Urteil zum Bahnstreik löst Jubel aus
Mit Begeisterung quittierten demonstrierende Gewerkschaftsmitglieder in Essen, dass sie den Zugverkehr weiter blockieren dürfen. Doch um bequem anzureisen, nahmen viele von ihnen die Bahn. Pendlern droht noch mehr Ärger.
ESSEN Um Punkt 14 Uhr brechen am Freitag die rund 200 Teilnehmer der kleinen Kundgebung vor dem Essener Hauptbahnhof in Jubel aus: „Es steht fest, dass wir unseren Arbeitskampf fortführen dürfen“, sagt Sven Schmitte, NRW-Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), auf der Bühne in sein Mikrofon. Das hessische Landesarbeitsgericht hat zu diesem Zeitpunkt – so wie am Vorabend schon das Arbeitsgericht in Frankfurt – abgelehnt, eine einstweilige Verfügung gegen den bis Dienstag um zwei Uhr früh dauernden GDL-Streik auszusprechen. Nun gehe der Kampf erst richtig los: „Jetzt muss sich der Bahnvorstand endlich bewegen“, so Schmitte. Es bleibe beim Ziel, dass die GDL nicht mehr nur Mitarbeiter im fahrenden Betrieb, sondern auch andere Beschäftigte, etwa in den Stellwerken oder in den Bahnhöfen, vertreten wolle. „Den starken Hebel mit den vielen Lokführern wollen wir für alle Eisenbahner nutzen.“
Die Rote Karte wollen die GDLMitglieder dem Bahnvorstand mit ihrer Kundgebung zeigen – symbolisch und auch buchstäblich. Auch in vielen anderen Städte gingen GDL-Anhänger am Freitag auf die Straße. Errungen haben sie einen Etappensieg: Obwohl GDL-Chef Claus Weselsky offen gesagt hatte, er strebe mit dem Streik an, auch für Berufsgruppen, die nicht der GDL angehörten, einen Abschluss vereinbaren zu wollen, schreckten die Gerichte vor einem Streikverbot zurück. Richter Peter Gegenwart erklärte, es habe zwar Bedenken gegeben, am Ende habe aber das grundgesetzliche Streikrecht Vorrang. Enttäuscht gab sich Martin Seiler, Personalvorstand der Bahn: „Wir haben im Interesse unserer Kunden alles unternommen, damit die GDL ihre Blockade der Tarifverhandlungen aufgibt. Auch das Arbeitsgericht Frankfurt hatte dringend zu einer gütlichen Einigung aufgerufen. Aber auch dieser Appell der Richter verhallte bei der GDL-Spitze.“
Die Zeichen stehen also weiter auf Sturm beim Staatskonzern. Derzeit läuft der dritte Arbeitskampf in sechs Wochen, Gewerkschaftschef Weselsky macht Druck: „Wir lassen uns von niemandem vorschreiben, wann und wie lange ein Arbeitskampf geht.“Der Streik sei zulässig, recht- und verhältnismäßig, erklärte er. „Wir sind sehr erleichtert, dass wir recht bekommen haben in einem gerechten Arbeitskampf.“
Das sehen auch die Demonstrierenden in Essen so, obwohl es den meisten von ihnen eher um andere Dinge geht: „Die wollen mir meine Rente wegnehmen“sagt eine seit mehr als 30 Jahren im Konzern tätige Gewerkschafterin. Gemeint ist, dass die Bahn die Zusatzversorgung tatsächlich senken will, doch der Konzern erklärt, alte Anwartschaften blieben unberührt. Eine „Nullrunde“
beim Gehalt lehnt die Basis im Gespräch vehement ab, tatsächlich bietet der Vorstand bis zu 600 Euro an Corona-Prämie sowie eine Tariferhöhung von 3,2 Prozent – und Personalchef Seiler sagt, bei Gesprächen könne man sich noch bewegen. Er klingt fast schon verzweifelt: „Wir stellen nicht das Streikrecht als Grundrecht in Frage. Aber wir sind in Sorge, dass diese Tarifrunde der Tarifautonomie in Deutschland einen Bärendienst erweist. Statt zu verhandeln, versucht die GDL ein Tarif-Diktat durchzusetzen.“
Wie geht es weiter? Obwohl der Streik nicht verboten wurde, sieht sich der Bahn-Vorstand von den Richtern darin bestätigt, dass er mit der GDL keine Tarifverträge abschließen muss über Bereiche, in denen sie fast keine Mitglieder hat wie in Stellwerken. Auf der Demonstration wird versucht, das Gegenteil zu beweisen, aber das scheitert: Als Beschäftigte aus Stellwerken auf die Bühne gerufen werden, kommt nicht einmal ein Dutzend zusammen. Im Gespräch bestätigt sich, dass die meisten Lokführer sind.
Rund 50 Demonstranten sind als Gruppe aus Dortmund gekommen. Gefragt, ob sie mit der Bahn angereist seien, antwortet ein knapp 50-jähriger Mann: „Ja, klar.“Ihnen war also klar, dass trotz Streiks viele Züge fuhren, weil keineswegs alle Lokführer der Bahn streiken und weil viele Bahn-Wettbewerber vom Streik nicht betroffen sind. „Bezahlt haben wir aber“, betonen sie.