Flutbesuch mit einer Prise Wahlkampf
SCHALKSMÜHLE/HAGEN „Ich fühle mich doppelt im Stich gelassen“, sagt Arturo Stabene aus Hagen. Der 71-Jährige wartet an diesem Sonntag schon seit dem Vormittag am Hagener Marktplatz – er hat mitbekommen, dass Angela Merkel und Armin Laschet (CDU) an diesem Tag auch seine Stadt besuchen. Vor allem Laschet habe er „einiges zu sagen“, so Stabene. Von den versprochenen finanziellen Fluthilfen habe er bislang nur einen Bruchteil bekommen. Sein Keller stand unter Wasser, neun Tage lebte Stabene mit seiner vierköpfigen Familie ohne Strom: „Nicht nur ich, auch meine Nachbarn brauchen das Geld“, sagt er. Doch spontane Gespräche sind im Terminkalender des Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin an diesem Tag nicht vorgesehen. Zusammen besuchen beide Politiker sieben Wochen nach der Flutkatastrophe am Sonntag die betroffenen Gebiete im Märkischen Kreis und in Hagen.
Mit Flutopfern sprechen Laschet und Merkel dabei auch. Besonders beeindruckt zeigen sie sich von einem Treffen mit der Freiwilligen Feuerwehr in Schalksmühle im Sauerland. Dort sprachen sie mit Angehörige der Feuerwehren von Altena und Werdohl: Zwei ihrer Kameraden haben die Freiwilligen im Hochwasser-Einsatz verloren. Ein 46 Jahre alter Feuerwehrmann war nach der Rettung eines Mannes ins Wasser gestürzt. Seine Kollegen konnten ihn kurz darauf nur noch tot bergen. Knapp zwei Stunden später war ein 52 Jahre alter Feuerwehrmann kollabiert und gestorben. „Alle, die in den betroffenen Regionen aktiv waren – in Altena, in Werdohl, in Hagen – sind Freiwillige. Wir können nicht hoch genug einschätzen, was dieses Engagement für unser Land bedeutet“, sagte Laschet. Der Sohn des einen gestorbenen Feuerwehrmanns habe ihm erzählt, dass er trotz des Verlusts des Vaters bei der Freiwilligen Feuerwehr bleiben wolle. Man müsse sich immer wieder bewusst machen, dass ohne diese Ehrenamtler vieles nicht funktioniere.
Eine weitere Station des Besuchs von Merkel und Laschet war eine Brücke im Hagener Ortsteil Priorei. Die alte Brücke aus Ziegelstein, Baujahr 1890, konnte den Wassermassen bei der Flut nicht standhalten. Die neue Konstruktion besteht aus acht Betonfertigteilen und soll in 14 Tagen wieder befahrbar sein: „Das ist ein kleiner Hoffnungsschimmer“, sagte Merkel. Dieser sei aber gekoppelt an die Mitteilung, dass das nicht für alle beschädigten Brücken gelte – und nicht für alle Orte. Manches werde „noch sehr lange dauern“, betonte Merkel.
Die nach nur fünf Wochen fertige Brücke zeige aber, dass es vorangehe mit dem Wiederaufbau, sagte Laschet. Gerade im ländlichen Raum sei es eine ganz wichtige Aufgabe, die Infrastruktur wiederherzustellen. Bund und Länder hatten sich auf einen 30 Milliarden Euro schweren Hilfsfonds nach den Überflutungen im Juli verständigt. 28 Milliarden davon teilen sich Bund und Länder, zwei Milliarden stemmt der Bund alleine für zerstörte Infrastruktur. Bundestag und Bundesrat sollen den Fonds in den kommenden Tagen endgültig auf den Weg bringen.
„Gemeinsam wollen wir dafür sorgen, dass die betroffenen Menschen
bald wieder in die eigenen vier Wänden zurückkehren können. Viele können das bis heute nicht“, sagte Laschet. Es brauche auch für alle Zugang zu Wasser, Strom, Heizung und Internet. Vieles sei geschehen, aber noch nicht jeder Mensch in NRW sei nach der Katastrophe an die Daseinsvorsorge angeschlossen.
In Hagen warteten auf Merkel und Laschet auch etwa 30 Mitglieder der dortigen Ortsgruppe von Fridays for Future. „Uns war schon bewusst, dass die Klimakrise in Zukunft auch Deutschland treffen wird. Dass es jetzt so drastisch in unserer Stadt zugeschlagen hat, hat uns aufgerüttelt“, sagte Organisatorin Janne Rosenbaum. Mit ihren Plakaten wandten sich die Klima-Aktivisten zum Teil auch direkt an Laschet. „Perfekt, die Dörfer wollte ich eh für Braunkohle abreißen“, steht auf einem der Plakate, dazu ein Bild, das Laschet vor einer überfluteten Straße zeigt. Ganz so harsch drückt es Organisatorin Rosenbaum nicht aus: „Falls Armin Laschet Kanzler wird, kann er nicht seine Politik aus den letzten Jahren in NRW weiterführen“, sagte sie. Die Bundeskanzlerin und der Ministerpräsident betonten indes mehrfach, dass der Besuch in den Flutgebieten kein Wahlkampftermin sei. Ohne lobende Worte für Armin Laschet kam die Kanzlerin aber nicht aus: „Armin Laschet führt das größte Bundesland in Deutschland sehr erfolgreich. Wer das kann, kann auch die Bundesrepublik Deutschland als Kanzler führen“, so Merkel.
Arturo Stabene sieht das anders. Er kommt nach stundenlangem Warten auf dem Platz in Hagen und danach vor dem Gebäude, in dem Laschet und Merkel eine Pressekonferenz geben, nicht ins Gespräch mit dem Ministerpräsidenten. Er habe sich eigentlich auf den Besuch gefreut, sagt er. Die Enttäuschung ist deswegen doppelt: Nicht nur weil ihn die Katastrophe traf, jetzt habe er auch das Gefühl, dass das niemanden kümmert. „Vielleicht bei der nächsten Flut“, sagt er.