Streit um Kurs in der Corona-Spätphase
Im Infektionsschutzgesetz sollen bundesweite Corona-Vorgaben neu geregelt werden – etwa die 3G-Regel oder die Impfstatus-Abfrage durch den Arbeitgeber. Vor bundesweiten Grenzwerten schrecken Union und SPD jedoch zurück.
BERLIN Kurz vor dem geplanten Bundestagsbeschluss zum Infektionsschutzgesetz geht der Streit über die neuen bundesweiten CoronaRegelungen weiter. Union und SPD pochen darauf, dass die Bundesländer in der Spätphase der Pandemie Flexibilität brauchen, um regional auf die Infektionslage reagieren zu können. Aus der Opposition kommt dagegen der Ruf nach mehr Einheitlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Corona-Vorgaben. Auch die Diskussion über die Impfstatus-Abfrage durch Arbeitgeber im Gesundheitsund Bildungswesen dauert an. Während der Wahlkampf die Abstimmungen zwischen den Fraktionen erschwert, soll der Bundestag bereits am Dienstag über die Neuregelungen abstimmen.
Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Erwin Rüddel (CDU), hob die Stärken des föderalen Systems in der Pandemiebekämpfung hervor. „Wir befinden uns jetzt langsam in den Ausläufern der Pandemie und können deshalb stärker auf regionale Besonderheiten Rücksicht nehmen“, sagte Rüddel unserer Redaktion. Zugleich habe die Inzidenz durch die steigende Anzahl an Geimpften und Genesenen an Aussagekraft verloren. „Die Hospitalisierungsrate ist dagegen besser geeignet, die Belastung des Gesundheitssystems einzuschätzen und entsprechend zu reagieren“, sagte Rüddel. „Wichtig ist, dass für Geimpfte ein Lockdown und Einschränkungen ausgeschlossen werden können“, so der CDU-Politiker.
Laut SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas ist bei der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes darauf geachtet worden, „dass die Länder weiterhin die Flexibilität behalten, um auf die Lage vor Ort reagieren können“. Mit Blick auf die durch die Impfungen veränderte Pandemielage sagte sie: „Eine Situation wie im Frühjahr, als eine Bundesnotbremse notwendig wurde, erwarte ich nicht.
Deswegen gibt es keine bundesweiten Grenzwerte.“
In dem von Union und SPD vorgelegten Änderungsantrag zum Infektionsschutzgesetz sind keine konkreten bundesweiten Schwellenwerte enthalten, ab denen neue Alltagsbeschränkungen greifen. Allerdings soll künftig bundesweit die 3G-Regel gelten, die Zugang zu bestimmten Einrichtungen nur Geimpften, Genesenen und negativ Getesteten erlaubt.
Über die 3G-Regel hinaus fordern die Grünen auch eine Verankerung der 2G-Regel, die Zugang nur für Geimpfte und Genesene vorsieht, im Bundesgesetz. Diese sollte nach Ansicht des Grünen-Gesundheitspolitikers Janosch Dahmen „ab einem klar definierten Auslastungswert in den Krankenhäusern“greifen. „Damit wäre allen Menschen klar, dass es bei einer weiteren Zuspitzung der Infektionslage in der vierten Welle auch sein kann, dass für Ungeimpfte weitreichendere Maßnahmen greifen können“, sagte Dahmen unserer Redaktion. Die Regierung lasse Planbarkeit und Nachvollziehbarkeit weiterhin vermissen. „Obwohl seit Monaten klar war, dass man beim Infektionsschutz neue Regelungen fassen muss, haben die Regierungsparteien vergeblich darauf gehofft, dass sich das Virus bis zur Wahl zurückhält“, so Dahmen. Union und SPD stünden „unter großen Druck, weil dieses Wegducken im Wahlkampf ganz offensichtlich nicht mehr funktioniert. Im Zwist und unter großem Zeitdruck werden jetzt halbgare Lösungen vorgelegt, von denen man hofft, dass sie bis über die Wahl tragen“, sagte der Grünen-Politiker.
Auch FDP-Fraktionsvize Michael Theurer kritisierte, dass in der gesamten Pandemiepolitik der Bundesregierung „absehbare Fragen nie frühzeitig beantwortet“würden. „Die Debatte ist teils wahlkampflastig, bringt aber vor allem den Dilettantismus der Bundesregierung ans Tageslicht.“Laut Theurer hat die FDP schon frühzeitig Vorschläge
für „bundeseinheitliche, regional differenziert umzusetzende Regeln“sowie für eine Abkehr von der alleinigen Fokussierung auf die Inzidenzen vorgelegt. Insbesondere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kritisierte Theurer scharf: „Spahn hat hier auf der ganzen Linie versagt.“
Eine kontroverse Diskussion gibt es nach wie vor über das Auskunftsrecht für Arbeitgeber im Gesundheitsund Bildungsbereich über den Impfstatus ihrer Beschäftigten. Die Liste der Einrichtungen, in denen die Impfstatus-Abfrage erlaubt ist, soll nun etwa auf Schulen, Kitas, Pflegeheime oder Asylbewerberunterkünfte ausgeweitet werden. Die
Regelung soll allerdings nur in der Zeit gelten, für die der Bundestag die epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellt. „Das Risiko einer Ansteckung wird deutlich reduziert, wenn der Impf- und Immunstatus von Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern oder Pflegekräften bekannt ist“, sagte SPDGesundheitspolitikerin Bas. Die Grünen tragen die Impfnachweispflicht grundsätzlich mit. Allerdings müsse diese rechtssicher geregelt sein. „In einem Gesetzgebungsverfahren zwischen Tür und Angel bestehen große Zweifel, dass der vorliegende Entwurf von Union und SPD tatsächlich Rechtssicherheit bringt“, so Gesundheitspolitiker Dahmen.