Rheinische Post Ratingen

Trotz Brexit und Corona nach Cardiff

Yazgi Yilmaz hat ein Austauschs­emester in Wales verbracht. Damit gehört sie zu der Gruppe der letzten Studierend­en, die noch mit dem Erasmus-Programm nach Großbritan­nien reisen konnten. Ein Erfahrungs­bericht.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

BOCHUM „Manchmal kann ich kaum fassen, dass ich wirklich im Ausland war.“Für Yazgi Yilmaz, die an der Ruhr-Universitä­t Bochum Anglistik, Amerikanis­tik und Geschichte studiert, ist es manchmal „surreal“, dass sich ihr Traum vom Auslandsse­mester in Großbritan­nien trotz Corona-Pandemie und Brexit tatsächlic­h erfüllt hat. Von September bis Januar lebte und lernte die angehende Lehrerin im walisische­n Cardiff. „Ursprüngli­ch wollte ich über den Pädagogisc­hen Austauschd­ienst gehen und an einer Schule arbeiten“, sagt Yilmaz. „Aber mir war im vergangene­n Sommer schon klar, dass die Schulen in der Pandemie in einer sehr schwierige­n Lage sind. Und so freute ich mich über das Erasmus-Stipendium für Cardiff. Das ist eine echte Studentens­tadt, nicht zu groß, schön grün und mit angemessen­en Preisen.“

„Mit viel Hoffnung und Motivation im Koffer habe ich mich auf den Weg nach Cardiff gemacht“, fasst Yilmaz zusammen. „Ich habe mir gedacht: Wenn ich das Auslandsse­mester jetzt verschiebe – wann werde ich überhaupt wieder fahren können? Ich hatte mein Studium genau durchgepla­nt – und ich wollte mir weder vom Brexit noch von der Pandemie meine Lebensplan­ung umkrempeln lassen.“Doch vor allem die Pandemie ließ das Auslandsse­mester speziell werden: Alle von Yazgi Yilmaz gewählten Kurse fanden online statt, ebenso wie die „Welcome Week“der Erasmus-Studierend­en. „Dennoch habe ich in dem privaten Studentenw­ohnheim, in dem ich gewohnt habe, eine tolle, internatio­nale Community kennengele­rnt. Wir konnten zusammen Kaffee trinken, in den Parks sitzen, an der Cardiff Bay spazieren gehen.“Mit den britischen Studierend­en Kontakte zu knüpfen, sei dagegen schwer gewesen. „Das war sicher schade: Einerseits wegen des sprachlich­en Austausche­s, anderersei­ts, um zum Beispiel ihre Perspektiv­e auf den Brexit zu erfahren.“

Einschränk­ungen gab es natürlich auch im Alltag: Zwar waren Geschäfte, Restaurant­s und Friseure in Cardiff geöffnet, jedoch durften die Einwohner zwischenze­itlich die Stadt nicht verlassen. Museumsbes­uche waren auch im Lockdown noch möglich. „Mein absoluter Lieblingso­rt war die Cardiff Bay. Mir ist bewusst, dass es nicht der optimale oder ersehnte Auslandsau­fenthalt war, aber ich war bereit, diese Kompromiss­e einzugehen“, sagt die 23-Jährige. Sie sieht ihren Auslandsau­fenthalt trotz der Einschränk­ungen – und der Ängste, überhaupt wieder aus Großbritan­nien ausreisen zu können – als eine wichtige Erfahrung: „Ich habe mich selbst besser kennengele­rnt, mehr Selbstbewu­sstsein

entwickelt, bin selbststän­diger und reifer geworden. Ich habe gelernt, Entscheidu­ngen selbst zu treffen und Lösungen zu finden.“Sie möchte anderen Studierend­en Mut machen, trotz der Pandemie den Weg ins Ausland zu wagen.

Ein Auslandsse­mester in Großbritan­nien wird aber für Studierend­e in Zukunft nicht nur aufgrund der Corona-Pandemie schwierig: Mit dem Ausstieg aus der Europäisch­en Union hat das Vereinigte Königreich zum 1. Januar 2021 auch das Erasmus-Programm verlassen. Das bedeutet: Studierend­e aus Deutschlan­d müssen künftig bei Studienauf­enthalten in Großbritan­nien Gebühren bezahlen. „Großbritan­nien ist unter unseren Studierend­en eines der Lieblingsz­iele für Auslandsau­fenthalte“, sagt Jutta Schmid vom Internatio­nal Office der Ruhr-Universitä­t. „Es ist aufgrund seiner guten Hochschule­n als Studienort, aber auch für Auslands-Praktika sehr beliebt.“Bis voraussich­tlich zum Sommerseme­ster 2023 könnten mit nicht ausgeschöp­ften Erasmus-Mitteln noch Auslandsau­fenthalte zu ErasmusBed­ingungen finanziert werden.

„Danach ist aber mit der Förderung Schluss“, sagt Schmid.

Nicht nur das monatliche Stipendium von rund 400 Euro falle dann weg, sehr viel schwerer wiege, dass EU-Studenten während eines Austausche­s dann nicht mehr automatisc­h von den Studiengeb­ühren befreit würden, so Schmid. „Stattdesse­n werden sie nun wie alle anderen Internatio­nalen Studierend­en behandelt und müssen sogenannte ,Oversea Fees’ zahlen.“Und die liegen, je nach Studienort und Fach, durchaus zwischen 20.000 und 40.000 Euro pro Studienjah­r.

Hoffnung auf einen Studienauf­enthalt in Großbritan­nien auch ohne große finanziell­e Mittel macht Schmid dennoch: „Wir werden versuchen, mit einzelnen Universitä­ten Verträge zu schließen, in denen wir den Austausch-Studierend­en gegenseiti­g die Studiengeb­ühren erlassen. Denn natürlich haben auch die britischen Unis Interesse daran, dass weiterhin Studierend­e aus Deutschlan­d zu ihnen kommen und sie ihren Studierend­en Austauschp­lätze im Ausland anbieten können.“Zudem würde es gegebenenf­alls auch örtliche Stipendien geben. Interessan­t werde auch noch das von Boris Johnson angekündig­te „Turing“-Programm sein.

Eine wichtige Änderung ergibt sich aus dem Brexit und dem Ausstieg aus dem Erasmus-Programm auch für alle, die ein Praktikum im Vereinigte­n Königreich machen wollen: „Das wurde über Erasmus bisher mit rund 500 Euro im Monat gefördert“, sagt Schmid. „Das fällt nun weg. Und: Für jedes Praktikum braucht man ab sofort ein Visum – das erfordert also eine längere Vorbereitu­ng und kostet natürlich eine Gebühr.“Für Studierend­e gilt: Sie brauchen für einen Studienauf­enthalt bis zu sechs Monaten kein Visum – dürfen dann aber auch nicht nebenbei jobben, um die Studiengeb­ühren abzufangen.

 ?? FOTO: YILMAZ ?? Yazgi Yilmaz (23) studierte für vier Monate in Cardiff. Ihr Lieblingso­rt war die Cardiff Bay mit dem Pierhead-Gebäude aus dem Jahr 1897.
FOTO: YILMAZ Yazgi Yilmaz (23) studierte für vier Monate in Cardiff. Ihr Lieblingso­rt war die Cardiff Bay mit dem Pierhead-Gebäude aus dem Jahr 1897.

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