Piksen im Problemviertel
In Köln-Chorweiler wird spontan in einem Bus geimpft. Um das Pilotprojekt fortzuführen, fordert die Stadt mehr Dosen vom Land.
KÖLN Man kann sagen, Vincenzo di Sabatino wirkt entschlossen. Noch bevor er sich im Impfbus hinsetzt, hat er seinen linken Ärmel hochgekrempelt, bis über das große Tattoo auf dem Oberarm. „Sie sind ja schon so weit, das ist ja Bombe“, sagt die Ärztin Janine Döpker. „Haben Sie noch Fragen zur Impfung?“Vincenzo di Sabatino verneint. Keine drei Minuten später ist er geimpft und steht wieder draußen. „Das Tattoostechen hat mehr wehgetan“, sagt er. Janine Döpker gibt ihm noch mit auf den Heimweg: „Machen Sie ruhig Werbung für uns! Alle sollen kommen!“Vom Balkon seiner Wohnung in Köln-Chorweiler aus hat er die mobile Impfstation schon in den vergangenen Tagen gesehen. „Meine Tochter meinte: Nun geh hin“, sagt er.
Die Sieben-Tage-Inzidenz lag hier in den vergangenen Tagen bei rund 550 – in Köln insgesamt lag sie am Donnerstag bei 177. Rund um den Liverpooler Platz, wo der Impfbus steht, ragen Hochhausblocks aus den 70er-Jahren in die Höhe, die Menschen leben auf engstem Raum zusammen. Seit Montag läuft deshalb ein Pilotprojekt der Stadt Köln, bei dem erst in Chorweiler und dann in vier weiteren sozialen Brennpunkten vorrangig geimpft werden soll.
„Das ist eines der besten Projekte, das wir haben“, sagt die Ärztin Janine Döpker. Sie ist seit zwei Monaten im Impfteam der Kassenärztlichen Vereinigung, hat mit ihrem Team auch schon viele Obdachlose erreicht und geimpft. Das Angebot kommt gut an, sagt sie. „Die Leute freuen sich riesig. Heute Morgen waren zwei Punker hier, die uns Rosen und Schokoriegel geschenkt haben.“Als es am Montag losging, war nicht klar, was passiert. „Wir haben mit allem gerechnet – auch, dass niemand kommt.“Aber das Gegenteil geschah: Hunderte Menschen kamen und warteten geduldig in einer langen Schlange.
In den ersten drei Tagen wurden in Chorweiler 2500 Leute geimpft. Am Freitag und Samstag soll am Kölnberg in Meschenich geimpft werden, ab Montag dann in Finkenberg,
wie Stefan Jucken, Einsatzleiter der Kölner Feuerwehr, sagt. „Alles hängt davon ab, wieviel Impfstoff das Land NRW uns für die Aktion zur Verfügung stellt.“Er bezeichnet das Projekt als zwingend erforderlich – und als lebensrettende Maßnahme. „Wenn sie sich mit 400 Mann jeden Tag quasi einen Aufzug teilen müssen, ist das was anderes, als wenn sie in einem Einfamilienhaus wohnen“, sagt Jucken. Die Gefahr, sich zu infizieren, sei einfach groß.
Viktor Steinbach hat von seinem Bruder vom Impfbus erfahren. „Ich mach’ das jetzt, dann hab’ ich es hinter mir“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Er lebt in Chorweiler, das ist Voraussetzung für die Impfung. Mit 32 Jahren wäre er eigentlich noch nicht an der Reihe. Aber je mehr Menschen hier geimpft werden, desto besser. „Bei dieser riesigen Inzidenz ist das einfach wichtig“, sagt Impfärztin Döpker.
„Wenn ich geimpft bin, muss ich mir weniger Sorgen machen wegen
Corona“, sagt Trinh Qui Vinh, 56 Jahre alt. Heute gibt es den Impfstoff vom US-Pharmakonzern Johnson & Johnson; Trinh Qui Vinh findet das gut, weil er damit nur einmal geimpft werden muss. „Viele haben heute aber zurückhaltend reagiert, manche sind sogar gegangen“, sagt Döpker. Der Impfstoff sei nicht so bekannt, manche hätten deshalb Bedenken geäußert.
Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker zeigte sich erleichtert über die insgesamt hohe Impfbereitschaft in Chorweiler. „Durch dieses niedrigschwellige Impfangebot schützen wir diejenigen, die alle dort leben, wo Infektionen und Benachteiligung durch enge Wohnverhältnisse zusammenfallen“, sagte sie. „Gleichzeitig dienen diese Impfungen allen, denn jede Geimpfte und jeder Geimpfte trägt dazu bei, dass Ansteckungen reduziert werden und unsere Intensivstationen gerade so noch arbeitsfähig bleiben.“Reker appellierte an das Land, nach einem ersten Kontingent von 1000 Impfdosen noch mehr für das Projekt zur Verfügung zu stellen. „Sonst müssen wir das erfolgreiche Angebot noch in dieser Woche einstellen“, sagte sie. Die Leiterin des Kölner Krisenstabs, Andrea Blome, hat sich in einem Schreiben an das Land NRW gewandt und mitgeteilt, dass Köln für die erfolgreiche Weiterführung des Modellversuches zusätzliche 50.000 Impfdosen über einen Zeitraum von drei Wochen benötigt.
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte am Mittwoch angekündigt, den Kommunen für benachteiligte Stadtteile 100.000 Impfdosen bereitzustellen. Das NRW-Gesundheitsministerium teilte am Donnerstag auf Anfrage mit, dass in der kommenden Woche zunächst 33.000 Dosen Johnson & Johnson auf die Kommunen verteilt werden. Wie viele davon nach Köln gehen, ist noch unklar. „Das weitere Vorgehen wird – basierend auf den ersten Erfahrungen aus Köln – in der kommenden Woche fixiert“, sagte ein Sprecher. Die Stadt Köln sei aufgefordert worden, bis Freitag über den Ablauf und die Erfahrungen in der ersten Projektwoche zu berichten.
Die Kölner Impfteams hoffen unterdessen auf grünes Licht und genügend Dosen für die kommende Woche. Die nächsten beiden Tage in Meschenich sind schonmal gesichert: Es gibt noch Reste des Zusatzkontingents des Landes und Überhangkapazitäten aus dem städtischen Impfzentrum, wie die Stadt am Abend mitteilte.