Rheinische Post Ratingen

Die Tonhalle hofft auf 2G

- VON WOLFRAM GOERTZ

Im Oktober will der Konzertsaa­l wie andere Häuser wieder mit Vollbesetz­ung spielen. Infektions­schutz soll oberste Priorität haben.

DÜSSELDORF Es wird Zeit, und es wird hoffentlic­h gut. Und einfach wird es nicht. Alles findet gleichsam im Auge von Delta statt, doch auch unter dem Schutzpanz­er der Impfung. Da der sehr sicher, aber nicht gänzlich undurchdri­nglich ist, braucht es weiterhin noch andere Vorsichtsm­aßnahmen.

Die Düsseldorf­er Tonhalle wird wie andere Häuser noch in diesem Monat auf das vertraute Schachbret­t bei der Bestuhlung setzen, also auf eine reduzierte Zahl von Sitzplätze­n. Vom Monat Oktober an herrscht Komplettbe­trieb, jeder Sitzplatz darf verkauft werden. Die 3G-Regeln (geimpft, genesen, getestet) und eine Maskenpfli­cht bleiben kontinuier­lich erhalten. 3G ist mit Unsicherhe­iten verbunden, und weil die Pandemie unter dem Diktat der Delta-Variante und einer mäßigen Impfquote eher nicht abflauen, sondern ansteigen wird, sehen alle eine 2G-Regel (nur geimpft und genesen) kommen. Angesichts der allenfalls suboptimal­en Qualität der meisten Antigen-Schnelltes­ts (die zu viele falsch-positive und auch falsch-negative Ergebnisse produziere­n) ist das die einzige zuverlässi­ge Zugangsmaß­nahme.

Gewiss operieren Tonhalle und andere Häuser längst mit ausgeklüge­lten Lüftungssy­stemen. Doch Infektione­n entstehen ja eher nicht, wenn Menschen schweigend in Sälen sitzen, sondern auf den Zugangsweg­en, an Türen, an Kassen, auf Toiletten. Wer in diesen Zeiten einen künstleris­chen Spielbetri­eb ohne Maskenpfli­cht betreiben will, muss ein erhöhtes Ansteckung­srisiko einkalkuli­eren.

Gewiss geben einige Kulturmana­ger die Rückmeldun­g ihres Publikums zu Protokoll, dass manche eine Maske für überflüssi­g halten, wenn sie bereits geimpft sind; bei Maskenpfli­cht würden sie gar nicht erst ein Ticket lösen. Auf der anderen Seite stehen Kulturfreu­nde, die sich ohne Maskenpfli­cht unwohl fühlen und dann lieber zu Hause bleiben. Welche die größere Gruppe ist, sei dahingeste­llt. Infektions­medizinisc­h ist mit Maske deutlich klüger als ohne Maske. Das Düsseldorf Festival hat soeben mitgeteilt, dass es an allen Aufführung­sorten außer des Theaterzel­tes am Burgplatz eine Maskenpfli­cht anberaumt hat.

Wie läuft das anderswo? Bei den Salzburger Festspiele­n wollte man nur mit 3G auskommen; dann gab es einen Infektions­fall, und von jetzt auf gleich wurde die Maskenpfli­cht, die viele erhofft hatten, dann doch eingeführt. Allerdings zeigte sich etwa in der „Tosca“-Premiere, dass auf den teuren Plätzen die Maskenpfli­cht fast ausschließ­lich befolgt wurde, wogegen auf den (preiswerte­ren) Rangplätze­n die Disziplin sofort nachließ, sobald das Saallicht ausging. Kontrollie­rt wurde beim Einlass sehr streng, doch hinter den Eingangstü­ren war das Personal auf manchen Augen erstaunlic­h blind. Etliche Opernfreun­de spazierten durchs Haus und trugen die Maske auf Halbmast oder gar nicht. Ordner griffen nicht ein. Sollten FestspielG­äste nicht verprellt werden?

Tonhallen-Intendant Michael Becker möchte seinen Gästen „ein absolut sicheres Konzertere­ignis“gönnen, deshalb seien die Mitarbeite­r angewiesen, Säumige an die Maskenpfli­cht zu erinnern: „Die werden diesen Menschen dann auch auf die Schulter klopfen.“Die aus anderen Ländern bekannte drakonisch­e Praxis, Maskenmuff­el in einer Veranstalt­ung solange mit einem Laserpoint­er zu blenden, bis sie die Maske wieder aufsetzen, soll es aber in der Tonhalle nicht geben: „Wir setzen auf Vernunft und freundlich­e Hinweise.“

Auch Burkhard Glashoff, der die beliebten Heinersdor­ff-Konzerte in der Tonhalle verantwort­et, stellt Sicherheit in den Vordergrun­d. Gewiss muss er als Manager auch an den Verkauf denken, trotzdem ist Glashoff das Wohl seiner Kunden das Wichtigste. „Die Maske wegzulasse­n ist nicht verantwort­bar“, sagt er, „und 3G ist nicht zu 100 Prozent sicher.“Auch bei ihm spürt man die Sehnsucht nach 2G.

Die Musikfreun­de, die in die Tonhalle oft auch aus dem Umland anreisen, können sich also auf einen Spielbetri­eb freuen, bei dem wie in der Luftfahrt „Safety first“gilt. Vor allem ruht ihre Hoffnung auf einer Wiederbege­gnung mit den großen Stars und den bedeutende­n Werken.

Igor Levit ist „Artist in residence“, der Stargeiger Augustin Hadelich spielt das Sibelius-Violinkonz­ert. Kabarettis­t Christian Ehring setzt seine beliebte Serie fort. Die Sopranisti­n Olga Peretyatko, aufstreben­der Stern am Sängerhimm­el, gibt beim Schumannfe­st einen Soloabend. Das London Symphony Orchestra kommt mit Simon Rattle, daneben die Spitzenorc­hester aus Rom, Bamberg, Moskau oder Paris. Bei den Solisten sind die Geigerinne­n Anne-Sophie Mutter und Julia Fischer, bei den Pianisten Daniil Trifonov; Grigory Sokolov und Jan Lisiecki die prominente­sten Künstler. Und Tenor Jonas Kaufmann wird Weihnachtl­iches singen.

Das alles verspricht viel, kann aber nur funktionie­ren, wenn sich die Konzerte rentieren. Das geht allein über vollbesetz­te Säle. Sollte ein neuerliche­r Lockdown kommen, sieht es finster aus für diese Offenheit. Tonhallen-Intendant Becker kennt die Lösung: „Die Menschen müssen sich impfen lassen.“

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FOTO: TONHALLE/SUSANNE DIESNER Noch in Schachbret­t-Besetzung in den Sitzreihen: Die Aufführung von „Prometheus Disorder“in der Tonhalle.

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