„Es gibt hier eine Grundmusikalität“
Drei Monate vor der Ruhrtriennale ist die Intendantin optimistisch und plant auch mit Präsenzformaten.
Frau Frey, Streaming-Angebote von Theatern waren zu Beginn der Pandemie etwas Besonderes. Dann wurden viele es wieder leid. Nun gibt es Stücke in neuer Qualität – die Welt des Theaters scheint damit allen offenzustehen.
FREY Für mich ist das eine künstlerische Frage: Wollen wir bildschirmtaugliches Filmmaterial produzieren – mit entsprechend hohem Aufwand und Niveau, dem Einsatz vieler Kameras, ausgefeilter Bildregie und dem dafür ausgebildeten Personal? Kann sich das eine Kulturinstitution finanziell leisten? Und wo wollen wir am Ende damit hin?
Könnte denn dadurch ein neues Genre entstehen?
FREY Ja, durchaus. Nur, wissen Sie: Ich bin ein Mensch, der seit mehr als 30 Jahren am Theater arbeitet und sein Leben mit Schauspielerinnen und Schauspielern live verbringt; ich bin einfach ein Theatertier. Alles, was wir zusätzlich machen können, ist erst einmal toll. Zugleich ist das Streamen nicht dasselbe. Wir sollten die Genres zumindest nicht aus der Not heraus einfach miteinander vermischen.
Würde sich mit dauerhaften Streaming-Angeboten nicht auch die Haltung des Zuschauers ändern? FREY Absolut. Es geht dann nicht mehr um die Besucherin, den Besucher, sondern um den User. Ich kann als User dann parallel zur Aufführung etwas essen und trinken, private Gespräche führen. Diese Form der Rezeption hat dann nichts mehr damit zu tun, jenen Pakt zu leben, indem wir uns auf den Weg zu einer Theatervorstellung machen und vor Ort gemeinsam den sprichwörtlichen Vorhang aufgehen sehen. Zugleich, die Zeiten ändern sich.
Sie kamen als neue Ruhrtriennale-Intendantin aus der Schweiz in die Ruhrregion. Sind Sie schon angekommen? Was haben Sie bisher hier erleben, erfahren können?
FREY Ich erlebe die Gegend als vielfältig, Vergangenheit und Gegenwart als sehr bewegt. Das erfahre ich auch in der Begegnung mit den Menschen hier. Es gibt zudem eine besondere Verbindlichkeit im Ton, eine bestimmte, sehr zugewandte Grundmusikalität, die ich bislang aus keiner anderen Gegend kenne. Mir ist zugleich auch eine gewisse
Melancholie aufgefallen, die mit all den ehemaligen Industriemonumenten des Ruhrgebiets zu tun haben muss. Dazu dieser malerische Himmel.
Wie schwierig ist derzeit die Programmgestaltung? Die Ruhrtriennale beginnt Mitte August, wird dann mehr möglich sein als jetzt? FREY Wir gehen davon aus, dass im Sommer für die Kultur weitaus mehr möglich ist. Trotz dieser Hoffnung: Selbst obwohl wir große Räume bespielen können, bedeutet das nicht, dass wir einfach alles darin veranstalten, wenn nur die Besucherinnen und Besucher weit genug auseinander sitzen. Schließlich müssen ja auch künstlerische Raumkonzepte berücksichtigt werden. Die Planungen sind sehr herausfordernd: Welche Länder verfolgen welche Impfstrategie, wie lauten geltende Visaregelungen, wo taucht eine neue Virusvariante auf? All das beschäftigt uns – wie alle über Ländergrenzen
hinweg tätigen Kulturschaffenden. Eigentlich ist die Planung eines solch großen Festivals in diesen Zeiten nahezu unmöglich. Mit vereinten Kräften jedoch wird ein analoges Festival möglich, selbstverständlich in verantwortungsvollem Umgang mit der Gesundheit des Publikums und aller an der Ruhrtriennale Beteiligter. Wir planen zudem digitale Video- und Audioformate mit.
Sie haben einmal gesagt: Das Leben ist eine Vorwärtsbewegung. Gilt das im besonderen Maße für die Ruhrtriennale, mit der man nach vorne schauen und sich vielleicht ein bisschen Zukunft zurückerobern kann?
FREY Zunächst geht es für mich darum, die Gegenwart zurückzuerobern. Etwa das spektakuläre Ereignis der Umarmung. Nach mehr als einem Jahr fällt mir auf, dass ich kaum noch jemanden umarme. Die Körperlosigkeit ist wie ein schleichendes Gift. Diese ständige Distanziertheit tut uns nicht gut. Das Erste, was wir uns zurückerobern sollten, ist die Tuchfühlung! Ihr Fehlen unterschätzen wir zurzeit. Wir sollten uns baldmöglichst die Sinnlichkeit in die Gegenwart zurückholen, bevor wir schon wieder über die Zukunft nachdenken.
Sie sind die siebte Intendantin der Ruhrtriennale. Eine magische Zahl! FREY Das wusste ich gar nicht! Dazu mir fällt gerade ein, dass meine Schwester mir neulich sagte, dass die Anthroposophie in sogenannten „Jahrsiebt-Schritten“rechnet. Also wäre ich seit meinem 56. Geburtstag in einem neuen Sieben-Jahres-Turn. Keine Ahnung, was das genau bedeutet.
Vielleicht heißt es ja irgendetwas… FREY …hoffentlich Gutes!