Flick kann die Tore nicht herzaubern
Die schlechte Trefferausbeute verdirbt dem Bundestrainer das Debüt. Gegen Armenien soll ein wichtiger Schritt folgen.
ST. GALLEN/STUTTGART (dpa) Immerhin über das erhoffte Lunchpaket konnte sich Hansi Flick auf der langen Busfahrt zurück nach Stuttgart freuen. Auf der ungeliebten Tingeltour vorbei am malerischen Bodensee hatte der Bundestrainer an seiner vom Tormangel getrübten Premiere auch noch zu knabbern. Fußball-Deutschland leidet nach der Ära von Joachim Löw weiter an einer rätselhaften Abschlussschwäche, die der Münchner Sieben-TitelTrainer nach dem mauen 2:0 gegen die Liechtensteiner zumindest zu erklären versuchte.
„Was man merkt, ist, dass die Mannschaft nicht so das Vertrauen hat, dass sie Tore erzielen kann“, diagnostizierte Flick, dem nach seinem mäßigen DFB-Neustart nicht einmal der Sinn nach einem geliebten Glas Rotwein stand. Schnelle Verbesserung wollte der 56-Jährige nicht versprechen. Aber schon gegen Armenien soll der Nationalmannschaft am Sonntag (20.45 Uhr/ RTL) in Stuttgart mit einem Sieg der Sprung auf Platz eins in der Gruppe J der WM-Qualifikation gelingen. Es wäre ein erster symbolischer, weil tabellarisch ablesbarer Schritt zur verlorenen Fußball-Selbstverständlichkeit des Vierfach-Weltmeisters. „Wir können vorbeiziehen. Von daher ist das unser Ziel“, sagte Flick.
Nur der Spitzenrang garantiert die WM-Teilnahme in schon 14 Monaten in Katar. An diesem Fixpunkt gibt es für Flick auch nach dem wenig fußballspezifischen Angriff-gegen-Abwehr-Spiel gegen Liechtenstein keinen Zweifel. „Es ist enorme Qualität da, ohne Frage. Und ich verstehe, dass die Fans in Deutschland vielleicht ein bisschen enttäuscht sind vom Ergebnis“, fügte er entschuldigend an. 6,74 Millionen Zuschauer verfolgten die Partie im TV – Tendenz fallend. Von den schwarzrot-goldenen Anhängern unter den
7958 Zuschauern in St. Gallen gab es viel Applaus und ein paar Pfiffe.
Eine Wunderheilung per Knopfdruck nach der EM-Enttäuschung geht auch mit Flick nicht. Das war vor zwei Jahren bei seiner Münchner Amtseinführung nicht anders und dürfte auch im Duell mit Armenien vor 18.000 mit Freikarten bedachten Zuschauern kaum gelingen. „Es ist auch nicht so, dass wir enttäuscht sein müssen“, meinte Marco Reus nach seinem DFB-Comeback nach fast zwei Jahren. „Man wird erst sehen, wenn wir gegen bessere Mannschaften spielen, wo wir stehen.“
Das Problem: Bis November geht es für Flick auf dem Weg nach Katar außer gegen Liechtenstein und Armenien nur gegen weitere Kontrahenten der europäischen B- und C-Kategorie wie Island, Nordmazedonien und die längst nicht mehr so starken Rumänen. Was alle Kontrahenten in St. Gallen problemlos sehen konnten: Gegen Deutschland kann man mit einer radikalen Defensivstrategie ganz ordentlich bestehen.
Die glücklichen Liechtensteiner belohnten sich nach dem Abpfiff noch auf dem Platz mit Bier und Bratwürsten. Die Armenier um den früheren Dortmunder Henrich Mchitarjan, die nach dem 0:0 gegen Nordmazedonien die Gruppe immer noch ungeschlagen anführen, werden sich auch nach Kräften wehren. In der Fifa-Weltrangliste liegen sie nur auf Rang 88.
Flick ist mit Deutschland 16. und sich sicher: „Wir kommen dahin, wo wir hin wollen.“Der Weg ist ihm auch klar: „Es ist so, dass wir mit den Spielern viel sprechen. Und es kommt auch darauf an, was in der Trainingsarbeit passiert. Die Qualität im Training ist hervorragend. Aber letztendlich zählt es auf dem Platz. Wir müssen liefern, wenn es zählt“, forderte Flick. Für den etwas genervten Ersatzkapitän Joshua Kimmich hatte das Spiel angesichts der Liechtensteiner Abwehrkonzentration ohnehin „nicht viel mit Fußball zu tun.“
In nahezu jedem zweiten Statement verwies Flick darauf, dass es erst der „Anfang“war. Die Andeutung magischer Momente lieferte Bayern-Juwel Jamal Musiala. Das dynamische Dribbling des 18-Jährigen ermöglichte Timo Werners Tor. Leroy Sané war mit großem Einsatz und spätem Torerfolg wie der Chelsea-Angreifer ein weiterer im Klub-Fußball zuletzt wenig glücklicher Gewinner des ersten FlickSpiels. „Sie haben schon gezeigt, was für eine Qualität sie haben“, sagte der Bundestrainer über seine Premieren-Torschützen. „Er hat gezeigt, dass er auf einem wirklich guten Weg ist“, sagte Flick über den in München zuletzt sogar von den Fans ausgepfiffenen Sané.
Den Reflex nach einer Stammplatzzusicherung für Musiala wollte Flick nicht bedienen. „Eine Option“sei der 18-Jährige natürlich. Aber: „Das müssen wir sehen. Je nachdem, wie wir ins Spiel gehen wollen.“