oberbürger­meister Stephan Keller (CDU) am Freitag beim Deutschen Gewerkscha­ftsbund in Düsseldorf, der zu drei Diskussion­srunden zum Thema „Zukunft der Industrie“geladen hatte. Ein Beispiel aus der Praxis lieferte Harry Hansen, Betriebsra­tsvorsitze­nder von Konecranes (früher Gottwald, dann Mannesmann oder später Demag Cranes). In der Nachbarsch­aft des Unternehme­ns in Benrath sind auf dem ehemaligen Thyssen-Krupp-Gelände das Albrecht-Dürer-Berufskoll­eg und viele Wohnungen entstanden.

Weniger Sorgen machten ihm mögliche Konflikte wegen Lärms oder Verkehr, auch für Belange des Unternehme­ns sei man mit der Stadt im guten Austausch: „Aber der Industries­tandort im Süden ist immer mehr weggebroch­en, wir haben viele Kollegen verloren.“Das seien gutbezahlt­e Jobs gewesen, das verdiente Geld sei in der Stadt ausgegeben worden. „Wir brauchen insgesamt mehr Akzeptanz für die Industrie.“

Bei diesem Punkt herrschte Einigkeit bei allen Diskussion­steilnehme­rn. Gregor Berghausen, Hauptgesch­äftsführer der IHK, sprach von einer „Bewusstsei­nsfrage“. Es brauche ein Bekenntnis der Stadt, das in konkrete Projekte münden müsse. Als Beispiel nannte er den Ausbau des Reisholzer Hafens oder bei konkreten Beispielen den Erhalt von Industrief­lächen, selbst wenn sie frei würden. Oberbürger­meister Keller verwies darauf, dass dies mit einem erneuerten Masterplan Industrie sowie einem Kernzonenk­onzept künftig häufiger gelingen soll. Auch wenn das bedeute, dass Flächen dann auch mal längere Zeit nicht genutzt würden – es brauche schließlic­h Zeit, bis sich Industrie-Unternehme­n ansiedeln. Keller gab aber auch zu bedenken, dass an vielen Stellen bezahlbare­r Wohnraum fehle, auch für die Arbeitnehm­er in der Industrie.

Natalie Mühlenfeld, Bezirkslei­terin IG BCE Düsseldorf, forderte zudem, dass die Stadt mit ihrer kommunalen Flächenpol­itik Umsiedlung­en

und Erweiterun­gen von Unternehme­n leichter ermögliche­n müsse. Für Investitio­nen brauche es zudem Planbarkei­t und Verlässlic­hkeit. Und sie verwies auf die Bedeutung guter Rahmenbedi­ngungen wie eine leistungss­tarke Infrastruk­tur, nicht nur für den Transport, sondern etwa auch in Form digitaler Netze. Auch Stephanie Peifer, Geschäftsf­ührerin des Verdi-Bezirks, betonte die wichtige Rolle der Stadtverwa­ltung. So müsste mehr dafür getan werden, um dauerhaft ausgeschri­ebene Stellen für Fachkräfte besetzt zu bekommen. Es fehlten etwa Straßenbau­er, beim Bauamt dauerten die Prozesse zu lang. Lob gab es allerdings für den Einsatz bei der Ausbildung.

Neben der Rolle als Dienstleis­ter betonte Peifer auch die Notwendigk­eit, den Umbau hin zu erneuerbar­en Energien zu fördern, etwa bei Rheinbahn und Stadtwerke­n. „Klimaschut­z ist ein Standortfa­ktor.“Aus Müllheizkr­aftwerken könne etwa Wasserstof­f für die Rheinbahn erzeugt werden, industriel­le Abwärme könnte als Fernwärme genutzt werden. Anja Weber, Vorsitzend­e des DGB NRW, fragte zudem, wie in Düsseldorf Tempo für den Ausbau von Solarenerg­ie aufgenomme­n werden könne. Sie forderte zudem eine aktive Industriep­olitik, die Fabriken unterstütz­t, damit sie auf Wasserstof­f zur Produktion umsteigen. Sie müssten aufgrund des noch knappen Guts bevorzugt behandelt werden, damit sie mit einer ausreichen­den Menge planen könnten.

Für die Stadtwerke beschrieb der Vorstandsv­orsitzende Julien Mounier, wie der städtische Versorger die Energiewen­de vorantreib­en will. Neben dem Gaskraftwe­rk stehe die dezentrale Erzeugung und Einspeisun­g von Energie im Fokus. Pläne für eine neue Müllverbre­nnungsanla­ge gibt es zudem bereits, wobei die Erzeugung von Wasserstof­f eine Option ist. Mounier betonte zudem die Möglichkei­t, industriel­le Abwärme zu nutzen. „Wir wollen uns breit und technologi­eoffen aufstellen.“Auch Geothermie werde deshalb ein Thema sein. Insgesamt sehe man sich in Zukunft nicht mehr als bloßer Energiever­sorger, sondern wolle vielmehr „Infrastruk­turdienstl­eister für industriel­le und private Kunden“sein. Bei den dafür nötigen internen Umstruktur­ierungen glaube er an eine Beschäftig­ungsgarant­ie.

 ?? RP-FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Eine Szene vom Kranbau bei Demag Cranes vor einigen Jahren. Das Unternehme­n sitzt in Benrath und blickt auf eine lange Tradition (Gottwald) in Düsseldorf zurück.
RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Eine Szene vom Kranbau bei Demag Cranes vor einigen Jahren. Das Unternehme­n sitzt in Benrath und blickt auf eine lange Tradition (Gottwald) in Düsseldorf zurück.

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