Vorreiter des deutschen Hiphop
Deutschsprachiger Rap ist heute aus den Charts nicht mehr wegzudenken. In den 80er Jahren war er eine Revolution. Eine der Keimzellen für den Siegeszug des Hiphop liegt mit der Band Fresh Familee in Ratingen West. Mittendrin Tahir „Tachi“Cevik. Wir wollten wissen, was er heute macht.
RATINGEN „Ich kam aus dem Ghetto, hatte einen Migrationshintergrund und fühlte mich als Außenseiter.“Tahir Cevik erinnert sich gut an seine Jugend in Ratingen West. Ein wohlbehütetes Elternhaus gab es für die meisten jungen Leute nicht. Sie hingen auf der Straße ab. Wichtiger als Schulnoten: sich gegen oder in Jugendgangs zu behaupten. Man hatte einen Ruf zu verlieren.
Dann kam der Tag, an dem Tahir Cevik zum ersten Mal Breakdance sah. „Ich war sofort fasziniert“, erzählt der Ratinger. Er begann zu trainieren. „Vorher war ich eine Niete im Sport. Das wurde dann immer besser.“Der Weg vom Tanz zu Hiphop, Rap und Graffiti war nicht weit. Filme wie Beat Street und Wild Style transportierten ein Lebensgefühl. „Das war eine Kultur, die von Minderheiten praktiziert wurde – damit konnte ich mich identifizieren.“Aus Tahir wurde Tachi.
Sein Lebensmittelpunkt wurde der Jugendclub am Berliner Platz. Während die einstigen Kumpels wenig Verständnis für den Sinneswandel hatten, fand Tachi dort Unterstützung. „Ich habe angefangen, eigene Texte zu schreiben“, erinnert er sich. „Einer der Mitarbeiter war Musiker und bald gab es die ersten Stücke.“Immer mehr Jugendliche in den Jugendzentren in West und an der Turmstraße interessierten sich plötzlich für Hiphop. Das war die Geburtsstunde der Band Fresh Familee.
Türkische, marokkanische, mazedonische und deutsche Jugendliche rund um Frontmann Tachi sangen ab 1988 in ihren Liedern über Drogen, Gewalt, Kriminalität und Migrantenprobleme – über all das eben, das jahrelang ihr Leben bestimmte. Für die Bandmitglieder war genau das der Weg raus aus dem Milieu. Zunächst sang die Band englische Texte, versuchte sich dann auf Deutsch. Was dann geschah, hatte sich wohl kein Mitglied von Fresh Familee träumen lassen.
„Mit den deutschen Texten begann der Erfolg“, erzählt Cevik. Gleich eines der ersten Lieder „Ahmet Gündüz“schlug in der Szene ein. „Damit haben wir uns bei Nachwuchswettbewerben beworben und 1990 in Düsseldorf gewonnen. Mit der Siegerprämie haben wir die erste Platte aufgenommen“, so Cevik.
Insgesamt kamen vier Alben auf den Markt. Die Konzerte waren gut besucht, Fresh Familee traten sogar im Fernsehen auf, waren Protagonisten in einem Film des WDR und gingen mit Ice T. auf Tour und nahmen unter anderem mit den Fantastischen Vier das Lied „Positiv“auf, das es auf einen Bravo-Sampler schaffte und sich 500.000 Mal verkaufte. „Dass Jugendliche ausländischer Herkunft zusammen Musik machten, war damals neu“, so
Tachi. „Wir wurden verstanden und gehört. Das war echt, das kam an.“
Ausgerechnet diese Authentizität, die Fresh Familee bekannt machte, war am Ende ihr Untergang. Bei einem Fernsehauftritt 1994 präsentierte die Band den Song „Sexy Kanake“und wurde noch in der Sendung
für die Verwendung des Begriffes „Kanake“angefeindet. „Von da an ging es bergab“, erinnert sich Cevik. 1997 löst sich Fresh Familee auf. „Andere Bands zu sehen, die Erfolge einfuhren, tat schon weh“, gibt Cevik zu. „Immerhin waren wir die Vorbilder.“
Tahir Cevik blieb der Szene jedoch treu. Rap, Graffiti und Poetry sind bis heute Teil seines Lebens. Seine gesprühten Kunstwerke sind inzwischen Auftragsarbeiten – eines davon, eine Brandungsszene, ist an der Kaiserswerther Straße zu sehen. In Kursen können Nachwuchssprayer bei ihm das Handwerk erlernen. Im kürzlich eröffneten Kulturloft in West gibt Cevik sein Wissen als Poetry-Dozent weiter.
Auch auf der Bühne steht Tahir Cevik immer noch regelmäßig. Seit inzwischen 27 Jahren ist der Ratinger Teil des Projekts Jazzkantine. Die Braunschweiger Formation verbindet auf unterhaltsame Weise Elemente des Jazz, Funk und Rap oder Musical. „Jazzkantine ist extrem vielseitig“, so Cevik. „Inzwischen haben wir mehr als 1000 Auftritte absolviert, ich habe mit Jazzkantine viel erlebt und viele interessante Menschen kennengelernt.“
Obwohl Cevik sich in Braunschweig im Goldenen Buch der Stadt verewigen durfte, ist Jazzkantine in seiner Heimatstadt kaum bekannt. „Es ist schon ein bisschen schade, dass wir hier noch nie eingeladen wurden.“Gerne würde er mal wieder in seiner Heimatstadt auf der Bühne stehen. „Ich hätte aber auch Sorge, dass die Zuhörer mich hier noch kritischer betrachten.“
Von der einstigen Hiphop-Szene in Ratingen ist nicht mehr viel übrig. Tachi ist tatsächlich einer der wenigen, die heute noch rappen. „Ich möchte unterhalten und glücklich machen“, sagt er. „Es fasziniert mich bis heute, wenn die Menschen bei einem Konzert mitgehen. Und wenn man bei Projekten wier Pop meets Classic mit einem Streichersatz im Rücken rappt, dann ist das Gänsehaut pur.“