Rheinische Post Ratingen

Vorreiter des deutschen Hiphop

- VON ANDREA BINDMANN

Deutschspr­achiger Rap ist heute aus den Charts nicht mehr wegzudenke­n. In den 80er Jahren war er eine Revolution. Eine der Keimzellen für den Siegeszug des Hiphop liegt mit der Band Fresh Familee in Ratingen West. Mittendrin Tahir „Tachi“Cevik. Wir wollten wissen, was er heute macht.

RATINGEN „Ich kam aus dem Ghetto, hatte einen Migrations­hintergrun­d und fühlte mich als Außenseite­r.“Tahir Cevik erinnert sich gut an seine Jugend in Ratingen West. Ein wohlbehüte­tes Elternhaus gab es für die meisten jungen Leute nicht. Sie hingen auf der Straße ab. Wichtiger als Schulnoten: sich gegen oder in Jugendgang­s zu behaupten. Man hatte einen Ruf zu verlieren.

Dann kam der Tag, an dem Tahir Cevik zum ersten Mal Breakdance sah. „Ich war sofort fasziniert“, erzählt der Ratinger. Er begann zu trainieren. „Vorher war ich eine Niete im Sport. Das wurde dann immer besser.“Der Weg vom Tanz zu Hiphop, Rap und Graffiti war nicht weit. Filme wie Beat Street und Wild Style transporti­erten ein Lebensgefü­hl. „Das war eine Kultur, die von Minderheit­en praktizier­t wurde – damit konnte ich mich identifizi­eren.“Aus Tahir wurde Tachi.

Sein Lebensmitt­elpunkt wurde der Jugendclub am Berliner Platz. Während die einstigen Kumpels wenig Verständni­s für den Sinneswand­el hatten, fand Tachi dort Unterstütz­ung. „Ich habe angefangen, eigene Texte zu schreiben“, erinnert er sich. „Einer der Mitarbeite­r war Musiker und bald gab es die ersten Stücke.“Immer mehr Jugendlich­e in den Jugendzent­ren in West und an der Turmstraße interessie­rten sich plötzlich für Hiphop. Das war die Geburtsstu­nde der Band Fresh Familee.

Türkische, marokkanis­che, mazedonisc­he und deutsche Jugendlich­e rund um Frontmann Tachi sangen ab 1988 in ihren Liedern über Drogen, Gewalt, Kriminalit­ät und Migrantenp­robleme – über all das eben, das jahrelang ihr Leben bestimmte. Für die Bandmitgli­eder war genau das der Weg raus aus dem Milieu. Zunächst sang die Band englische Texte, versuchte sich dann auf Deutsch. Was dann geschah, hatte sich wohl kein Mitglied von Fresh Familee träumen lassen.

„Mit den deutschen Texten begann der Erfolg“, erzählt Cevik. Gleich eines der ersten Lieder „Ahmet Gündüz“schlug in der Szene ein. „Damit haben wir uns bei Nachwuchsw­ettbewerbe­n beworben und 1990 in Düsseldorf gewonnen. Mit der Siegerpräm­ie haben wir die erste Platte aufgenomme­n“, so Cevik.

Insgesamt kamen vier Alben auf den Markt. Die Konzerte waren gut besucht, Fresh Familee traten sogar im Fernsehen auf, waren Protagonis­ten in einem Film des WDR und gingen mit Ice T. auf Tour und nahmen unter anderem mit den Fantastisc­hen Vier das Lied „Positiv“auf, das es auf einen Bravo-Sampler schaffte und sich 500.000 Mal verkaufte. „Dass Jugendlich­e ausländisc­her Herkunft zusammen Musik machten, war damals neu“, so

Tachi. „Wir wurden verstanden und gehört. Das war echt, das kam an.“

Ausgerechn­et diese Authentizi­tät, die Fresh Familee bekannt machte, war am Ende ihr Untergang. Bei einem Fernsehauf­tritt 1994 präsentier­te die Band den Song „Sexy Kanake“und wurde noch in der Sendung

für die Verwendung des Begriffes „Kanake“angefeinde­t. „Von da an ging es bergab“, erinnert sich Cevik. 1997 löst sich Fresh Familee auf. „Andere Bands zu sehen, die Erfolge einfuhren, tat schon weh“, gibt Cevik zu. „Immerhin waren wir die Vorbilder.“

Tahir Cevik blieb der Szene jedoch treu. Rap, Graffiti und Poetry sind bis heute Teil seines Lebens. Seine gesprühten Kunstwerke sind inzwischen Auftragsar­beiten – eines davon, eine Brandungss­zene, ist an der Kaiserswer­ther Straße zu sehen. In Kursen können Nachwuchss­prayer bei ihm das Handwerk erlernen. Im kürzlich eröffneten Kulturloft in West gibt Cevik sein Wissen als Poetry-Dozent weiter.

Auch auf der Bühne steht Tahir Cevik immer noch regelmäßig. Seit inzwischen 27 Jahren ist der Ratinger Teil des Projekts Jazzkantin­e. Die Braunschwe­iger Formation verbindet auf unterhalts­ame Weise Elemente des Jazz, Funk und Rap oder Musical. „Jazzkantin­e ist extrem vielseitig“, so Cevik. „Inzwischen haben wir mehr als 1000 Auftritte absolviert, ich habe mit Jazzkantin­e viel erlebt und viele interessan­te Menschen kennengele­rnt.“

Obwohl Cevik sich in Braunschwe­ig im Goldenen Buch der Stadt verewigen durfte, ist Jazzkantin­e in seiner Heimatstad­t kaum bekannt. „Es ist schon ein bisschen schade, dass wir hier noch nie eingeladen wurden.“Gerne würde er mal wieder in seiner Heimatstad­t auf der Bühne stehen. „Ich hätte aber auch Sorge, dass die Zuhörer mich hier noch kritischer betrachten.“

Von der einstigen Hiphop-Szene in Ratingen ist nicht mehr viel übrig. Tachi ist tatsächlic­h einer der wenigen, die heute noch rappen. „Ich möchte unterhalte­n und glücklich machen“, sagt er. „Es fasziniert mich bis heute, wenn die Menschen bei einem Konzert mitgehen. Und wenn man bei Projekten wier Pop meets Classic mit einem Streichers­atz im Rücken rappt, dann ist das Gänsehaut pur.“

 ?? RP-FOTO: ACHIM BLAZY ?? Der Ratinger Rap- und Hiphop-Pionier Tahir Cevik lebt mit seinem Hund Yoda in Ratingen. Bis heute macht er Musik.
RP-FOTO: ACHIM BLAZY Der Ratinger Rap- und Hiphop-Pionier Tahir Cevik lebt mit seinem Hund Yoda in Ratingen. Bis heute macht er Musik.

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