Best-of-Geschichten von den Beatles
Für die Serie „McCartney 3, 2, 1“auf Disney+ spricht die Produzentenlegende Rick Rubin mit dem Ex-Beatle Paul McCartney.
LOS ANGELES Sehr schön, wie Rick Rubin, der kalifornische Produzent mit dem Rauschebart, vor Paul McCartney auf dem Boden hockt. Rubin produzierte einst die Beastie Boys, Public Enemy und Slayer. Johnny Cash verdankt ihm sein spätes Comeback, und bei Metallica und den Red Hot Chili Peppers hatte Rubin ebenfalls seine Finger im Spiel. Nun sitzt er also barfuß und im T-Shirt wie ein Buddha da und lauscht dem auf einem Sofa thronenden Sir Paul. Der berichtet, dass er drei Tage nach der Veröffentlichung von „Sgt. Pepper“gemeinsam mit George Harrison ein Konzert von Jimi Hendrix in London besuchte. Gleich zu Beginn habe Hendrix den Titelsong des BeatlesAlbums gecovert. Eine sensationelle Verneigung vor dem Meisterwerk der Gruppe. „Ja“, sagt McCartney, als sei das das eigentlich Verwunderliche, „er hatte ihn in nur drei Tagen gelernt.“
„McCartney 3, 2, 1“heißt die Serie, zu der diese Szene gehört. Sechs Teile zu je einer halben Stunde gibt es nun bei Disney+, und im Grunde ist das eine in Häppchen portionierte Talkshow. McCartney und Rubin treffen sich in einem abgedunkelten Studio, das manchmal wie ein Raumschiff anmutet, bisweilen wie ein geheimes Labor. Das Gespräch funktioniert so: Rubin hält McCartney Streichhölzer hin, und der 79-jährige Ex-Beatle fängt sofort Feuer. Er erzählt von früher, von Liverpool, John, George, Ringo und seiner anderen Band, den Wings.
Natürlich wird das manchmal ganz schön nerdig, aber wer will denn nicht unbedingt wissen, wie „Michelle“entstand? Auf einer Party von Johns Kunstschule nämlich. Dahin ging Paul im existenzialistischen Turtleneck-Sweater, weil er französisch aussehen wollte. Er klimperte auf der Gitarre und komponierte nebenbei „Michelle“. Jahre später soll John gesagt haben: „Weißt Du noch, der kleine französische Song damals? Du solltest ihn fertig schreiben.“Der Rest ist Geschichte: „Michelle, ma belle / These are words that go together well.“
Das Ganze ist in Schwarzweiß gefilmt, was etwas gediegen wirkt. Rubin gelingt es durch gebrummte Kommentare, McCartney aus der Reserve zu locken. Seine Strategie: einen Beatles-Song anzuspielen und am Mischpult nur den Basslauf hervorzuheben oder nur die Vocals. McCartney singt dann automatisch mit, und das ist überhaupt das Allerbeste:
McCartney mit Paul im Duett singen zu hören, den Alten zusammen mit seinem früheren Ich.
Wer mit der Geschichte der Beatles vertraut ist, wird viele der Vignetten schon kennen, aber man kann sie ja gar nicht oft genug hören. Die von der Rivalität mit den Beach Boys etwa. Ein wichtiger Einfluss seien die Harmoniegesänge
der US-Amerikaner gewesen, sagt McCartney. Brian Wilson habe daraus dann eine kleine Rivalität gemacht. Er wollte ein Album schaffen, das größer war als das aktuelle der Beatles, und so entstand die Jahrhundertplatte „Pet Sounds“. Die Beatles beschlossen sogleich, eine Platte zu machen, die größer wäre als „Pet Sounds“, und so entstand die andere Jahrhundertplatte – „Sgt. Pepper“.
Ach so: Der Name „Sgt. Pepper“, woher kommt der eigentlich? McCartney saß einmal mit einem Roadie im Flugzeug. Das Essen wurde serviert, und der Roadie bat um „Salt and Pepper“. McCartney verstand wegen des Fluglärms allerdings „Sgt. Pepper“und dachte sogleich: Sgt. Pepper könnte eine coole Figur sein.
So schnurren die Dönekes ab, und McCartney berichtet mit halb heruntergelassenen Lidern. Er erzählt mit Understatement, aber natürlich weiß er, dass man mehr hören will und noch mehr. Und dann erzählt er vom ersten Treffen mit George in einem Bus. Rick Rubin spielt „While My Guitar Gently Weeps“ein, und man fasst es nicht, wie gerührt man plötzlich ist. „This is where Eric came in“, sagt Paul lakonisch und meint natürlich den Beitrag von Clapton zum Song. Sie hören und schweigen, und irgendwann sagt
Paul über George: „Der kleine Junge aus dem Bus wurde ein sehr weiser Mann.“
Garniert werden die Erzählungen mit Archivmaterial. Die Beatles spielen „We Can Work It Out“und „All My Loving“. Die Beatles halten ihre Gitarren wie Geigen. Die Beatles haben fun. „Ich dachte früher, alle Familien sind glücklich“, sagt McCartney, aber John habe ihm gezeigt, dass dem nicht so sei. Zusammen seien sie oft im Bus zum Plattenladen gefahren, eine halbe Stunde habe die Fahrt gedauert, und sie hätten beschlossen, später selbst Musik zu machen, für die andere gerne eine solche Busfahrt auf sich nehmen würden.
Obwohl man das meiste schon auf den grandiosen „Anthology“-DVDs gehört hat, wünschte man sich doch, dass man jeden Abend vorm Schlafengehen eine halbe Stunde Paul McCartney bekommen könnte.
Solange er noch da ist, ist alles gut.